Essen: Franziskus rhetorisch innovativ, aber ohne echten Reformwillen
Der Berliner Dogmatiker Georg Essen sieht im Pontifikat von Papst Franziskus ein rhetorisch innovatives Auftreten, aber keinen ernsthaften Willen zu entsprechenden Reformen von Glaubenslehre und Kirchenrecht. In einem Gespräch mit dem Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in der "Herder-Korrespondenz Spezial" zum Thema "Theologie" sagte Essen, dass der Begriff "Synodalität" durch den Papst nicht genug definiert werde: "Was eigentlich umfasst der Begriff der Synodalität inhaltsbestimmt und was ist sein dogmatischer und rechtlicher Geltungssinn?" Die anscheinend bewusst herbeigeführte Vagheit des Begriffes verführe zu "Kirchenträumereien", dadurch seien Enttäuschungen inbegriffen.
Die Funktion der Dogmatik sei es, hier auf schlüssige und kohärente Begründungen zu beharren. Mit Blick auf den Synodalen Weg, dessen Anliegen er teile, halte Essen es daher für problematisch, sich von den Vorgaben der Glaubenslehre zu lösen: "Was überdies nicht rechtlich abgesichert ist und in der kirchlichen Verfassungsordnung nicht verankert wird, ist notorisch willküranfällig."
Kirche durch dogmatische Verengungen in Sackgasse
Unter Verweis auf Thomas von Aquin betonte Wolf in dem Gespräch die Bedeutung der Theologie für das Lehramt: "Für den Aquinaten gibt es ein Lehramt der Hirten und ein Lehramt der Magister, die Hirten können nur im Modus der Verkündigung den Glauben bezeugen, die Theologen aber müssen den Glauben weiterentwickeln, indem sie ihn mit vernünftigen, plausiblen Methoden reflektieren." Die Theologen hätten sich aber im Grund im 19. Jahrhundert "das Lehramt von den Hirten stehlen lassen", so Wolf weiter.
Diese Ansicht teilt Essen: Man könne sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Lehramt eine eigene Theologie betreibe und dabei teils auch wissenschaftliche Theologie ignoriere. Dazu kämen die dogmatischen und rechtlichen Verengungen, die die Kirche in eine Sackgasse geführt hätten. "Es wäre deshalb ein lohnendes Projekt von Kirchengeschichte und systematischer Theologie, dem eine normative Hermeneutik entgegenzusetzen, um jene Festlegungen verflüssigen und Blockaden überwinden zu können, die die Weite der Tradition ungebührlich verengen oder gar verfälschen." Man habe sich durch eine Fiktion einer Hermeneutik der Kontinuität in eine dogmatische Falle locken lassen: "Die kirchenhistorischen Diskontinuitäten, die wir heute aufdecken, gehören zur innovativen Gestaltungskraft früherer Jahrhunderte." Man dürfe sich nicht blind an traditionale Vorgaben binden, "die nicht mehr vergegenwärtigungsfähig und die gegebenenfalls auch nicht von der Weite vielschichtiger Traditionen gedeckt sind".
Wolf plädiert daher für einen doppelten Reformbegriff: "Erstens die reformatio in pristinum, also ein Konzept, das es historisch gab, das aber unterdrückt worden ist, wiederherstellen, wie bei der Diakonenweihe von Frauen. Zweitens die reformatio in melius. In der Kirchengeschichte kam es durch fortlaufende Inkulturationsprozesse zu Transformationen von Lehre und Struktur der Kirche und wirklichen Neuerfindungen." Als Beispiel führt der Kirchenhistoriker den Wandel des Bußverständnisses an, der durch die Beichtpraxis iroschottischer Mönche das frühere Verständnis ersetzt habe. (fxn)