Gedenktag 8. Mai: Spart euch die Plattitüden!

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Heute vor 79 Jahren besiegelte die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Längst scheint die dramatische Ambivalenz dieses Tages durch entlastende Einheitlichkeit überschrieben worden zu sein. Die zunehmende Durchsetzung "Tag der Befreiung" als alleinige Bezeichnung im Täterland Deutschland spricht Bände.
Damit einher gehen wohlwollende Phrasen, die so ritualisiert wiederholt werden, dass sie mittlerweile jedes Jahr für jeden Gedenktag Verwendung finden: "Es war noch nie so schlimm" (jährliche Superlative nutzen sich ab), "Kein Platz für Rassismus und Antisemitismus" (und wenn der Menschenhass nie weg war?) und natürlich "Wir stehen für Demokratie und Menschenrechte" (welches wir?).
Der Soziologe Y. Michal Bodemann kritisiert diese Form der Erinnerungskultur pointiert als Gedächtnistheater. Statt mahnend wirkender Erinnerung geht es vielfach um die eigene Wiedergutwerdung einer Mehrheitsgesellschaft mit Nazi-Hintergrund: Wer in der Geschichte ultimativ böse war, darf sich heute dank Aufarbeitung zu den weisungsbefugten Superguten zählen. Erinnerungsüberlegenheit nennt der Journalist Mohamed Amjahid das.
Besonders gern scheint die Kirche, die gerade wirklich wenig Grund zu Überlegenheitsgefühlen hat, in diesen redundanten Sprechchor einzustimmen. Nun muss das entschieden Christliche nicht das unterscheidend Christliche sein, aber in den üblich gewordenen Binsenweisheiten kann ich auch Ersteres nicht erkennen. Natürlich wünsche ich mir eine Kirche, die sich da, wo es geboten erscheint, auch politisch positioniert. Genau darum ärgert es mich, wenn gesellschaftlicher Konsens ungefragt stupide wiederholt wird, um sich im öffentlichen Wohlwollen zu sonnen.
Inwiefern stellt der gesellschaftliche Beitrag dieser Weltkirche in Deutschland einen inhaltlichen Mehrwert gegenüber Parteien und Nichtregierungsorganisationen dar? Gläubige wie Nichtgläubige dürfen mehr erwarten als den Verweis auf ein ominöses christliches Menschenbild. Was sind heutige Strukturen der Sünde? Wie ringen wir um gerechten Frieden? Nicht zuletzt das Totengedenken für die Vergessenen der Geschichte zählt seit jeher zu den christlichen Kernaufträgen.
Gedenktage wie der 8. Mai illustrieren in trauriger Regelmäßigkeit: Kirche kann mehr – und sollte mehr.
Die Autorin
Valerie Judith Mitwali ist Redaktionsmitarbeiterin bei katholisch.de und promoviert an der Ruhr-Universität Bochum in systematischer Theologie.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.