Standpunkt

Taizé zeigt: In der Ökumene die Praxis nicht der Theorie unterordnen

Veröffentlicht am 17.04.2024 um 00:01 Uhr – Von Simon Linder – Lesedauer: 

Bonn ‐ Heute vor 75 Jahren entstand mit dem Gelübde einiger junger Männer um Roger Schutz die Gemeinschaft von Taizé. Bis heute gibt sie wichtige Impulse für die ökumenischen Bemühungen – gerade wegen ihrer Herangehensweise, kommentiert Simon Linder.

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Am Ostersonntag des Jahres 1949, dem 17. April, legten sieben junge Männer ihr Gelübde ab: Sie wollten gemeinsam in Einfachheit leben, ihre Güter teilen und ehelos bleiben. So entstand die Communauté de Taizé, Prior wurde Frère Roger. Schon zuvor hatten die Männer gemeinsam mit Geneviève, der Schwester Frère Rogers, Menschen geholfen, die während des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland geflohen waren. Eine Ordensregel schrieb Frère Roger erst ein paar Jahre später. Wichtiger war, erst einmal anzufangen.

Taizé ist in den vergangenen 75 Jahren zu einem bedeutenden Ort geworden – auch für die Ökumene: Kürzlich folgte als Prior auf den Katholiken Frère Alois der Anglikaner Frère Matthew; und die ersten sieben Brüder von 1949 waren evangelisch. Nachdem Frère Roger von Joseph Ratzinger bei der Begräbnisfeier von Papst Johannes Paul II. die Kommunion erhalten hatte, gab es Diskussionen um eine mögliche Konversion zum katholischen Glauben. Frère Alois dementierte eine Konversion später und erinnerte an ein Zitat von Frère Roger aus dem Jahr 1980: "Ich habe meine Identität als Christ darin gefunden, in mir selbst den Glauben meiner Herkunft mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit irgendjemand die Gemeinschaft abzubrechen." Das bedeutet nach meinem Verständnis: Entscheidend ist nicht das, was uns zu trennen scheint – sondern das, was uns verbindet.

In der Theologie wird Ökumene bis heute häufig genug so gedacht: Es werden unterschiedliche Glaubensvorstellungen diskutiert, Gemeinsamkeiten gesucht und Kompromisse gefunden, um dann gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Taizé stellt diesen Ablauf vom Kopf auf die Füße: Hier wird gemeinsam gebetet und gefeiert – und falls währenddessen Fragen aufkommen, kann man die ja später klären. Vielleicht kann diese Herangehensweise und die Geschichte von Taizé ein wichtiger Impuls in den theologischen Bemühungen um eine Einheit der Konfessionen sein: Erst einmal anfangen – und die Praxis, wie sie etwa in Taizé seit Jahrzehnten funktioniert, nicht der Theorie unterordnen. Und dann schauen wir mal, was in 75 Jahren daraus geworden sein wird.

Von Simon Linder

Der Autor

Simon Linder arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Universität Tübingen. Er ist promovierter Katholischer Theologe und hat einen Studienabschluss in Allgemeiner Rhetorik. Aktuell forscht er zum Thema "Assistierter Suizid".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.