Vorsitzender der Deutschen Seminarsprecherkonferenz im Interview

Priesteramtskandidat: Ich arbeite mich schon manchmal an der Kirche ab

Veröffentlicht am 15.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 
Priesteramtskandidat: Ich arbeite mich schon manchmal an der Kirche ab
Bild: © privat

Münster/Speyer ‐ Am Wochenende fand in Speyer der Seminaristentag statt, bei dem Priesteramtskandidaten aus ganz Deutschland zusammenkamen. Mit dabei war auch Tizian Janzen aus Münster. Im Interview spricht der Vorsitzende der Seminarsprecherkonferenz über das Treffen, die Krise der Kirche und seine eigene Berufung.

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Beim Seminaristentag kommen alle paar Jahre die Seminaristen aller deutschen Priesterseminare zusammen. Am vergangenen Wochenende fand das Treffen mit rund 250 Teilnehmern in Speyer statt. Einer davon war Tizian Janzen aus der Bistum Münster. Im Interview mit katholisch.de spricht der Vorsitzende der Deutschen Seminarsprecherkonferenz (SSK) – einem Zusammenschluss der Sprecher aller deutschen Priesterseminare – über das Treffen in der rheinland-pfälzischen Bischofsstadt. Außerdem äußert er sich zum Nachwuchsmangel in den Seminaren, dem schlechten Image von Priestern seit dem Missbrauchsskandal und der eigenen Berufung.

Frage: Herr Janzen, gemeinsam mit gut 250 Priesteramtskandidaten aus ganz Deutschland haben Sie am Wochenende am Seminaristentag in Speyer teilgenommen. Wie haben Sie das Treffen erlebt?

Janzen: Es waren sehr schöne Tage mit interessanten Programmpunkten und guten, bestärkenden Begegnungen. Die Möglichkeit, sich über Diözesangrenzen hinaus mit Seminaristen aus ganz Deutschland auszutauschen, hat nach meinem Eindruck allen Teilnehmern gut getan und große Freude bereitet. Die Stimmung war jedenfalls das ganze Wochenende über sehr gut – was sicher auch am guten Wetter und der hervorragenden Gastfreundschaft in Speyer lag.

Frage: Prominentester Gast des Treffens war Kardinal Lazarus You Heung-sik, der als Präfekt des vatikanischen Dikasteriums für den Klerus auch für die Priesterseminare zuständig ist. Wie war die Begegnung mit ihm?

Janzen: Der Kardinal hat sich viel Zeit für uns genommen, denn er war das ganze Wochenende bei uns – von der Vigilfeier am Freitagabend bis zur Eucharistiefeier und Verabschiedung am Sonntagmittag. Hauptprogrammpunkt mit ihm war eine Diskussionsrunde am Samstagvormittag, bei der er auf Fragen von uns Seminaristen geantwortet hat. Unter anderem hat er dabei über seinen persönlichen Berufungsweg gesprochen und uns – unterlegt mit Aussagen des Heiligen Vaters – Impulse gegeben, wie wir in der heutigen Zeit gute Priester sein können. Daneben hat er sich aber immer wieder auch abseits des offiziellen Programms zu uns gesetzt und das Gespräch gesucht. Das war sehr schön.

Frage: Im Vorfeld des Seminaristentags hatte Franz Vogelgesang, der Regens des gastgebenden Priesterseminars in Speyer, gesagt, dass die Teilnehmer dem Kardinal auch Fragen zu "brennenden Themen" wie dem Synodalen Weg und der Stimmung in der Kirche in Deutschland stellen könnten. Haben Sie die Chance genutzt?

Janzen: Ich denke schon. Die Diskussionsrunde mit ihm war jedenfalls von einem sehr offenen Austausch geprägt, und wir haben durchaus auch kritische Fragen gestellt.

„Mein Ziel ist es, als Priester eines Tages selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und dadurch vielleicht auch ein Stück weit mitzuhelfen, dem Priestertum ein neues, besseres Image zu geben.“

—  Zitat: Tizian Janzen

Frage: Waren denn der Synodale Weg und die Lage der Kirche in Deutschland auch Thema? Und wenn ja, was hat der Kardinal diesbezüglich geantwortet?

Janzen: Er hat gesagt, dass sich die Kirche in Deutschland aus seiner Sicht gerade in einer schwierigen Phase befindet; konkret sprach er mit Johannes vom Kreuz von einer Phase der dunklen Nacht. Gleichzeitig hat er aber auch ermutigende Worte gefunden und uns darin bestärkt, auf unserem Weg als Seminaristen weiterzugehen. Auch wenn dieser Weg nicht einfach sei, lohne es sich dennoch, Christus in dieser Weise nachzufolgen.

Frage: Waren die "brennenden Themen" auch Thema bei Ihren Gesprächen mit anderen Priesteramtskandidaten? Immerhin werden Sie und die anderen Seminaristen als künftige Priestergeneration ja ganz wesentlich mit den Herausforderungen der Kirche in Deutschland, wie sie etwa auch beim Synodalen Weg diskutiert wurden, umgehen müssen.

Janzen: Ich kann nur für mich und meine Begegnungen sprechen. Natürlich waren kirchenpolitische Fragen oder die sogenannten "heißen Eisen" ein Thema – sie standen aber nicht im Mittelpunkt. Für mich war der Seminaristentag, wie gesagt, vor allem eine gute Möglichkeit, mit Seminaristen aus anderen Diözesen in Kontakt zu kommen und sich in ungezwungener Atmosphäre über eher persönliche Fragen auszutauschen.

Frage: Die Kirche in Deutschland steht vor einem ganzen Berg von Problemen. Eines davon ist der gravierende Mangel an Priesteramtskandidaten. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der Kandidaten massiv abgesunken, in den vergangenen Jahren haben bundesweit jeweils nur ein paar Dutzend junge Männer ihre Ausbildung gestartet. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es in Deutschland bald keinen nennenswerten Nachwuchs an Priestern mehr geben. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?

Janzen: Das ist natürlich ein Thema, das mich und sicher auch die meisten anderen Seminaristen beschäftigt. Wir erleben es ja alle selbst in den Priesterseminaren: Die meisten Häuser sind für die heutige Zahl an Priesteramtskandidaten viel zu groß. Das ist für die Seminargemeinschaften durchaus auch psychologisch eine Herausforderung. Wie verändert sich das Leben im Seminar, wenn die Hausgemeinschaft immer kleiner wird? Wie kann man es auch in kleiner werdenden Gemeinschaften schaffen, sich gegenseitig zu stärken und zu tragen? Das sind Fragen, die sich viele Seminaristen stellen. Und klar: Weniger Seminaristen bedeutet auch weniger Priester. Der Mangel an Priestern ist heute schon ein Problem, das sich in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen wird.

Frage: Hinzu kommt das Image der Priester, das insbesondere durch den Missbrauchsskandal massiv gelitten hat. Viele Priester klagen über einen Generalverdacht gegen Geistliche. Wie nehmen Sie die Situation wahr? Haben Sie selbst schon Vorurteile zu spüren bekommen?

Janzen: Ich selbst habe bislang keine negativen Erfahrungen gemacht, aber natürlich bleiben mir die Vorurteile gegenüber Priestern nicht verborgen. Das erlebe ich auch in meinem eigenen Freundeskreis, der nicht so eng mit der Kirche verwoben ist wie ich es bin. Manche meiner Freunde sind Priestern gegenüber seit dem Missbrauchsskandal durchaus kritisch eingestellt. Mit Blick auf diejenigen Priester, die sich schuldig gemacht haben, kann ich das auch absolut nachvollziehen – gegen einen Generalverdacht wehre ich mich aber. Mein Ziel ist es, als Priester eines Tages selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und dadurch vielleicht auch ein Stück weit mitzuhelfen, dem Priestertum ein neues, besseres Image zu geben.

Bild: ©Bistum Speyer

Die Teilnehmer des Seminaristentags in Speyer.

Frage: Der Missbrauchsskandal ist ein wesentlicher Grund für die Dauerkrise der Kirche. Wie stark belastet Sie diese Krise? Lässt Sie der Zustand der Kirche manchmal zweifeln, ob Sie als Priesteramtskandidat überhaupt auf dem richtigen Weg sind?

Janzen: Ja, auf jeden Fall. Ich arbeite mich schon manchmal an der Kirche ab. Ich versuche aber, das nicht zu sehr an mich ranzulassen und immer zu unterscheiden zwischen meiner inneren Gottesbeziehung, die mich auf diesen Weg geführt hat, und der Institution, in der natürlich manche Dinge falsch laufen.

Frage: Ich kann mir vorstellen, dass dieser Spagat mitunter sehr schwer ist und als Priester künftig noch schwerer werden dürfte. Wie gehen Sie psychologisch mit dieser Herausforderung um?

Janzen: Kardinal You Heung-sik hat in Speyer betont, wie wichtig es für einen Priesteramtskandidaten ist, menschlich zu reifen und einen starken Geist zu entwickeln. Und genau das ist ja auch Teil der Ausbildung im Priesterseminar. Vor allem die Angebote für eine geistliche und pastoralpsychologische Begleitung halte ich in diesem Zusammenhang für wichtig. Mit Blick auf die Ausbildung und den angestrebten Weg als Priester die eigenen Anfragen und Sorgen in einem geschützten Rahmen zur Sprache bringen zu können, ist unheimlich wertvoll. Und dennoch: Ganz freimachen kann man sich nach meiner Erfahrung nicht von der Krise der Kirche und ihren Auswirkungen auf das priesterliche Leben. Die Auseinandersetzung mit dieser Situation wird wohl auch für mich ein Ringen bleiben.

Frage: Der Synodale Weg hatte das Ziel, nach dem Missbrauchsskandal Vertrauen zurückzugewinnen und konkrete Reformen in der Kirche auf den Weg zu bringen. Von tatsächlichen Veränderungen ist bislang aber kaum etwas zu sehen. Wie bewerten Sie den Reformprozess und seine Ergebnisse?

Janzen: Ich verfolge diesbezüglich mit Interesse die Weltsynode im Vatikan. Sie ist der richtige Ort, um auch die beim Synodalen Weg diskutierten Fragen auf Ebene der Weltkirche weiter zu diskutieren und im Geiste der Synodalität nach Lösungen zu suchen. Unser Bischof Felix Genn war ja bereits bei der ersten Runde der Synode im vergangenen Herbst dabei und hat hinterher von einem sehr guten Miteinander bei den Beratungen gesprochen und davon, dass auch die Themen des Synodalen Wegs in der Synodenaula sehr präsent gewesen seien. Wenn die zweite Runde in diesem Herbst ähnlich verläuft, bin ich optimistisch, dass ein gutes Signal aus Rom in die Weltkirche ausgehen wird.

„Indem ich mich auf den Weg zum Priestertum begeben habe, akzeptiere ich die geltenden Zugangsregeln – und zu denen zählt nun einmal auch der Zölibat, den ich nicht nur in Kauf nehmen, sondern aus Überzeugung leben möchte.“

—  Zitat: Tizian Janzen

Frage: Ein Thema, das beim Synodalen Weg sehr ausführlich diskutiert wurde, war die Frage nach dem Zölibat. Der Reformprozess hat den Papst am Ende der Beratungen um eine Überprüfung der Pflicht zur Ehelosigkeit von Priestern gebeten. Was sagen Sie dazu? Und wie blicken Sie selbst auf den Zölibat?

Janzen: Natürlich ist der Zölibat eine Herausforderung, mit der ich als Priesteramtskandidat umgehen muss und über die ich auch immer wieder nachdenke. Das kann ich ganz ehrlich sagen. Gleichzeitig ist für mich aber auch klar: Indem ich mich auf den Weg zum Priestertum begeben habe, akzeptiere ich die geltenden Zugangsregeln – und zu denen zählt nun einmal auch der Zölibat, den ich nicht nur in Kauf nehmen, sondern aus Überzeugung leben möchte. Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass sich mit Blick auf den Zölibat weltkirchlich bald etwas ändern wird.

Frage: Vergangene Woche hat sich Essens Generalvikar Klaus Pfeffer in einem Interview für ein Ende des Pflichtzölibats ausgesprochen. Zur Begründung sagte er, dass es offensichtlich sei, "dass immer weniger Menschen bereit sind, sich auf diese Lebensform in Verbindung mit dem Priesterberuf einzulassen". Glauben Sie, dass es wieder mehr Priesternachwuchs gäbe, wenn der Pflichtzölibat abgeschafft werden würde?

Janzen: Ich denke nicht. Dass sich immer weniger junge Männer zum Priester berufen fühlen, hängt aus meiner Sicht eher mit der grassierenden Glaubenskrise in Deutschland zusammen. Wo die meisten Menschen nicht mehr an Gott glauben und sich nicht mehr mit der Kirche identifizieren, kann auch kein Priesternachwuchs gedeihen.

Frage: Angesichts der vielen Herausforderungen und Probleme, über die wir jetzt gesprochen haben: Warum wollen Sie trotzdem Priester werden?

Janzen: Mein eigener Glaubens- und Berufungsweg war alles andere als gradlinig, aber ich habe eben doch immer wieder gespürt, wie mich die Liebe Gottes angesprochen und berührt hat. Diese Erfahrung möchte ich, sofern ich eines Tages tatsächlich als Priester in der Kirche wirken sollte, gerne an andere Menschen weitergeben.

Frage: Sie sind 27 Jahre alt und noch mitten in der Ausbildung. Trotzdem mal weit in die Zukunft geblickt: Glauben Sie, dass Ihre Berufung und Ihr mutmaßlicher Weg als Priester angesichts der aktuellen Lage der Kirche in Deutschland die nächsten 50 Jahre – also Ihr gesamtes Berufsleben – tragen wird?

Janzen: Ich hoffe es. Aber dafür braucht es natürlich ein gutes geistliches Fundament, weil sich die äußere Gestalt von Kirche in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten sicher stark verändern wird.

Von Steffen Zimmermann