Die David-Rezeption im Neuen Testament

Jesus als "Sohn Davids" – Was hat es damit auf sich?

Veröffentlicht am 12.05.2024 um 12:00 Uhr – Von Stefan Schreiber – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ Die ersten Christen erinnern sich an David nicht als den großen, erfolgreichen und guten König aus Israels Geschichte, sondern als den Dichter der Psalmen. Doch entscheidend ist er als Träger einer göttlichen Verheißung, schreibt der Neutestamentler Stefan Schreiber.

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Der Name David wird 59-mal im Neuen Testament genannt, allerdings recht ungleichmäßig verteilt. Die Briefe erwähnen ihn nur sporadisch. Schwerpunkte liegen in den Geburtsgeschichten, bei Matthäus und in der Apostelgeschichte, also in der Erzähl-literatur, was vermutlich kein Zufall ist. Will man von Jesus, seiner Herkunft und seiner Bedeutung als Messias Israels erzählen, erinnert man sich an die Gestalt Davids. Nimmt man Titel wie "Sohn Davids" oder "Wurzel Davids" hinzu, zeigen sich sehr interessante Facetten der Rezeption.

Im Kulturkreis des antiken Judentums gilt David als Verfasser vieler Psalmen. Eine Qumran-rolle weiß sogar, dass er 4050 Psalmen und kultische Lieder verfasst hat (11 Q05 XXVII 2-11). Einige Stellen im Neuen Testament nennen David ausdrücklich als Verfasser eines Psalms.

David als Verfasser der Psalmen und als Prophet

Dabei gelten die "alten" Worte Davids als von JHWH inspiriert, sodass sie jetzt in die Gegenwart sprechen und auf Jesus deuten, den Gott damals schon im Blick hatte. Die prophetische Begabung Davids, des Dichters, stellte eine geläufige Annahme dar. Seine Inspiration durch den Heiligen Geist betont Apg 1,16; 2,30; 4,25.

Ein schönes Beispiel bietet die Pfingstrede des Petrus in Apg 2,24-32. Dabei legt Petrus Ps 16,8-11 als Prophetie Davids auf die Auferweckung des Christus hin aus. David als Beter des Psalms spricht eigentlich in der Ichform von sich selbst und drückt seine Hoffnung aus, Gott werde ihn nicht dem Tod preisgeben. Aber, wie jeder weiß, starb David, und man kennt sein Grab. Die Schlussfolgerung: Weil David ein Prophet war, hat er bereits die Auferweckung Jesu vorausgedeutet. Petrus macht dies in Apg 2,30f hörbar, indem er Ps 16,10 in die dritte Person setzt; nun spricht David direkt von Jesus:

"Da er ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm einen Eid geschworen hatte, einer von seinen Nachkommen werde auf seinem Thron sitzen, sagte er vorausschauend über die Auferstehung des Christus: Ergab ihn nicht der Unterwelt preis und sein Leib schaute die Verwesung nicht."

Psalmen
Bild: ©stock.adobe.com/leafy

Eine Frau liest in den Psalmen

Damit nicht genug. In Apg 2,34f greift Petrus Davids Prophetie in Ps 110,1 auf; die Einsetzung des Königs als Vizeherrscher Gottes: "Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten." David selbst ist bekanntlich nicht in den Himmel aufgestiegen, folglich kündigte er mit prophetischer Begabung Jesu endgeschichtliche Erhöhung zu Gott an. Damit ist der Schriftbeweis geführt, dass der erhöhte Jesus den Pfingstgeist vermitteln konnte (Apg 2,33) und dass Gott ihn zum Herrn und Messias gemacht hat (2,36). Übrigens wiederholt Apg 13,35-37 — diesmal im Mund des Paulus — die Auslegung von Ps 16,10 als Prophetie Davids auf Jesu Auferweckung hin.

Eher am Rande wird David als von Gott begnadeter und vorbildlicher König Israels genannt (Apg 7,45f; 13,22; Hebr 11,32). Als Patriarch, dessen Grab bekannt ist, und als Prophet erfährt er Anerkennung (Apg 2,29f). Einen Vorbehalt formuliert aber Hebr 11,39f: David und viele andere herausragende Gestalten der Geschichte Israels haben die göttliche Verheißung noch nicht erlangt, die denen vorbehalten ist, die zu Christus gehören.

Auf eine Episode aus der Geschichte Davids bezieht sich Jesus im Streitgespräch mit Pharisäern in Mk 2,23-28 (Mt 12,1-8 // Lk 6,1-5). Als Jesu Schüler an einem Sabbat Ähren abreißen, um die Körner zu essen, kritisieren die Pharisäer dies als Bruch des Sabbats. Jesus kontert mit einem Beispiel aus dem Leben Davids, das in 1 Sam 21,2-7 überliefert ist: David und seine Begleiter litten Hunger und erhielten vom Priester Ahimelech in Nob die Erlaubnis, die Gott dargebrachten Schaubrote, die eigentlich Priestern vorbehalten waren, zu essen. Mit der Berufung auf die Schrift zeigt Jesus, dass Gebote und Regeln auch Ausnahmen zulassen — zum Wohl der Menschen, denen sie eigentlich dienen sollen. Vielleicht schwingt dabei schon der Gedanke an Jesu Vollmacht als Messias aus dem Geschlecht Davids mit, die er im Auftrag Gottes ausübt. Das führt zum nächsten Punkt.

Die davidische Herkunft des Messias

Im Frühjudentum wurden Texte wie die Natanverheißung über den ewigen Bestand des davidischen Königtums (2 Sam 7,12-16) oder die Ansage eines neuen Sprosses aus der Wurzel Isais, des Vaters Davids (Jes 11,1-10), auf den endgeschichtlichen Messias, den Heilskönig Gottes aus dem Geschlecht Davids, bezogen, so in der Qumranschrift 4Q174 III 10-13 und in der Schrift der Psalmen Salomos PsSal 17,4.21. Vom "Gesalbten der Gerechtigkeit, dem Spross Davids", spricht der Genesiskommentar aus Qumran (4Q252 V 3f). 4 Esr 12,32 hält fest, dass der Gesalbte aus dem Geschlecht Davids stammt. Auch Mk 12,35 (Mt 22,42 // Lk 20,41) und Joh 7,42 überliefern die verbreitete Annahme, der Messias sei der Sohn Davids bzw. stamme "aus dem Geschlecht Davids". Joh 7,42 verbindet damit Betlehem, die Stadt Davids, als Geburtsort des Messias: Sagt nicht die Schrift: Der Christus kommt aus dem Geschlecht Davids und aus dem Dorf Betlehem, wo David lebte?

Für die ersten Christen legitimierte die Herkunft aus dem Geschlecht Davids Jesus als Messias. Den ersten Beleg dafür bietet Paulus im Römerbrief (1,3f), wo er ältere Traditionen aufgreift und eine Art Zwei-Stufen- Christologie vorstellt: Seine Abstammung "aus dem Geschlecht Davids" weist Jesus als Messias aus, was seine menschliche Wirklichkeit ausmacht ("nach dem Fleisch"). Aber erst durch die Auferweckung wurde er von Gott als Sohn Gottes und himmlischer Mitherrscher eingesetzt ("in Macht"), sodass er nun zu Gottes Wirklichkeit gehört. Damit repräsentiert Christus die neue Herrschaft Gottes und erscheint als legitimer Herrscher in Gottes Vollmacht. Die Messiastradition erhält vom Geschick Jesu her eine spezifische Ausformung. Ein Alternativmodell zu einem göttlichen Anspruch politischer Herrscher, auch des römischen Kaisers, deutet sich an.

Blick auf Bethlehem
Bild: ©KNA/CNS photo/Debbie Hill

Blick auf einen Parkplatz auf dem Manger-Platz in Bethlehem und die Geburtskirche.

In den Briefen begegnet diese Herkunftsangabe danach nur noch in 2 Tim 2,8, wo, in paulinischer Tradition, an die Herkunft Jesu Chris¬ti, der von den Toten auferweckt wurde, "aus dem Geschlecht Davids" erinnert wird.

In den Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas spielt Jesu Abstammung von David eine bedeutende Rolle, signalisiert sie doch bereits seine spätere Bedeutung als Messias für Israel. Im Stammbaum Jesu hat David seinen festen Platz (Mt 1,6; Lk 3,31). Interessant sind die Ergänzungen in Mt 1,6: David erhält den Titel König, und er zeugte seinen Sohn Salomo "aus der (Frau) des Urija", was nicht nur auf Davids Ehebruch anspielt, sondern vor allem der Frau des Hetiters Urija, einer Nichtjüdin (0, wesentlichen Anteil an Israels Heilsgeschichte einräumt. In der Deutung von Mt 1,17, die den Stammbaum in dreimal vierzehn Geschlechter unterteilt, steht David für die erste Zäsur – die Heilsgeschichte läuft über David als tragenden Pfeiler zielgerichtet auf Jesus zu. Über seinen Vater Josef, den der Engel im Traum als "Sohn Davids" anspricht (Mt 1,20), gehört Jesus zum Geschlecht Davids. Der Engel gebietet Josef in Mt 1,18-25, Maria als seine Frau anzunehmen und ihr Kind zu adoptieren, indem er ihm den Namen (Jesus) gibt und ihn damit als seinen Sohn annimmt.

Auch nach Lukas stammt Josef "aus dem Haus David" (Lk 1,27) bzw. "aus dem Haus und Geschlecht Davids" (Lk 2,4). Da Josef mit Maria verlobt war (1,27; 2,5), galt Jesus trotz der Geistzeugung an der Jungfrau Maria als Sohn Josefs. So kann der Engel bei der Geburtsankündigung in Lk 1,32f verheißen, Gott werde dem Kind "den Thron seines Vaters David geben". Er ist kein anderer als der königliche Messias aus Davids Geschlecht! Wenn es später heißt, Gott „erweckte uns ein Horn der Rettung im Haus seines Dieners David" (Lk 1,69), wird deutlich, dass die Herrschermacht (im Bild des "Horns") des Messias ganz auf die Rettung, das Wohl Israels ausgerichtet ist. Zur Herkunft von David fügt sich die Lokalisierung der Geburt Jesu in Betlehem, der "Stadt Davids" (Lk 2,4.11; Mt 2,1-6). In Betlehem ist der "Retter" geboren, mit dem die neue Heilszeit Gottes für Israel anbricht (Lk 2,11).

Der verheißene Retter

Historisch lässt sich Jesu Abstammung aus dem Geschlecht Davids nicht beweisen. Sie kann auch aus der Überzeugung erschlossen worden sein, dass Jesus der Messias ist. Auch die Geburt Jesu in Betlehem war angesichts der konkurrierenden Nazaret-Tradition umstritten (Joh 1,46; 7,52; Mt 2,22f; Lk 1,26; 2,4.39). Andererseits ist nicht auszuschließen, dass Josef ein entfernter Nachkomme des Hauses Davids war. Immerhin prägt die Erinnerung an die Herkunft der eigenen Familie oder Dynastie das Selbstverständnis und wird daher tradiert. Und Pau-lus weiß ganz genau, dass er aus dem Stamm Benjamin stammt (Phil 3,5).

Die davidische Herkunft Jesu wurde den ersten Christen wichtig, weil sie Jesus als Erfüllung der Messiasverheißung und so als einzigartigen Repräsentanten Gottes legitimierte. Immer wieder baut die Apostelgeschichte diesen Zusammenhang aus. Apg 2,30f deutet die Natanverheißung an David aus 2 Sam 7,12f auf Jesus, der mit der Auferweckung den endgeschichtlichen davidischen Thron erhält und eine himmlische Herrscherposition übernimmt. Apg 13,23 hält fest, dass Gott aus dem Geschlecht Davids Jesus als "Retter" für sein Volk Israel geschickt hat. Nach Apg 13,34 hat Gott die David fest zugesagte heilvolle Zuwendung (Jes 55,3) in der Auferweckung Jesu erfüllt. Apg 15,14-18 bezieht die "zerfallene Hütte Davids", die Gott wieder aufrichten wird, aus der Prophetie von Am 9,11f auf Jesu endgeschichtliche Herrschaft, die das untergegangene Königtum Davids auf neue Weise als Königsherrschaft Gottes über Israel und die Völker restituiert.

Bild: ©lifeinistanbul/Fotolia.com

Jesus Christus als Pantokrator (Weltenherrscher) auf einem Mosaik in der Hagia Sophia in Istanbul.

Allerdings wurde die davidische Herkunft des Messias in Bezug auf Jesus auch aufgebrochen. In Mk 12,35-37 (Mt 22,41-46 // Lk 20,41-44) argumentiert Jesus mit einer Schriftauslegung von Ps 110,1: Wenn David selbst, der Verfasser des Psalms, den erwarteten Messias "Herr" nennt, inwiefern kann dieser noch Davids Sohn sein? Die davidische Herkunft des Messias wird damit nicht grundsätzlich infrage gestellt, denn dem blinden Bartimäus brachte der "Sohn Davids" Heilung (Mk 10,47f), und die jubelnde Menge beim Einzug nach Jerusalem erkannte in Jesus die „Herrschaft unseres Vaters David" (Mk 11,10). Genau da aber wird die Gefahr sichtbar, Jesu Auftreten als Messias mit einem irdischen Königtum, einer politischen Herrschaft zu identifizieren — was der zeitgenössischen Erwartung entspricht. Mk 12,35-37 bricht diese Erwartung auf und zeigt, dass Jesu Herrschaft anders ist. Der erhöhte Jesus sitzt als Herr gemäß Ps 110,1 "zur Rechten Gottes", er ist Mitherrscher und himmlischer Repräsentant Gottes. Jesu Messias-Sein hängt nicht an der Genealogie, sondern an der Ermächtigung durch Gott. Damit aber erfüllt Jesus zugleich die Verheißung an David. Diese Stufung war schon in Röm 1,3f angelegt.

Sohn Davids

Die Bezeichnung "Sohn Davids" setzt die genealogische Herkunft aus dem Geschlecht Davids voraus. „Sohn Davids" nannte schon PsSal 17,21 den erwarteten Messias-König. Mit einem solchen Titel konnte man eine Person über ihre Abstammung legitimieren. So wurde z. B. der römische Kaiser als divifilius, Sohn eines vergöttlichten Vorgängers, tituliert. Die ersten Christen konnten Jesus mit "Sohn Davids" als Messias für Israel kennzeichnen.

Die Synoptiker erzählen, wie der blinde Bettler Bartimäus zweimal Jesus laut als "Sohn Davids" um Erbarmen anruft (Mk 10,47f // Mt 20,30f // Lk 18,38f). Mit diesem Ruf erkennt ihn Bartimäus als Messias aus Davids Geschlecht an und konzentriert sein Wirken auf das Volk Israel. Bartimäus kann von ihm Heilung erwarten, da der Messias nach der üblichen Vorstellung Wohlergehen und Rettung für Israel bringen soll, auch wenn die messianische Heilszeit nur selten explizit mit Heilungen verbunden wird (Jes 61,1; 4Q521 fr. 2, II 1.8; syrBar 73,2). So ruft Bartimäus sein Vertrauen auf die Vollmacht des Davidsohns Jesus hinaus. Der Fortgang der Erzählung gibt ihm recht: Jesus tritt nicht nur in einen Dialog mit ihm, bei dem er seine Bitte, wieder sehen zu können, äußern kann, sondern heilt ihn auch.

Besondere Relevanz gewinnt der Titel "Sohn Davids" im Matthäus-Evangelium. Bereits die Überschrift Mt 1,1 bestimmt Jesus Christus durch eine doppelte Herkunft: Sohn Davids und Sohn Abrahams. Dass Jesus der Messias aus dem Geschlecht Davids ist, stellt ein christologisches Leitmotiv des MtEv dar. Jesus erfüllt die messianischen Verheißungen und wendet sich in erster Linie an Israel, das Volk Gottes. Ergänzt wird dies jedoch durch den Segen für alle Völker, dessen Träger Abraham ist. Die Öffnung für die Völker erhebt Mt 28,19 am Ende zum Programm.

Die Wurzel Jesse: Biblische Bilder in einem bekannten Weihnachtslied

Wer das Weihnachtslied "Es ist ein Ros entsprungen" singt, bemerkt gleich die eigentümlichen Metaphern darin. Sie verweisen auf das Alte Testament und wie der Prophet Jesaja dort ein Bild nutzt, das schon bald als Vorgriff auf Jesus gedeutet wurde.

In drei Heilungserzählungen (bei Mk war es nur eine) rufen Hilfesuchende Jesus als "Sohn Davids" an (Mt 9,27; 15,22; 20,31f), und ebenfalls im Kontext einer Heilung kommt in Mt 12,23 die Frage im Volk auf, ob Jesus der Sohn Davids ist. Selbst eine Kanaanäerin (also eine Nichtjüdin), die in 15,22 Jesus als "Sohn Davids" anspricht, versteht ihn als den Messias Israels - und deutet den Einschluss der Völker in Gottes Heil bereits an. Zudem fügt Mt 21,9 beim Einzug Jesu nach Jerusalem den Jubelruf „Hosanna dem Sohn Davids" ein und wiederholt ihn im Mund von Kindern in 21,15 nach weiteren Heilungen von Blinden und Lahmen im Tempel. So wird Jesus, der Sohn Davids, als heilender Messias wahrgenommen, der seine Königsherrschaft an Israel gerade darin ausübt, dass er Kranke gesund macht. Er weiß sich zu "den verlorenen Schafen des Hauses Israel" gesandt (Mt 10,6; 15,24). Wenn „Sohn Davids" bevorzugt bei Blindenheilungen steht, lässt sich eine metaphorische Dimension kaum übersehen: Der Sohn Davids heilt die, die durch den Einfluss der falschen Autoritäten "blind" geworden sind. Seine einzigartige Nähe zu Gott als Sohn Gottes (Mt 11,27; 16,16f) setzt Jesus als Sohn Davids in heilenden Machttaten um – und öffnet so neu für Gott.

Schlüssel und Wurzel Davids in der Offenbarung des Johannes

Die Offenbarung bringt die davidische Abstammung Jesu auf eigene Weise zum Ausdruck, indem sie ihm bestimmte Attribute Davids zuschreibt. Nach Offb 3,7 besitzt Jesus „den Schlüssel Davids", der verbindlich öffnet und schließt. Das Bild, das aus Jes 22,22 stammt („der Schlüssel des Hauses David"), bezeichnet die messianische Herrschaft über Israel und die Völker. Bereits in Offb 1,18 hieß es, Jesus habe die Schlüssel zum Tod und zum Hades, also die Vollmacht über den Tod. Wenn in 3,7 der Christus, der Messias, mit dem Schlüssel Davids öffnet oder verschließt, entscheidet sich jetzt an ihm der Zugang zu Gott. Das frühjüdische Bild des Messias als Gesandter und Bevollmächtigter Gottes wird auf den Christus Jesus hin interpretiert.

An zwei Stellen wird Christus mit der "Wurzel Davids" identifiziert (Offb 5,5; 22,16). Das Bild der Wurzel erinnert an Jes 11,1.10, wo allerdings von der „Wurzel Isais", des Vaters Davids, die Rede ist. Jesaja verheißt unter Rückgriff auf die guten Anfänge der Daviddynastie einen gerechten, nicht korrumpierten Herrscher für Israel ein-schließlich der Völker. In einer himmlischen Thronsaalvision wird dem Seher in Offb 5,5 mitgeteilt: "Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda (Gen 49,9), die Wurzel Davids". Als Wurzel Davids stammt Jesus nicht nur aus Davids Geschlecht, sondern verkörpert die ideale davidische Herrschaft — als Messias, als siegreicher endgeschichtlicher Herrscher. Doch sofort bricht Offb 5,6 das Siegesbild: Als Kontrast zur Machtfigur tritt ein "Lamm, wie geschlachtet" auf. Der Sieg entspricht dem Kreuzestod! Die Herrschaft des Lammes gründet nicht auf Macht und Gewalt wie bei politischen Herrschern und dem römischen Kaiser. Vielmehr wirkt sein Tod Gottes Heil für die Menschen. In Offb 22,16 spricht der erhöhte Jesus: "Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids." Die Identifizierung ist auffällig. In Jesus ist die davidische Königsherrschaft Gestalt geworden. Die Geschichte der Daviddynastie war in Gottes Heilsplan von Anfang an auf Jesus hin gerichtet. Was in der "Wurzel Davids" angelegt war, kommt als Herrschaft des Messias Jesus über Israel und die Völker ans Ziel.

Von Stefan Schreiber

Der Autor

Stefan Schreiber ist Professor für Neues Testament an der Universität Augsburg. Seine Forschungsschwer­punkte: Paulus und das frühe Judentum; neu-testamentliche Schriften in ihrer politischen Welt; Geschichte des Urchris­tentums; Christologie; neutestamentliche Her­meneutik und Methodik.

Hinweis

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift "Welt und Umwelt der Bibel" (Ausgabe 1/2024).