BDKJ-Chefin: Junge Menschen können ihre Welt mitgestalten!
Heute geht es los: In ganz Deutschland versuchen Jugendgruppen, die Welt in 72 Stunden besser zu machen. Zehntausende Kinder und Jugendliche arbeiten bei der 72-Stunden-Aktion an sozialen Projekten. Die Aktion wird organisiert von den Jugendverbänden im Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ). Im Interview erzählt BDKJ-Bundesvorsitzende Lena Bloemacher, welche Schwerpunkte es in diesem Jahr gibt, vor welchen Herausforderungen die Jugendarbeit nach der Corona-Pandemie steht – und wann die nächste 72-Stunden-Aktion stattfinden könnte.
Frage: Frau Bloemacher, gut 2.500 Gruppen nehmen an der 72-Stunden-Aktion teil. Was ist Ihr Highlight? Auf welches Projekt freuen Sie sich?
Lena Bloemacher: Erst einmal freue ich mich, dass wir kurz vor Beginn sogar noch mehr geworden sind: Aktuell sind wir bei knapp über 2.700 Gruppen! Bis zum Aktionsstart sind noch Anmeldungen bei uns eingegangen. Ein Projekt, das mir sehr gut gefällt, ist von den Pfadfinderinnen in Bamberg. In verschiedenen Altersgruppen nehmen sie ihre Heimatstadt in den Blick: Die Kinder überlegen, wie sie ihre Stadt kinderfreundlicher gestalten können, die jüngeren Jugendlichen beschäftigen sich mit Ökologie und Nachhaltigkeit, und die Jugendlichen von 14 bis 16 Jahren überlegen sich, wie sich FLINTA*-Personen, also Menschen, die keine Männer sind, in der Stadt wohlfühlen können. Am Ende gibt es dann eine öffentliche Ausstellung mit den Ergebnissen der Erkundungen und Ideensammlungen. Dieses Mal befassen sich aber auch viele Projekte mit Klimaschutz und Demokratiestärkung.
Frage: Wie kann man in 72 Stunden die Demokratie stärken?
Bloemacher: In Mainz gibt es ein Projekt, in dem Jugendliche mit Memes und Videos auf Probleme aufmerksam machen und so mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen. Eine Gruppe in Worms macht ein Graffitiprojekt, um auf künstlerische Weise zu reflektieren, welche politischen Spannungen und drängenden Probleme in der Welt sie gerade wahrnehmen.
Frage: Bei vergangenen Aktionen wurden viele Barfußpfade und Insektenhotels gebaut. Haben politische Projekte die handfesten Bauprojekte abgelöst?
Bloemacher: Die klassischen Bauprojekte gibt es weiterhin – das macht ja auch viel Spaß, etwas ganz Solides aufzubauen. Insektenhotels gibt es definitiv noch, Gärten werden angelegt, Friedhöfe gepflegt. Beim Fernsehgottesdienst vor zwei Wochen hat eine Gruppe ihr Projekt vorgestellt, die einen Fichtenwald aufforstet.
Frage: Der Vorteil von einem Fichtenwald ist, dass er eine ganze Weile wächst. Wie sieht es denn sonst mit der Nachhaltigkeit der Projekte aus? Was bleibt nach 72 Stunden Arbeit?
Bloemacher: Viele Gruppen übernehmen auch nach den 72 Stunden Verantwortung für ihr Projekt und pflegen zum Beispiel die Kräuterspirale weiter, die sie in einem Seniorenheim gebaut haben. Oft entstehen da auch gute Kontakte zwischen den Jugendgruppen und ihren Einsatzorten. Ich freue mich immer, wenn ich wo hin komme und da noch Jahre nach der Aktion das Logo zu sehen ist und Projekte weiter gepflegt werden. Aber natürlich ist nicht alles auf ewig. Erst einmal kommt es darauf an, dass Kinder und Jugendliche erfahren, dass sie in ihrer Lebenswelt mit ihrem Engagement etwas Sinnvolles bewegen können. Und dass andere mitbekommen, dass junge Menschen bereit und fähig sind, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten.
Frage: Die Resonanz ist dieses Mal allerdings nicht ganz so hoch wie beim letzten Mal vor fünf Jahren …
Bloemacher: Ja, diese Aktion ist etwas kleiner als die letzte. Die Corona-Pandemie hat vieles in der Jugendarbeit verändert, dazu kommt, dass in diesem Jahr sehr viele Veranstaltungen sind: neben der 72-Stunden-Aktion auch noch der Katholikentag und die Messdiener-Wallfahrt nach Rom. Die Stimmung ist aber sehr gut. Alle fiebern darauf hin, dass es jetzt losgeht.
Frage: Hoffen Sie, auch neue Mitglieder und Ortsgruppen für die Jugendverbände zu gewinnen?
Bloemacher: Das ist nicht das primäre Ziel. Erst einmal stärkt es die vorhandenen Gruppen, wenn sie merken, was sie schaffen können, wenn sie gemeinsam etwas Großartiges leisten. Es haben sich auch wieder einige Jugendgruppen angemeldet, die nicht zu BDKJ-Verbänden gehören. Wenn das etwa eine Jugendfeuerwehr ist, müssen wir die nicht in einen BDKJ-Verband holen, da sie schon eine gute Struktur haben. Aber wenn das eine Gruppe ist, die bisher nicht organisiert ist, freuen wir uns, wenn wir sie mit der Aktion für einen Jugendverband begeistern können.
Frage: Wo steht die verbandliche Jugendarbeit nach Corona?
Bloemacher: Systematische Studien gibt es dazu nicht. Wir bemerken jetzt aber einen Erholungseffekt, nachdem drei Jahre lang die klassischen Formen kaum möglich waren. Dadurch haben Gelegenheiten gefehlt, bei denen Kinder und Jugendliche erleben können, wie toll das Engagement und das Leben im Jugendverband ist: von der Gruppenstunde bis zu Sommerfreizeiten. Uns fehlt auch quasi eine ganze Generation an Jugendleiter*innen, weil drei Jahre lang die Jugendleitungskurse ausfallen mussten und das nur schwer durch digitale Veranstaltungen kompensiert werden konnte. Viele ältere Leiter*innen haben zum Glück noch weiter Verantwortung übernommen, so dass es nicht zu einem völligen Abbruch kam. Wir sind aber sehr auf die Unterstützung von kirchlichen und kommunalen Strukturen angewiesen. Das ist eine Herausforderung, wenn das Geld knapp wird.
Frage: Welche Unterstützung braucht die Jugendarbeit?
Bloemacher: Zum einen ganz schnöde Geld. Staatliche und kirchliche Zuschüsse für Ferienfreizeiten sind wichtig, um solche Angebote weiterhin bezahlbar zu halten. Wir brauchen aber auch eine offene Haltung gegenüber dem Engagement von Jugendlichen. Das sehen wir jetzt auch bei der 72-Stunden-Aktion: Wo die politische Gemeinde und die Pfarreien hinter ihrer Jugendarbeit vor Ort stehen und sie unterstützen, läuft es sehr gut. Das beginnt bei der Wertschätzung, wenn der Bürgermeister, die Bürgermeisterin oder der Pfarrer und Pfarrgemeinderatsvorsitzende bei der Aktionsgruppe vorbeischauen und anpacken, es braucht aber über die Aktion hinaus auch eine strukturelle Unterstützung durch Hauptamtliche.
Frage: Die letzte 72-Stunden-Aktion war 2019, jetzt ist es 2024 – sind fünf Jahre Abstand nicht zu viel in der schnelllebigen Jugendarbeit?
Bloemacher: Das kann man so sehen. Aber man muss auch den enormen Aufwand sehen, den es für diese Aktion braucht. Das erleben wir auf Bundesebene, und auch unsere Diözesanverbände melden uns zurück, dass das nicht häufiger zu leisten ist. Wir entscheiden demokratisch im Verband, ob und wann es die nächste 72-Stunden-Aktion gibt. Die Initiative dazu muss von unseren Mitgliedern ausgehen, wir als Bundesvorstand setzen es dann um. Natürlich könnten wir auch alle zwei Jahre eine 72-Stunden-Aktion machen. Dafür müssten wir aber gründlich unsere Strukturen ändern und unsere Ressourcen fast komplett dafür einsetzen.
Frage: Fänden Sie das gut?
Bloemacher: Ich hätte da die Befürchtung, dass bei einer höheren Frequenz das Besondere, der Eventcharakter verloren geht. Dann hätten wir vielleicht nur noch 500 Gruppen, die regelmäßig dabei sind. Ich finde es ganz gut, dass es nach dieser Riesenaktion eine gewisse Erholungsphase gibt – und wir machen ja noch viele andere Dinge in unseren Verbänden.
Frage: Schauen wir in die nähere Zukunft: Was hoffen Sie für die nächsten 72 Stunden?
Bloemacher: Vor allem, dass keine größeren Unfälle passieren. Wir haben gute Notfall- und Krisenpläne, aber am besten ist, wenn man sie nicht braucht. Ich freue mich auf den Sonntagabend, wenn alle Teilnehmenden stolz darauf sein können auf das, was sie geschafft haben und alle feiern können.