"Tendenz zur Vertuschung": Bericht in Rottenburg-Stuttgart vorgelegt
Es sind kirchliche Abgründe, in die die Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese Rottenburg-Stuttgart eingetaucht ist. So wie andere Aufarbeitungskommissionen in katholischen Bistümern vor ihr. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart seien bis in die 1990er Jahre im Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker "Dilettantismus, Überforderung und Inkompetenz, Verschleierung oder Vertuschung" vorherrschend gewesen. Kombiniert mit fehlender Transparenz von Kirchenverantwortlichen sowie "eigener Betroffenheit durch persönliche, berufliche und vor allem geistliche Verbindungen zu den Tätern", heißt es in dem am Donnerstag bekanntgewordenen Jahresbericht 2023 der Kommission.
Das lasse sich als ein erstes Ergebnis der Zeitzeugengespräche und Aktenauswertungen der seit zwei Jahren tätigen Kommission festhalten. Auf "sämtlichen Ebenen" sei im Kontrast dazu jedoch "in der neueren Zeit eine deutliche Professionalisierung, ernsthafte Auseinandersetzung und Konfrontation mit dem Thema sexualisierte Gewalt festzustellen".
In früheren Jahren habe es hingegen "eine klare Tendenz zur Vertuschung und zum Schutz der Institution Katholische Kirche vor der Öffentlichkeit und vor den staatlichen Strafverfolgungsbehörden" gegeben. Selbst kirchliche Strafen seien "so 'getimed' worden, dass es möglichst nicht auffiel", heißt es in dem Bericht, der mit Anlagen insgesamt 70 Seiten umfasst.
Der vor wenigen Monaten aus dem Amt geschiedene Bischof Gebhard Fürst amtierte von September 2000 bis Dezember 2023 – und kommt im Bericht gut weg. Zuvor aber war der heute 91-jährige Kardinal Walter Kasper Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart – von 1989 bis 1999. Die Kommission betont, dass Zeitzeugengespräche mit früheren Personalverantwortlichen – inklusive Kasper und dem früheren Diözesanadministrator sowie Weihbischof Johannes Kreidler – Erkenntnisse zu Verfahrensabläufen, zum Verhalten der Kirche zu Tätern und Betroffenen sowie zur Aktenbehandlung erbracht hätten.
"Die Mehrzahl der Zeitzeugen wurde danach gefragt, ob sie Kenntnis von Vertuschung, insbesondere auch durch Aktenvernichtung haben", so die Kommission. Von "gezielter Vertuschung sexualisierter Gewalt durch Aktenvernichtung" berichte zwar keiner der Zeitzeugen. Allerdings habe gerade im Umgang mit dem Themengebiet sexualisierter Gewalt ein persönliches Prinzip gegolten: "Vieles wurde mündlich beziehungsweise telefonisch besprochen und verhandelt; Gesprächsinhalte wurden nicht aktenkundig." Fazit der Kommission: "Verschleierung war deshalb ein Dauerzustand, bei dem die aktive Vertuschung nicht nötig wurde."
Missbrauch war kein Geheimnis
Sexueller Missbrauch in der Diözese sei "innerhalb der Kirchenstruktur kein Geheimnis, sondern grundsätzlich ein bekanntes Phänomen" gewesen. Präzise definierte Begriffe wie "sexueller Missbrauch" oder "sexualisierte Gewalt" seien damals aber in der katholischen Kirche und ihrer Verwaltung nicht gebräuchlich gewesen. In dieser Sprachkultur sei auf verharmlosende Formulierungen zurückgegriffen worden. Fälle seien nicht ernst genommen oder schöngeredet worden.
"Verstecken" sei offenbar ein gängiger Begriff für den Umgang mit kirchlichen Sexualstraftätern gewesen. So heiße es in einem Fall aus der Bischofs-Amtszeit von Walter Kasper in einer Aktennotiz des damaligen Personalreferenten: "Er müsste dann halt noch einen Monat im (Kloster) verlängern. Ich weiß kein anderes 'Versteck'".
Vor Kasper amtierten als Bischöfe Georg Moser (1975 bis 1988) sowie Carl Joseph Leiprecht (1949 bis 1974). Ein "schwerer Fall von Vertuschung" treffe Bischof Leiprecht, betonte die Kommission. Im Fall eines des Geschlechtsverkehrs mit zwei minderjährigen Mädchen beschuldigten Pfarrers sei es mit einem der Mädchen zu einem weiteren Missbrauch gekommen – trotz "Sühne- und Sicherheitsmaßnahmen" und Androhung einer Suspension, wie aus Dokumenten folge. Das Unterlassen einer Suspendierung und der unterlassene Abzug des Pfarrers aus der Gemeinde nach der ersten Tat sei "ursächlich" für die weitere Tat, "die somit in den Verantwortungsbereich des Bischofs fällt", so die Kommission. Erst nach diesem zweiten Vorfall wurde der Pfarrer aus der Gemeinde entfernt – es kam jedoch zu keiner Anklage und zu keiner gerichtlichen Verfolgung der Missbrauchstaten.