Anna Schäffer: Heilige der Lebensbrüche
Anna Schäffers Geschichte ist die des Leidens und der Hingabe an Gott. Bereits als Kind bietet sie sich Gott in tiefem Glauben als "Sühneopfer" dar. Als Jugendliche zieht es sie in die Mission, doch dieses Ziel wird sie nie erreichen. Ihre Lebenspläne zerbrechen nach einem folgenschweren Unfall, der sie für den Rest ihres Lebens ans Bett fesselt.
Die junge Frau verliert aber Gott nicht aus dem Blick und erinnert sich an das Versprechen ihrer Kindheit. Ihr Leidensweg wird zur Passion. Aus ihrem Glauben schöpft sie Kraft für den verständnis- und liebevollen Rat, den sie vielen Menschen gegeben hat: Ihre Briefe und die Erinnerungen vieler Menschen an Besuche an ihrem Krankenbett sind beredtes Zeugnis davon. Deswegen können sich heute Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Lebensbrüche erleben müssen, an sie als Mittlerin und Fürsprecherin wenden.
Anna Schäffer wurde am 18. Februar 1882 als Tochter eines Schreiners in Mindelstetten bei Ingolstadt geboren und getauft. Die kinderreiche Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen. Als Anna 1894 zur Ersten Heiligen Kommunion gehen durfte, bot sie dem Heiland ihr Leben als Opfer an. Mit 13 Jahren kam sie in den Dienst als Hausmädchen nach Regensburg; hier hoffte sie die Aussteuer für die Aufnahme in einen Orden verdienen zu können: Anna wollte in die Mission gehen.
In der Waschküche beginnt die Leidenszeit
Im Juni 1898 habe Anna den entscheidenden Anruf Jesu empfangen: Sie werde bald schon viel und lange leiden. Obwohl das Kind eine große Bereitschaft zur Hingabe besaß, reagiert sie zunächst wie jeder gesunde Mensch mit Erschrecken. Sie fand im Forsthaus zu Stammham eine neue Stelle. Am 4. Februar 1901 begann dort in der Waschküche ihre Leidenszeit. Weil sich das Ofenrohr über dem Wasserkessel von der Wand gelöst hatte, versuchte sie, den Schaden zu beheben. Dabei glitt sie aus und rutschte mit beiden Beinen bis über die Knie in den Kessel mit kochender Lauge. Weder im Distriktkrankenhaus Kösching, noch in der Klinik in Erlangen gelang es, die Wunden zu heilen. Als Frühinvalide im Mai 1902 entlassen, verschlimmerte sich ihr Zustand so sehr, dass sie bald das Krankenlager nicht mehr verlassen konnte. Und: Zu dem schweren Siechtum gesellte sich auch bittere Armut.
Nach zunächst vergeblichem Aufbäumen habe Anna den Willen Gottes erkennen können und immer freudiger habe sie ihn bejaht, schreibt der Postulator, Domvikar Georg Schwager, Leiter der Abteilung Selig- und Heiligsprechungsverfahren im Ordinariat des Bistums Regensburg. In ihrem Leiden und in ihrem armseligen Dasein habe das Mädchen "einen liebevollen Ruf des Gekreuzigten, ihre Lebensaufgabe und Erfüllung" begriffen. Sie habe den Entschluss gefasst, ihr Leben und Leiden Gott als Sühneopfer darzubringen und entwickelte einen erstaunlichen Gebets-, Buß- und Sühneeifer. Der Ortspfarrer Karl Rieger sei ihr dabei ein guter Seelenführer gewesen und habe ihr täglich die Kommunion gebracht. Und es leistete ihr, wie auch andere im Dorf, materielle Hilfe.
Im Herbst 1910 ereigneten sich außerordentliche Dinge, so Domvikar Georg Schwager. In Träumen habe Anna zuerst den Heiligen Franziskus und dann den Heiland, der ihr Sühneopfer anzunehmen bereit war, visionär geschaut. Seither trug Anna die Wundmale Christi. Fortan erstarkte bei Anna der Apostolatsgedanken: Sie versprach ihr Fürbittgebet, tröstete in Wort und Schrift diejenigen, die sich an sie wandten. Nicht nur aus ihrer Heimat, sondern auch aus Österreich, der Schweiz und sogar aus Amerika kamen Bittbriefe. Die Menschen aus der Umgebung besuchten sie.
Ihr Zustand verschlechtert sich
Ab dem Markustag 1923, an dem Anna in einer Ekstase das Karfreitags-Geschehen miterleben durfte, verschlechterte sich zusehends ihr Zustand. Völlige Lähmung der Beine, Krämpfe als Folge eines Rückenmarksleidens und Darmkrebs stellten sich ein. Kurze Zeit vor ihrem Tod stürzte Anna Schäffer aus dem Bett und erlitt eine Gehirnverletzung, die das Sprechen und das Sehen beeinträchtigte. Ihre Leiden waren in den letzten Lebensjahren so qualvoll, so Postulator Domvikar Schwager, dass sich alle wunderten, dass ein Mensch so furchtbare, fast unglaubliche körperliche Qualen ertragen könne.
Link-Tipp: "Anna Schäffer ist eine moderne Heilige"
Im katholisch.de-Interview spricht der damalige Erzbischof Gerhard Ludwig Müller vor der Heiligsprechung über die Brüche im Leben von Anna Schäffer, ihren Glauben und ihre Wirkung auf die Menschen.Am Morgen des 5. Oktober 1925 empfing die Sterbende zum letzten Mal die Kommunion, "die Kraftquelle ihres 25-jährigen Leidens", wie sie gemäß Postulator Schwager immer wieder gesagt hat. Allein daraus habe sie ihr schweres Leiden und Schicksal gläubig und gottergeben ertragen. In ihrem letzten Brief bekennt Anna Schäffer: "Meine größte Stärke ist die Heilige Kommunion". Ihr Todestag, der 5. Oktober, ist heute der Gedenktag der Heiligen.
Papst Benedikt XVI. erhob Anna Schäffer im Oktober 2012 auf dem Petersplatz in Rom in den Kreis der verehrungswürdigen Vorbilder für Katholiken in aller Welt. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, damals gerade Präfekte der Glaubenskongregation in Rom geworden, betonte angesichts der Heiligsprechung, "dass es nicht nur die körperlichen Leiden gibt, die sicher furchtbar sind". Er verwies ebenso auf die geistigen, seelischen Verwundungen. Es sei sehr wichtig, dass Menschen nicht hoffnungslos würden. "Wir haben alle bestimmte Lebenspläne und wenn die aus irgendeinem Grund nicht Erfüllung gehen, dann denkt mancher: Jetzt hat alles keinen Sinn mehr. Viele können mit dem Älterwerden nicht umgehen, Menschen werden verlassen, Ehen gehen zu Bruch. Kinder verlieren den Zugang zu den eigenen Eltern, obwohl sie dazu ein Grundrecht haben", so Müller.
Es gebe viel Leiden in der Welt und die heilige Anna Schäffer könne uns zeigen, dass man damit auch umgehen kann, wie daraus etwas Positives gewonnen werden könne. Insofern ist sie eine moderne Heilige: Anna Schäffer versteht Menschen mit Lebensbrüchen nur allzu gut und will ihnen eine Brücke sein zu Gott: Die Patronin derer, die Brüche in ihrem Leben erlitten haben.