Der Papst auf der Biennale: Ein Meilenstein zwischen Kirche und Kunst
Vom Enfant terrible zum Ausstellungsgast: Mit der Einladung des Italieners Maurizio Cattelan für den Vatikan-Pavillon bei der 60. Kunstbiennale von Venedig zeigt die Kirchenspitze, dass sie für Überraschungen offen ist. Cattelan hatte 1999 mit seiner Skulptur des von einem Meteoriten erschlagenen Papst Johannes Paul II. einen kalkulierten Medienhype erreicht. "Die Neunte Stunde" – wie das Kunstwerk nach der Todesstunde Jesu betitelt ist – galt damals vor allem in Polen als provokant bis beleidigend. Doch lässt es sich auch anders interpretieren: Als Frage nach Zufall und Bestimmung, Tod und Erlösung. Und mit dieser Thematik würde es sogar in die Sammlung für Moderne Kunst im Vatikan passen.
Die Kirche tat sich lange schwer mit der Moderne – auch in der Kunst. Es war vor allem Paul VI., der die vatikanische Pinakothek der Gegenwart öffnete. Der intellektuelle Papst Giovanni Battista Montini wollte den "verlorenen Faden" zwischen Kirche und Kunst wieder aufnehmen. Dazu lud er 1964 prominente Kunstschaffende zum Dialog in die Sixtinische Kapelle ein. 1973 konnte er auch dank vieler Schenkungen die vatikanische Sammlung von Kunstwerken des 20. Jahrhunderts und der Gegenwartskunst einweihen. Dazu gehören Klassiker der Moderne wie Vincent van Gogh, Marc Chagall, Carlo Carra, Giorgio de Chirico, Lucio Fontana oder Alberto Burri. Inzwischen umfasst die Sammlung rund 8.000 Werke.
In seiner Rede verwies der Papst damals auf den Spannungsbogen zwischen den modernen Exponaten und den Darstellungen in der Sixtinischen Kapelle, die bis heute wie kein anderer Ort für das Papsttum als Förderer der Kunst steht. Die Fresken dort prägten das Kunstschaffen über Jahrhunderte.
Anderer Blick durch Konzil
Den Grund für die spätere Entfremdung nannte Montini indirekt: Die Moderne orientiere sich weniger an der objektiven Außenwelt als an der subjektiven Innenwelt. Und dem Subjektivismus begegnete die Kirche mit Argwohn. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) änderte sich der Blick auf die Kunst. So würdigte Paul VI. das aktuelle Kunstschaffen als "außergewöhnlich menschlich und hoch zu schätzen".
Biblische oder historische Erzählungen gehören bis heute zum ikonografischen Repertoire. Sie dienen aber öfter dazu, die Frage nach der Bestimmung des Menschen zu thematisieren. Das zeigt sich etwa in der "Study for Velazquez Pope II." von Francis Bacon. Der katholisch sozialisierte Bacon bezieht sich in seinem Werk auf das Porträt, das Diego Velazquez 1650 von Innozenz X. anfertigte. Doch ist der selbstbewusste Pontifex unter Bacons harten Pinselstrichen kaum wiederzuerkennen und wird zu einer Ikone des Selbstzweifels.
Der Durchgang durch die Gestaltungswelten der Gegenwart erlaubt zugleich einen neuen Blick auf die Botschaft der Sixtina, jenseits einer historisierenden Sichtweise. Mit dieser Verbindung gelang es dem Montini-Papst, "die Freundschaft zwischen Kirche und Künstlern neu zu gründen". Fast alle seine Nachfolger auf dem Stuhl Petri luden Kunstschaffende in die Sixtina ein. Der Dichter-Papst Johannes Paul II. betonte in seinem "Brief an die Künstler", dass die Kirche die Kunst brauche, "um die Botschaft weiterzugeben, die ihr von Christus anvertraut wurde" und ermutigte sie, neue Inspirationen in der Offenbarung zu finden.
"Hüter der Schönheit"
Der Einladung von Papst Benedikt XVI. in die Sixtina folgten 2009 etwa der Videokünstler Bill Viola, der Theaterregisseur Peter Stein, der Arte-Povera-Künstler Jannis Kounellis, der Komponist Arvo Pärt oder die Architekten Daniel Libeskind, Zaha Hadid und Mario Botta. Benedikt XVI. nannte die Künstler "Hüter der Schönheit". Dabei wandte er sich einerseits gegen einen "Kult des Hässlichen", demzufolge Schönheit nur Schein sei und einer "verlogenen Schönheit" oberflächlicher Ästhetik. Paradigma ist für ihn die "Ikone des Gekreuzigten", die alle äußere Schönheit ablege, um die wahre Schönheit der Liebe Gottes zu zeigen.
Papst Franziskus kommt als erstes Kirchenoberhaupt nach Venedig zur Biennale. Bei einer Audienz zum 50. Jahrestag der Sammlung Moderne Kunst im Vatikan betonte er im vergangenen Jahr die besondere Beziehung der Kirche zu den Künstlern. "Es handelt sich um eine natürliche Freundschaft, weil der Künstler die unauslotbare Tiefe der Existenz, des Lebens und der Welt auch mit ihren Widersprüchen und tragischen Seiten ernst nimmt". Diesen Anspruch unterstreicht er in Venedig durch das ungewöhnliche Setting des Vatikan-Pavillons in einer realen Haftanstalt. Damit verbindet er existenzielle Grenzerfahrungen am Rande der Gesellschaft mit denen der Kunst.