Paderborn: Missbrauchstäter jahrzehntelang als Seelsorger eingesetzt
Das Erzbistum Paderborn hat einen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Priester nach Ablauf seiner Haftstrafe von 1971 bis 2008 wieder in der Seelsorge eingesetzt, ohne die jeweiligen Gemeinden über die Vorgeschichte des Mannes zu informieren. Während dieser Zeit habe der 2016 verstorbene Geistliche mutmaßlich erneut Missbrauchstaten begangen, wie das Erzbistum am Mittwoch mitteilte.
Laut der Erzdiözese wurde der zunächst im Bistum Aachen inkardinierte Pfarrer 1969 wegen Unzucht an minderjährigen Jugendlichen zu einer Haftstrafe verurteilt, die er 1970 und 1971 im offenen Vollzug in Attendorn verbüßte. Während dieser Zeit sei der Geistliche weiter seelsorglich tätig gewesen. Zwei fachärztliche und psychologische Gutachten sowie der Gefängnisleiter seien damals zu dem Schluss gekommen, dass bei einem zukünftigen Einsatz "keine weiteren Ausfälligkeiten im sexuellen Bereich" zu erwarten seien. Das Bistum Aachen habe das Erzbistum Paderborn dann gebeten, den Priester nach dessen Haftentlassung auf dem Gebiet des Erzbistums einzusetzen. "Dieser Bitte gab der damalige Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger statt", erklärte das Erzbistum.
1991: Hinweise zu sexuellen Kontakten zu einem Jugendlichen
Ab 1971 sei der Pfarrer zunächst in Peckelsheim und dem damaligen Dekanat Gehrden eingesetzt worden. Danach folgten den Angaben zufolge Einsätze in Letmathe (ab 1975), Rüthen (ab 1981) und Arnsberg (ab 1991). Hier sei der Geistliche auch 2008 in den Ruhestand versetzt worden. Während der ersten Jahre seines Einsatzes seien dem Erzbistum nach Aktenlage "kein Anbahnungsverhalten oder missbräuchliche Handlungen" zur Kenntnis gebracht worden. Im Jahr 1991 habe der damalige Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt dann jedoch Hinweise erhalten, nach denen der Beschuldigte sexuelle Kontakte zu einem Jugendlichen unterhielt. Daraufhin sei der Pfarrer nach Arnsberg versetzt worden. "Erst später erhielt der Priester die Auflage, den früheren Einsatzort zu meiden", so die Erzdiözese.
Der damalige diözesane Missbrauchsbeauftragte habe erst 2010 aufgrund der Meldung einer Angehörigen des Betroffenen von den Vorwürfen erfahren. "Mit dem Familienmitglied wurden daraufhin mehrere Gespräche geführt, ein Kontakt zum Betroffenen selbst konnte jedoch nicht hergestellt werden", erklärte das Erzbistum. 2013 habe dann das Bistum Aachen über einen weiteren Vorwurf gegen den Geistlichen aus seiner Aachener Zeit Anfang der 1960er Jahre informiert. "Die Bearbeitung dieses Vorwurfs erfolgte durch das Bistum Aachen. Ein weiterer Informationsaustausch über den beschuldigten Geistlichen fand zwischen den beiden Bistümern danach nicht mehr statt." Kenntnis von weiteren Vorwürfen gegen den Priester bezogen auf seine Paderborner Einsatzzeit erhielt die Erzdiözese den Angaben zufolge erst nach dessen Tod. "Insgesamt beziehen sich zwei bisher bekannte Vorwürfe auf die Zeit des Priesters in Peckelsheim, zwei weitere auf die Zeit in Rüthen."
Erzbistum bedauert "unverantwortbaren Einsatz des Priesters"
Das Erzbistum bedauerte am Mittwoch "den nicht nur aus heutiger Sicht unverantwortbaren Einsatz des Priesters". Dem berechtigten Interesse der betroffenen Gemeinden nach einer umfänglichen Darstellung des Falles solle nun nachgekommen werden. "Mit den Pfarrern der Gemeinden des Erzbistums Paderborn, in denen der Priester eingesetzt war, ist das Erzbistum im Gespräch." Sie würden die weiteren Informations- und Dialogbedürfnisse vor Ort einschätzen und auf Wunsch vom Erzbistum Paderborn bei der Durchführung von Angeboten unterstützt. Eine erste Gemeindeversammlung soll laut der Erzdiözese am 6. Juni in der Propsteipfarrei St. Laurentius Arnsberg stattfinden. Ziel sei es, eine gemeinsame Informationsgrundlage zu schaffen, die Gemeinde im Umgang mit den Informationen zu unterstützen sowie den Dialog über den Umgang mit Missbrauchsfällen in der Vergangenheit und heute zu eröffnen.
Die Akten des beschuldigten Priesters seien zudem bereits im Rahmen der 2018 veröffentlichten MHG-Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz eingebracht sowie dem mit der Aufarbeitungsstudie für das Erzbistum Paderborn beauftragten Forscherteam der Universität Paderborn und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Paderborn vorgelegt worden. (stz)