Himmelklar – Der katholische Podcast

Besuch im Caritas-Krankenhaus: Hilfe für Babys im Gaza-Krieg

Veröffentlicht am 10.04.2024 um 00:30 Uhr – Von Verena Tröster – Lesedauer: 

Köln ‐ Das Caritas-Kinderkrankenhaus gilt als Oase der Nächstenliebe: Kinder werden dort unabhängig von Herkunft und Religion behandelt. Wie das möglich ist und wie schwierig es ist, politisch keine Stellung zu beziehen, erzählt der Kinderhilfe-Vizepräsident Fabian Freiseis.

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Erst kürzlich konnten 68 Kinder aus dem Gazastreifen ins Caritas Baby Hospital nach Betlehem geholt werden – und bald ist Grundsteinlegung für eine, durch Spenden finanzierte, Tageschirurgie.
Wie das einzige Kinderkrankenhaus im Westjordanland immer wieder Hoffnungszeichen der Nächstenliebe setzt: Fabian Freiseis, Vizepräsident der Kinderhilfe Bethlehem, erzählt von seiner Arbeit im besetzten palästinensischen Gebiet.

Frage: Sie haben erst kürzlich 68 Kinder aus dem Gazastreifen ins Caritas Baby Hospital (CBH) in Bethlehem holen können. Wie haben Sie das gemacht?

Dr. Fabian Freiseis (Vizepräsident der Kinderhilfe Bethlehem, die das Caritas Baby Hospital unterhält): Das war im Grunde die Leistung der Mitarbeitenden vor Ort. Das sogenannte Exekutivkomitee, also alle leitenden Angestellten dort, kommen aus Bethlehem oder aus der Region. Sie sind dementsprechend gut vernetzt und fest verwurzelt in der Gemeinschaft dort. Sie sehen ihren Dienst auch als Dienst an der Gemeinschaft – abgesehen von dem Dienst, den sie im Caritas Baby Hospital tun. Bei der Extraktion war auch die deutsche Bundesregierung beteiligt und viele Personen im Hintergrund, deren Namen wir vermutlich nie wirklich erfahren werden. Alle haben geholfen, um diesen Kindern, die in Rafah eingegrenzt waren und denen eine Offensive, Hunger und Krankheit drohten, zu helfen. Das Caritas Baby Hospital war der Partner, um die medizinische Versorgung der Kinder zu gewährleisten, sodass abgesehen vom psychischen Druck wenigstens die physische Gesundheit einigermaßen hergestellt werden kann. Oder es wird beurteilt, ob vielleicht noch eine Nachsorge nötig ist: Gibt es chronische Erkrankungen, auf die man achten muss? Gibt es akute Erkrankungen, auf die man achten muss? Gibt es Mangelernährung? Das war der Beitrag vom CBH. Es ist nicht das erste Mal, dass wir Kindern beispielsweise aus dem Gazastreifen helfen. Es ist auch hoffentlich nicht das letzte Mal. Immer wenn die Möglichkeit besteht, zu helfen, macht das CBH das sehr gerne.

Frage: Wie geht es den Kindern heute? Können Sie das sagen?

Freiseis: Die Kinder sind so weit gesund. Sie haben auch jetzt so langsam Abstand gewonnen zur Situation und fangen langsam an, auch wieder miteinander zu spielen, was in Rafah aufgrund der Umstände undenkbar war. Sie werden jetzt wahrscheinlich ein Jahr, vielleicht sogar länger im SOS-Kinderdorf in Bethlehem bleiben, bis man hoffentlich wieder eine Rückkehr ermöglichen kann, nach Rafah oder vielleicht kann auch eine andere Lösung gefunden werden. Jedenfalls sind sie zunächst dort gut aufgehoben. Man kann dazu sagen, dass es auch nicht alle Kinder aus dem SOS-Kinderdorf sind, die jetzt ins Westjordanland überführt worden sind. Denn es gab dort auch Kinder, wo es einfach noch Familien gibt. Und die Familien wollten die Kinder nicht aus der Nähe entlassen, sodass es also immer noch im und um das SOS-Kinderdorf Kinder gibt. Ganz abgesehen davon, dass ja auch der ganze Gazastreifen voller Kinder ist, die medizinischer Behandlung bedürfen, die vor allem aber auch Nahrung benötigen. Für die 68 Kinder, die jetzt in Bethlehem sind, hat man für den Moment einen sicheren Hafen gefunden. Diese Sicherheit wirkt sich auch auf die psychosozialen Verhältnisse der Kinder aus. Die können also durchatmen.

Fabian Freiseis, Vizepräsident der Kinderhilfe Bethlehem
Bild: ©Kinderhilfe Bethlehem

Fabian Freiseis ist Vizepräsident der Kinderhilfe Bethlehem.

Frage: Wenn so eine Übersiedlung von knapp 70 Kindern aus einem SOS-Kinderdorf nach Bethlehem schon so eine große logistische Aufgabe ist, denn es ist ja natürlich alles hermetisch abgeriegelt im Moment, wäre das genau meine nächste Frage gewesen: Was ist mit denjenigen Babys und Kleinkindern, die mit ihren Familien mitten im Gazastreifen leben, die hungern, die vielleicht teilweise auch verletzt sind? Können Sie auch denen helfen?

Freiseis: Wir würden sehr gerne. Das Problem ist aber, dass die israelische Regierung die Grenzübergänge sehr genau kontrolliert und die meisten geschlossen hält. Es ist dementsprechend unglaublich schwierig. Die Menschen sind an einem Ort, der über keine richtige Infrastruktur mehr verfügt und der über kaum funktionierende Krankenhäuser verfügt. Im Grunde ist es eine ausweglose Situation, in der es auch für den Moment keine Hoffnung gibt. Es müssten eigentlich viel mehr Menschen extrahiert werden.  Das ist aber auch Teil des Problems. Denn wo fängt man an und wo hört man auf? Es ist eine ganz komplizierte Lage, ein diplomatischer Drahtseilakt, immer wieder Menschen aus dem Gazastreifen herauszubringen. Es war ja auch für Bürgerinnen und Bürger mit palästinensischem Pass unglaublich schwierig auszureisen. Selbst wenn sie einen US-amerikanischen oder kanadischen oder deutschen oder sonstigen Pass hatten, weil einfach die israelische Regierung viel dafür tut, diesen Gazastreifen unter strenger Kontrolle zu halten – mit allen negativen Folgen.

Frage: Sie formulieren das sehr vorsichtig, ich höre aber natürlich eine Empörung. Wie gehen Sie damit um? Äußern Sie sich politisch oder sind Sie eher zurückhaltend? Denn die Philosophie des Baby Hospitals ist ja, jedem Kind und jedem Baby zu helfen, egal welcher Herkunft und egal welcher Religion.

Freiseis: Da gilt, glaube ich, dass wir uns auch bei aller Empörung nicht selbst für so wichtig nehmen dürfen, unsere persönliche Meinung – die ich zwar habe – über alles zu stellen. Denn es ist ein Konflikt, der auch schon länger währt, als die Staatsgründung Israels zurückliegt. Wir müssten eigentlich mindestens ins Jahr 1917 – wenn nicht noch länger – zurückreisen, um einigermaßen umreißen zu können, warum wir an diesen Punkt gelangt sind. Das sind Dinge, die auch persönliche Meinungen übersteigen. Und das hilft jetzt niemandem, wenn man besonders nachdrücklich seinem Ärger oder seiner Empörung Luft macht. Denn Sie haben gesagt, wir sind eine "Oase der Nächstenliebe". Das nehme ich so gerne an. Wir möchten tatsächlich über den Parteiungen stehen, wenngleich wir im CBH vor allem mit der palästinensischen Bevölkerung zu tun haben und deren Leid sehr wohl sehen. Es wäre aber auch total unmenschlich, nicht zu sehen, was am 7. Oktober und am 8. Oktober in Grenznähe des Gazastreifens geschehen ist. Und es gilt auch zu sehen, dass die Hamas nicht nur israelische Geiseln hält, sondern sich auch hinter dem eigenen Volk versteckt. So zeigt sich einfach, dass die Dinge sehr kompliziert sind, weil es zu viele Menschen gibt, die vielleicht sogar ein Interesse daran haben, dass dieser Konflikt weiter gärt. Diejenigen, die darunter leiden, sind die kleinen Männer und Frauen, vor allem die Kinder, die in dieser Region aufwachsen müssen. Es ist keine Freude, als jüdisches oder israelisches Kind unter Raketenalarm aufzuwachsen. Es ist keine Freude, im Gazastreifen aufzuwachsen. Es ist keine Freude, in der Westbank aufzuwachsen und teils auch von Siedlergewalt betroffen zu sein. Das sind alles Dinge, die viel größer sind als meine Meinung und meine Empörung.

„Diejenigen, die darunter leiden, sind die kleinen Männer und Frauen, vor allem die Kinder, die in dieser Region aufwachsen müssen.“

—  Zitat: Dr. Fabian Freiseis, Vizepräsident der Kinderhilfe Bethlehem

Frage: Und mit Sicherheit gibt es die schönen Beispiele, bei denen man sagen kann: "Da sieht man, es lohnt sich einfach, dass wir weitermachen"?

Freiseis: Im Grunde ist jede einzelne Zahl ein positives Beispiel, dass es sich lohnt, weiterzumachen. Jede einzelne Menschenseele, die krank in das Hospital kommt, mit allen Sorgen, die die Eltern sich machen und jetzt noch mal gesteigert in dieser Situation des Kriegs im Gazastreifen und großer Unsicherheit im Westjordanland, jede einzelne Patientin und jeder einzelne Patient sind ein Grund, weiterzumachen. Und insbesondere dann zu sehen, wie glücklich Menschen sind, wenn sie wissen, dass es ihrem Kind gut geht. Das sollte eigentlich unser Anspruch sein. Das habe ich einige Male erleben dürfen, aber das braucht es jetzt nicht notwendig. Man kann das auch gedanklich durchspielen. Das Recht auf eine medizinische Behandlung und dieses Recht durchzuhalten und eine Oase der Nächstenliebe zu sein, das ist, glaube ich, etwas, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Dafür lohnt es sich, zu arbeiten und sich einzusetzen. Das machen die Menschen im Caritas Baby Hospital. Das ist noch mal der zweite Punkt, zu sehen, welche Freude das zum Teil bringt.

Frage: Was wünschen Sie sich für das Caritas Baby Hospital?

Freiseis: Da gibt es viele Wünsche, aber ganz aktuell wünsche ich mir, dass es mit unserer Tageschirurgie gut läuft. Wir haben damit wirklich ein größeres Projekt anstehen, denn wir haben durch eine Studie herausgefunden, dass es einen hohen Bedarf von kleineren chirurgischen Eingriffen gibt, beispielsweise einer Mandelentfernung oder einer Leistenoperation. Und jetzt steht fest: Wir werden – mithilfe von Spenden – eine Chirurgie bauen. Also nutzen wir diese Zeiten des Krieges sehr antizyklisch und hoffnungsvoll: Wir investieren in Steine, um dann in Menschen zu investieren.

Von Verena Tröster