Mit Gebet und Handauflegung – Wie Äbtissinnen früher geweiht wurden
Mit der Geschichte der Äbtissinnenweihe beschäftigt sich die Kirchenhistorikerin Sarah Röttger. Sie berichtet, dass Äbtissinnen früher mit Handauflegung und Weihegebet geweiht wurden – ähnlich wie ein Priester oder ein Bischof. Warum die Weihe in dieser Form heute nicht mehr stattfindet, erklärt die Theologin im Interview mit katholisch.de und zeigt auf, was ihre Forschungsergebnisse für die Zukunft von Frauen in der Kirche bedeuten könnten.
Frage: Frau Röttger, heute werden Äbtissinnen nicht geweiht, sondern gesegnet. War das schon immer so?
Sarah Röttger: Über viele Jahrhunderte wurden Äbte und Äbtissinnen mit Weihegebet und Handauflegung von einem Bischof geweiht. Belege für eine "ordinatio abbatissae" finden sich schon im 6. Jahrhundert. Im Mainzer Pontifikale aus dem 10. Jahrhundert und im nachtridentinischen Pontifikale Romanum von 1595/96 wird dieser Weiheritus konkret beschrieben: Während der Weihe wurde über die Äbtissin eine feierliche Weihepräfation gesprochen und der Bischof legte ihr dabei beide Hände auf den Kopf. Die Äbtissinnen erhielten zudem Pontifikalinsignien, also Hirtenstab, Ring und Pektorale.
Frage: Trugen Äbtissinnen früher auch Mitren?
Röttger: Ja, das belegen etwa Abbildungen von Wappen der Äbtissinnen, auf denen auch deren Mitren abgebildet sind. So besaß und trug die italienische Äbtissin der Zisterzienserinnenabtei San Benedetto in Conversano im 12. Jahrhundert vermutlich so eine Mitra. Die Quellenlage ist allerdings nicht so ergiebig.
Frage: Welche Aufgaben waren damals mit der Weihe für die Äbtissinnen verbunden?
Röttger: Früher, ab dem Frühmittelalter und noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts hatten Äbtissinnen viel mehr Macht und Einfluss als heute. Wie die Äbte erhielten sie bei der Weihe Ring und Hirtenstab als Zeichen ihrer Lehr- und Hirtengewalt im Kloster. Die Äbtissin war wie der Abt für das geistliche und körperliche Wohl der Untergebenen verantwortlich, die wiederum ihrer Oberen gegenüber zu unbedingtem und uneingeschränktem Gehorsam verpflichtet waren. Die Äbtissinnen hatten teils gewaltige Jurisdiktion über ihre Abtei und die zugehörenden Territorien und Kirchen. Die Äbtissinnen einiger Reichsstifte, also etwa die Fürstäbtissinnen von Herford, Essen, Quedlinburg, Gandersheim aber auch die Äbtissinnen von monastischen Abteien wie Las Huelgas und Conversano waren mächtige weltliche Herrscherinnen und besaßen auch geistliche Vollmachten.
Frage: Welche weltlichen und geistlichen Vollmachten hatten Äbtissinnen inne?
Röttger: Diese Äbtissinen standen gleichberechtigt neben Bischöfen oder Grafen und übten in ihrem Herrschaftsbereich weltliche Gerichtsbarkeit aus, vergaben Lehen, erteilten Privilegien. Sie waren damals die einzigen im Reichstag vertretenen Frauen aufgrund eines kaiserlichen Gesetzes. Sie übergaben Pfründe, ernannten Pfarrer und Kuraten und übertrugen ihnen die Sorge für die Seelen. Sie stellten Zelebret und Beichterlaubnis aus und erteilten Predigtvollmachten. Ohne die Erlaubnis der Äbtissin von Las Huelgas durfte zum Beispiel ein Bischof keine Pontifikalhandlungen auf ihrem Territorium vornehmen. Manche Äbtissinnen sahen sich auch befugt, die Beichte zu hören, Segen zu erteilen, die Jungfrauenweihe zu spenden sowie das Evangelium zu verkündigen und zu predigen. Das wissen wir, weil die Konzilien von Chapelle 789 und von Paris 819 den Äbtissinnen zum Beispiel deutlich untersagten, Segnungen und Verschleierungen von Jungfrauen vorzunehmen.
Frage: Doch anders als Äbte waren die Äbtissinnen keine Kleriker…
Röttger: Richtig. Im Gegensatz zu den Äbten durften sie keine Weihen oder andere Sakramente spenden. Das war für die Ausübung der Lehr- und Hirtengewalt im Kloster gar nicht nötig. Im Frühmittealter und in der Frühneuzeit waren viele der Äbte keine geweihten Priester. Das änderte sich erst im Hochmittelalter. Dann wurden vermehrt Priester Äbte und hatten die mit der sakramentalen Priesterweihe verbundenen Vollmachten. Interessant ist, dass sich die Äbte in der Frühneuzeit nach dem Empfang der Abtsweihe befugt sahen, wie ein Bischof eine niedere Weihe oder die Firmung zu spenden. Befugnisse also, die sich aus der Weihe ableiteten, diese waren den Äbtissinnen untersagt.
Frage: Wie lange wurde die Äbtissinnenweihe mit Handauflegung in Deutschland praktiziert?
Röttger: Noch 1967 gab es in Deutschland eine Äbtissinnenweihe mit Gebet und Handauflegung. Doch das änderte sich dann mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Frage: Warum?
Röttger: Pius XII. hatte 1947 in seiner Enzyklika "Sacramentum ordinis" festgelegt, dass die Handauflegung Materie und das Weihegebet Form des Weihesakramentes seien. Daher entsprach die Äbtissinnenweihe formal den lehramtlich festgelegten Anforderungen sakramentaler Weihehandlungen. Das Zweite Vatikanum hatte zudem bestimmt, dass mit der Bischofsweihe die "Fülle des Weihesakramentes" übertragen werde. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Parallelen von Abts- und Äbtissinnenweihe weitgehend unproblematisch, weil die Bischofsweihe über Jahrhunderte nicht als Sakrament verstanden worden war. Doch nun, nach dem Zweiten Vatikanum, entsprach die Weihe der Äbte und Äbtissinnen formal nicht nur den Anforderungen sakramentaler Weihehandlungen, sondern auch die Parallelen mit der nun als sakramental verstandenen Bischofsweihe wurden zum Problem.
Frage: Was wurde damals konkret geändert?
Röttger: Als erstes wurden sowohl die Handauflegung als auch die Präfation gestrichen – beides uralte Elemente, die nachweislich seit dem 8. Jahrhundert Bestandteil der Abts- und Äbtissinnenweihe waren. Getilgt wurden auch andere Gebete, die ihren Ursprung im 6. Jahrhundert haben, sowie Elemente, die ursprünglich monastischen Ursprungs sind wie das Te Deum oder die Bußpsalmen. Diese Elemente lassen sich zuerst in der Weihe der Äbte und Äbtissinnen nachweisen, sind von dort in die Weihe der Bischöfe übernommen worden und mussten nun daran glauben, weil sie als unerwünschte Angleichung an die Bischofsweihe verstanden wurden. Interessant ist, dass man aus den neuen Gebeten, die die mit der Reform betrauten Arbeitsgruppe erschaffen hat, bei den Äbtissinnen all jene Passagen gestrichen hat, die in irgendeiner Weise an ein Lehr-, Hirten- oder Leitungsamt denken lassen. Und das, obwohl die meisten dieser Passagen aus der Benediktsregel stammen.
„Schon in den 1970er Jahren haben die Äbtissinnen des deutschsprachigen Raums aufbegehrt. Sie wollten die Übergabe von Ring und Stab wieder zurückhaben. Sie hatten Erfolg mit ihrem Protest. Im Jahr 1994 sind die Riten von Abt und Äbtissin weitgehend angeglichen worden.“
Frage: Gab es Widerstand dagegen?
Röttger: Ja, schon in den 1970er Jahren haben die Äbtissinnen des deutschsprachigen Raums aufbegehrt. Es gab sogar ein Memorandum, das dem damaligen Abtprimas Rembert Weakland mitgegeben wurde, um in Rom gegen diese Ungleichheiten zu protestieren. Die Äbtissinnen wollten auch die Übergabe von Ring und Stab wieder zurückhaben. Diese waren im neuen Ritus auch nicht mehr vorgesehen, was das erklärte Ziel der Reform zeigt: nämlich alles zu tun, damit vor allem die Weihe der weiblichen Äbtissinnen möglichst keine Ähnlichkeit mit der Bischofsweihe mehr hat. Die Äbtissinnen hatten übrigens Erfolg mit ihrem Protest: Im Jahr 1994 sind die Riten von Abt und Äbtissin weitgehend angeglichen worden.
Frage: Wäre es eine Möglichkeit, dass die heutigen Äbtissinnen zum Beispiel die Handauflegung und die damit verbundenen Vollmachten wieder einfordern könnten?
Röttger: Das wäre vermutlich erfolglos, weil die Handauflegung heute Zeichen für eine sakramentale Weihe ist – und das soll die Äbtissinnenweihe eben nicht sein.
Frage: Welche Konsequenzen könnten ihre Forschungsergebnisse für berufene Frauen, die nach einem Weiheamt streben, in der Kirche von morgen haben?
Röttger: Dazu fehlt mir leider die prophetische Gabe. Als Historikerin ist es meine Aufgabe aufzuzeigen, wie es einmal war. Doch Geschichte kann einen Anstoß bieten, über Optionen für berufene Frauen nachzudenken. Mein Doktorvater, der Kirchenhistoriker Hubert Wolf, nutzt gerne das Bild von einem Tisch der Traditionen, den wir reichlich decken, um über Optionen für heute nachzudenken. Übrigens wurden früher nicht nur Äbtissinnen geweiht. Bis heute gibt es die Jungfrauenweihe, es gab früher auch eine Weihe von Witwen und die Weihe von Diakonissen. Es bleibt zu hoffen, dass die einstige Bedeutung von Frauen in der Kirche für morgen wiederentdeckt wird.