Priesteramtskandidat: Ich möchte "meine Kirche" nicht im Stich lassen
Er weiß, dass er als angehender Priester "kein Superheld" ist. Patrick Wende ist Priesteramtskandidat für das Bistum Rottenburg-Stuttgart. Im Studienhaus St. Lambert, dem überziözesanen Seminar zur Priesterausbildung, bereitet er sich gerade auf seinen Dienst in einer immer kleiner werdenden Kirche vor. Im katholisch.de-Interview spricht der Seminarist auch über Tiefpunkte und darüber, was sich aus seiner Sicht in der Kirche ändern muss.
Frage: Herr Wende, im vergangenen Jahr sind über eine halbe Million Menschen aus der katholischen Kirche in Deutschland ausgetreten – ein neuer Rekord. Wie blicken Sie auf diese Zahl?
Wende: Die hohen Austrittszahlen sind aus meiner Sicht keine Überraschung. Die Austrittszahlen spiegeln nur wider, in welche Richtung die Beziehung zwischen Kirche und Menschen verläuft: abwärts Richtung "Nullpunkt". Es schmerzt natürlich, dass viele die Kirche verlassen, aber hat die Institution das nicht auch selbst zu verschulden?
Frage: Was sind denn aus Ihrer Sicht die Hauptgründe dafür, dass Menschen aus der Kirche austreten?
Wende: Aus meiner Sicht sind das nicht nur die fehlende Aufarbeitung der Missbrauchsskandale, die fehlende Gleichberechtigung, die Machtstrukturen oder die Kirchensteuern, sondern vor allem das zu Bruch gegangene Vertrauen zwischen Laien und Klerikern. An vielen Punkten ist aus meiner Sicht nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt der Verkündigung. Ein Beispiel ist etwa, dass Geschiedene, die wieder geheiratet haben, nicht zur Kommunion gehen dürfen. Christus ist doch derjenige, der jeden von uns zu diesem Mahl einlädt und sich mit uns verbinden möchte. Ähnlich ist es bei Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben. Sie alle verspüren einen Schmerz, werden nicht gehört oder einfach alleingelassen, weil ihr Leben nicht der kirchlichen Lehre entspricht. Die Kirche hat in vielen Dingen vergessen, dass es darum geht, den Menschen die Würde und Anerkennung zu geben, für die sich Christus eingesetzt hat.
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Frage: Was fehlt Ihnen?
Wende: Viele Kirchenvertreter vergessen, dass wir uns alle gemeinsam auf dem Weg hin zu Christus und den Menschen befinden. Es bilden sich aber immer mehr Grüppchen und unterschiedliche Lager innerhalb der Kirche, die sich streiten. Können wir dabei noch von einer Communio, einer Gemeinschaft sprechen? Mir fehlt das gemeinsame Suchen nach dem, was uns verbindet. Wir haben verlernt, auf die Menschen und ihre Sorgen, Nöte und Ängste zu hören und sie dabei zu begleiten.
Frage: Sie bereiten sich als Priesteramtskandidat im letzten Jahr auf den Dienst als Priester vor. Wie gehen Sie denn mit solchen Nachrichten über hohe Austrittszahlen um? Beeinflusst Sie das?
Wende: Ja, das beeinflusst mich sehr. Wir reden hier von Menschen, die von der Kirche vernachlässigt, verletzt und enttäuscht wurden und werden.
Frage: Wie schafft man es als junger Priesteramtskandidat, nicht den Mut zu verlieren? Schließlich wird die Kirche, in der Sie wirken wollen, immer kleiner.
Wende: Es braucht dafür nicht nur einen standhaften Glauben, sondern – und vor allem – Menschen, die einen ermutigen und auf diesem Weg in Liebe begleiten. Auch ich verliere manchmal den Mut, die Lust, die Freude. Dann ist es auch Jesus Christus, der mir Kraft und Mut schenkt. In jedem persönlichen Tiefpunkt stellt er mir Menschen an die Seite, die mich aufrichten und mir sagen: "Steh auf, geh deinen Weg. Du bist nicht allein."
Frage: Wer sind diese Menschen, die Ihnen Mut geben?
Wende: An erster Stelle sind das meine Familie, Freunde und die Menschen in meiner Heimatgemeinde. Aber auch die Menschen, denen ich täglich begegnen darf. Mein Gemeindepraktikum in Stuttgart war zum Beispiel eine sehr prägende Zeit für mich. Wenn Zweifel aufkommen, geben mir auch die Bibel und das Gebet wieder Mut und Kraft weiterzumachen.
Frage: Sie haben Ihre Familie und Freunde angesprochen. Wie gehen die angesichts der nicht mehr enden wollenden Negativschlagzeilen rund um die katholische Kirche mit ihrem Berufswunsch um? Sagen die manchmal auch: "Patrick, überleg dir das besser nochmal"?
Wende: Sie hinterfragen das schon, vor allem angesichts der Missbrauchsskandale und der Konflikte innerhalb der Kirche. Da bekomme ich durchaus manchmal die Frage gestellt: "Möchtest du das wirklich?" Oder: "Wie kannst du sowas unterstützen?"
Frage: Was antworten Sie darauf?
Wende: "Nein, ich werde dieses System nicht unterstützen." Natürlich hinterfrage ich viele Punkte in der Institution Kirche und ich schäme mich für manche Schlagzeilen. Aber ich möchte "meine Kirche" nicht im Stich lassen. Deswegen bleibe ich und ich möchte mich diesen negativen Schlagzeilen stellen und zeigen, dass das nicht die Kirche ist, die mir am Herzen liegt.
Frage: Sie sprechen dabei von der Institution Kirche. Als Priester werden Sie Teil dieser Institution sein und sie auch repräsentieren. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?
Wende: Es sind Fragen, die einen begleiten und quälen und bei denen man manchmal an seine Grenzen kommt. Aber am Ende repräsentiere ich als angehender Priester, der sich in den Dienst für Christus stellt, die Frohe Botschaft. Um die geht es.
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Frage: Große Veränderungen in der Kirche scheinen nicht in Sicht, wenn man beispielsweise auf die Interventionen des Vatikan gegen die Beschlüsse des Synodalen Wegs blickt. Welche Hoffnung können Sie den Menschen machen, dass sich trotzdem etwas bewegt und sie einen Grund haben, in der Kirche zu bleiben und sich zu engagieren?
Wende: Die Austrittszahlen zeigen, dass wir mittlerweile an einem Punkt angekommen sind, an dem ein "weiter so" einfach nicht mehr möglich ist. Veränderungen und Erneuerungen können wir aber nur gemeinsam erreichen, wenn wir frei und ohne Angst reden können. Die Kirche hat viele Gelegenheiten zur Veränderung verpasst. Deswegen hoffe ich, dass auf der anstehenden Weltsynode die Zeichen der Zeit erkannt und verstanden werden.
Frage: Blicken wir vom Vatikan zurück zu Ihnen: Wie können Sie als künftiger Priester Ihren Beitrag dazu leisten, den Exodus aus der Kirche aufzuhalten?
Wende: Mit meinem Dienst möchte ich die Menschen davon überzeugen, dass die Frohe Botschaft Jesu Christi nicht einengt, sondern frei macht und zum Leben ruft. Ich möchte dieses Licht des Auferstandenen weitertragen, das mich selbst so ergriffen hat. Ich möchte die Menschen beim Suchen und Ringen mit den vielen Fragen des Lebens begleiten. Ich weiß aber auch, dass ich als Priester kein Superheld bin. Ich möchte die Menschen annehmen und durch meine Worte und Taten näher zu Christus bringen.
Frage: Was wünschen Sie sich grundsätzlich für die Kirche der Zukunft?
Wende: Ich wünsche mir, dass sichtbar wird, welche bombastische Botschaft wir als Kirche vertreten und verkünden. Dass der Mensch im Mittelpunkt unserer Verkündigung steht – so wie er ist und erschaffen wurde. In Gal 5,13 heißt es, dass wir zur Freiheit berufen sind. Das sollte in Zukunft das Motto für die Kirche sein. Alle sind eingeladen, diesen Weg gemeinsam mit der gleichen Würde und den gleichen Rechten zu gehen – egal ob Mann oder Frau.