Das Papstamt soll vom Stolperstein zum Eckstein der Ökumene werden
Die Zersplitterung der Christenheit in eine Vielzahl von Kirchen und Gemeinschaften ist ein bleibender Stachel. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) und noch einmal stärker seit der Enzyklika "Ut unum sint" (1995) von Papst Johannes Paul II. ist der ökumenische Dialog mit dem Ziel einer Einheit aller Christen für die katholische Kirche eine Priorität. Johannes Paul II. hatte mit seiner Enzyklika einen Dialog über die Ausübung des, seines, Petrusdiensts begonnen. Seither gibt es eine Vielzahl von Dialogkommissionen zwischen der katholischen Kirche und anderen Kirchen. Die Einheit der Kirche wurde dadurch bislang nicht erreicht.
Im kommenden Jahr wird "Ut unum sint" 30 Jahre alt, zugleich feiern die Kirchen das 1.700 Jahre Konzil von Nizäa – Anlässe, um die ökumenischen Bemühungen weiter zu verstärken. Einen neuen Vorschlag für eine differenzierte Gemeinschaft hat nun das Dikasterium für die Einheit der Christen vorgelegt: Auf knapp 500 Seiten unter dem italienischen Titel "Il vescovo di Roma" ("Der Bischof von Rom") fasst die "Ökumenebehörde" des Papstes die Fortschritte der Dialoge zusammen.
Noch ist kein Lehrdokument entstanden, noch ist es ein Studiendokument. Zu den 150 Seiten gehört aber auch ein Vorschlagspapier des Dikasteriums auf der Grundlage der bisherigen Dialogergebnisse, die in konkrete Schritte münden sollen. Denn so atmosphärisch gut und teilweise auch inhaltlich ergiebig die bisherigen Dialoge waren – es herrscht doch auch eine Unzufriedenheit, dass sichtbare Schritte der Einheit selten sind und auf struktureller Ebene weitgehend ausbleiben. Zuletzt hatte die koptische Kirche den Dialog ausgesetzt. Auslöser waren die Verstimmungen über das Segens-Dokument "Fiducia supplicans", zur Eskalation kam es aber vor dem Hintergrund einer grundsätzlicheren Unzufriedenheit mit den Ergebnissen des Dialogs.
Die Papstdogmen trennen die Kirchen
Bei aller theologischen Übereinstimmung: Das große Hindernis für eine sichtbare und strukturelle Einheit der Christen ist das Papstamt in seiner katholischen Ausgestaltung. Deshalb widmet sich das neue Studiendokument diesem Kontroverspunkt, um aus dem Stolperstein der Ökumene ihren Eckstein zu machen.
Die Papstdogmen – die Unfehlbarkeit und das Jurisdiktionsprimat – sind es nämlich, die heute die Kirchen scharf trennen: Wer zur Gemeinschaft der katholischen Kirche gehören will, muss sie anerkennen; katholisch ist synonym mit der Gemeinschaft mit dem Papst. Wer aus der katholischen Kirche in eine orthodoxe Kirche übertreten will, muss unter anderem den Papstdogmen ausdrücklich abschwören. Während sich die katholische und die meisten anderen Kirchen einig sind, dass ein Bischof an der Spitze einer Ortskirche steht, ist die Frage nach dem obersten Vertreter und seiner Befugnisse kontrovers. Hier der Papst, der hierarchisch Oberer der Bischöfe ist, da die verschiedenen autokephalen, also grundsätzlich selbständigen Kirchen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und bei denen es bestenfalls einen primus inter pares gibt: in der Orthodoxie der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der nur einen Ehrenvorrang unter den Patriarchen und Vorstehern der anderen orthodoxen autokephalen Kirchen hat, in der anglikanischen Gemeinschaft der Erzbischof von Canterbury, der den Ehrenvorrang unter den Primaten der anglikanischen Provinzen hat, in der altkatholischen Kirche der Erzbischof von Utrecht als primus inter pares der altkatholischen Bischöfe.
Dogmatische Kontroversen durch Begriffsarbeit beilegen
Mit dieser ekklesiologischen Gemengelage muss der ökumenische Dialog umgehen. Eine typische Strategie, um ökumenische Konsense zu erreichen, ist die Verschiebung von dogmatischen Divergenzen hin zu begrifflichen Missverständnissen. Selbst dogmatische Unterschiede, die über Jahrhunderte – wie die Rechtfertigungslehre im Dialog mit den Lutheranern – oder gar Jahrtausende – wie die Zweinaturenlehre im Dialog mit den Kopten – getrennt haben, können mit dieser Methode in einer Synthese zusammengeführt werden: mit dem Ergebnis, dass eine Wahrheit lediglich aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird und die jeweilige konfessionelle Ausformulierung tatsächlich nicht kirchentrennend ist.
Bei der Frage nach dem päpstlichen Primat ist diese Aufgabe ungleich schwieriger. Das Papstamt hat sich über die Jahrhunderte seit dem Großen Schisma von 1054, mit dem die lateinische Kirche sich von der heutigen Orthodoxie getrennt hatte, immer weiter entwickelt. Schon für das Schisma waren unter anderem Dissense über das Papstprimat zentral. Diese Dissense hätte man mit einem Abstand von fast 1.000 Jahren sicher ähnlich vermittelnd beilegen können wie den Streit um die Naturen in Christi und die Rechtfertigung. Die Geschichte ging aber weiter. Die immer stärkere Stellung des Papstamtes gipfelte in den Papstdogmen des Ersten Vatikanischen Konzils im Jahr 1870 – für kirchliche Verhältnisse also jüngste Vergangenheit, und mit einer formell so klaren Dogmatisierung, dass es besonders schwer ist, dieses begrifflich mit der polyzentrischen Organisationsform der Orthodoxie dialogisch einzuhegen.
Tatsächlich greifen auch die Vorschläge des Einheitsdikasteriums das zentrale Problem an. Sie erwähnen die Vorschläge einer Relecture oder eines offiziellen Kommentars zum Ersten Vatikanischen Konzil. Dessen Beschlüsse sollen im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils gelesen werden: Das Erste Vatikanum musste überstürzt abgebrochen werden. Während die Papstfrage entschieden wurde, wurde die Frage nach der Kollegialität der Bischöfe erst beim Zweiten entschieden. Das Dikasterium spricht davon, die Ergebnisse des Ersten Vatikanums in die Hierarchie der Wahrheiten einzuordnen und im Licht der gesamten Tradition neu zu lesen – dabei unter Verweis auf die dogmatische Konstitution "Pastor Aeternus" selbst, mit der das Konzil das Jurisdiktionsprimat beschlossen hatte. In der Einleitung der Konstitution betonten die Konzilsväter, dass ihre Lehre nicht neu sei, sondern "im Glauben der Gesamtkirche von altersher unverändert enthalten war". Das Dikasterium knüpft daran an und schlägt Begriffsarbeit vor – also das ganz klassische Besteck der ökumenischen Dialoge: Formulierungen wie ordentliche, unmittelbare und universale Jursidiktion, Unfehlbarkeit, Regierungsgewalt, höchste Autorität und Macht werden als zweideutig erkannt und sollen geklärt werden.
Autorität im Dienst der Gemeinschaft
Die Ergebnisse dieser Begriffsklärung nehmen die Vorschläge noch nicht vorweg. Eine wichtige Unterscheidung machen sie aber: die zwischen der universalen Kirche (Ecclesia universalis) und der ganzen Kirche (Ecclesia universa). Das sei wichtig, um das Papstprimat nicht säkular als einfach weltweit zu verstehen. Das römische Papstprimat sei weniger als universale Macht in einer universalen Kirche zu verstehen, "sondern als eine Autorität im Dienst der Gemeinschaft zwischen den Kirchen (communio Ecclesiarum), das heißt der ganzen Kirche (Ecclesia universa)". Damit wird der umfassende Anspruch der Papstdogmen und der daraus fließenen Lehre von der Kirche bereits etwas zurückgenommen.
Der nächste Vorschlag ist eine deutliche Unterscheidung der verschiedenen Aufgaben des Papstes in die seines Amts als Oberhaupt der katholischen Kirche und die seines Amts des Garanten der Einheit aller Christen. Kirchenverfassungsrechtlich wird unterschieden zwischen seinem Patriarchenamt für die lateinische Kirche und dem Primatsamt in der Gemeinschaft der Kirchen. In diesem Kontext steht wohl auch die 2006 erfolgte Streichung des Titels "Patriarch des Westens" sowie dessen Wiederaufnahme im jüngsten Päpstlichen Jahrbuch. Schließlich hatte Papst Benedikt XVI. mit dem Ablegen des Titel für Besorgnis in der Ökumene gesorgt. Der Münchener Kirchenrechtler Martin Rehak hatte nach der Wiedereinführung im April die Hoffnung ausgedrückt, dass der Schritt helfe, der Einheit der Christen näherzukommen.
Zuerst Bischof von Rom
Zu den bemerkenswerten Gesten von Papst Franziskus zu Beginn seines Pontifikats gehörte es, dass er sich ausdrücklich und zuvörderst als Bischof von Rom vorstellte. Auch das ordnet das Einheitsdikasterium nun in die Frage der Einheit der Kirchen ein: Indem der Papst sein Bischofsamt auf lokaler Ebene betone, als Bischof unter Bischöfen, werde der Aspekt der Kollegialität gestärkt. Ein weiteres Zeichen dafür sei ein größerer Stellenwert für die Kathedrale des Bistums Rom: Viele päpstliche Dokumente tragen neuerdings als Ort der Ausfertigung die Lateranbasilika, nicht den Vatikan.
Der besondere Schwerpunkt von Papst Franziskus auf die Frage der Synodalität innerhalb der katholischen Kirche sei ebenfalls in ökumenischer Stoßrichtung zu lesen, argumentiert das Ökumenedikasterium: Die katholische Kirche müsse ihren Dialogpartnern im Inneren ein überzeugendes Modell des Miteinanders zeigen, damit sie nach außen glaubhaft für synodales Zusammenwirken unter den Kirchen ist.
Trotz der Weltsynode zur Synodalität ist die Reflexion bestehender kirchlicher Gremien auf Synodalität hin zuletzt etwas ins Stocken geraten; eine Stärkung der Bischofskonferenzen, wie noch zu Beginn des Pontifikats in Aussicht gestellt, steht noch aus, und die als Alleingänge wahrgenommenen Bemühungen des deutschen Synodalen Wegs wurden von Rom misstrauisch ausgebremst statt als ekklesiologisches Experimentierlabor genutzt. Mit den Vorschlägen des Einheitsdikasteriums werden dagegen viele Aspekte einer Synodalisierung bestehender Gremien und Ebenen wieder in den Vordergrund gerückt. Dazu gehört, von den katholischen Ostkirchen zu lernen, deren Kirchenrecht viel stärkere Mitbestimmungsebenen durch bischöfliche Synoden kennen, die Gesetzgebungsorgane sind. Dazu kommen Strukturen mit Laienbeteiligung wie das Patriarchats- und Eparchialkonvent, das grundsätzlich der in der Praxis wenig genutzten – in Deutschland zuletzt 2013 bis 2016 in Trier – lateinischen Diözesansynode entspricht. Zum Thema der Bischofskonferenzen wird die Kirchenkonstitution "Lumen gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils stark gemacht, das eine Parallele zwischen Bischofskonferenzen und antiken Patriarchaten zieht, die seither weder theologisch noch kirchenrechtlich entwickelt worden sei. Ähnliches gelte für kirchenrechtlich zwar normierte, in der Praxis aber ungebräuchliche Elemente wie die kollegiale Ausübung des Leitungsamts durch Papst und Bischöfe. Die Bischofssynode und der Kardinalsrat werden als weitere Beispiele für Schritte auf dem Weg hin zu einer synodalen Leitungsstruktur der katholischen Kirche benannt.
Abgestuftes Modell der Kircheneinheit
Die eigentliche Stoßrichtung der Vorschläge ist schon aufgrund ihres Ursprungs im Einheitsdikasterium die nach außen: Es geht ihnen darum, ein mögliches Modell der Kirchengemeinschaft zu entwickeln. Hier braucht es abgestufte Modelle, die die jeweiligen Ekklesiologien ernst nehmen: Während zwischen der katholischen Kirche und der Orthodoxie große Übereinstimmungen herrschen, ist in den Kirchen der Reformation eine weit größere Differenz gegeben.
Mit Blick auf die Orthodoxie wird das Diktum von Kardinal Joseph Ratzinger stark gemacht, der 1997 – damals als Glaubenspräfekt – festhielt, dass Rom von den orthodoxen Kirchen nicht mehr verlangen dürfe als das, was im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt worden sei. Mithin: Was in einer polyzentrischen Kirchenverfassung galt, in der der Bischof von Rom einer der fünf gleichberechtigten Patriarchen war, mit Ehrenvorrang, aber ohne Jurisdiktionsprimat über die anderen Patriarchen. Daraus werden zwei Zuständigkeiten des Papstes in der Ökumene abgeleitet: eine herausgehobene Rolle bei ökumenischen Konzilien, die er etwa einberufen und denen er vorsitzen soll, und eine Vermittlerrolle bei Konflikten disziplinärer und lehrmäßiger Natur.
Schwieriger ist es, die richtige Rolle mit Blick auf die Kirchen der Reformation zu finden. Die kontroversen Punkte der Ekklesiologie und vor allem der Ämterfrage sind hier viel schwerer zu lösen. Das verbindende soll hier die reformatorische Betonung des Evangeliums sein. Dazu kämen die besondere Wertschätzung der regionalen Ebene und der Subsidiarität, die die evangelische Kirchenverfassungstradition ausmacht. Konkrete Modelle werden aber nicht benannt.
Ein kontroverser Punkt taucht in den Vorschlägen nicht auf, auch wenn er im Studindokument erwähnt wird: Das Ökumenekonzept der Union, also des Anschlusses ganzer Kirchen oder Teile von Kirchen an die katholische Kirche. Einst war das das bevorzugte Konzept und Ursprung der auch als "uniert" bezeichneten katholischen Ostkirchen. Für die Orthodoxie ist dieses Konzept aber ein rotes Tuch, sorgt es doch neben der Einheit des "unierten" Teils der Kirche für eine Spaltung der Ursprungskirche: nur eine der 23 katholischen Ostkirchen, die maronitische, ist als ganzes zur katholischen Kirche gekommen. Der Weg des "Uniatismus" wurde 1993 im Dokument von Balamand, einem Dokument des Dialogs zwischen katholischer und orthodoxer Kirche, aufgegeben. Stattdessen sollten andere Wege der Einheit gesucht werden – wie sie die Vorschläge jetzt aufzeigen. Angesichts der Einrichtung der Anglikaner-Ordinariate durch Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011 gab es aber in der Orthodoxie die Befürchtung, dass die katholische Kirche den Uniatismus nicht wirklich hinter sich gelassen hat.
Primat dienend verstehen
Angesichts vieler Verletzungen im Lauf der Kirchengeschichte – die Unionen sind nur eine davon – und der zahlenmäßigen Verhältnisse – über 1,4 Milliarden katholischen Christen stehen etwa 300 Millionen byzantinisch-orthodoxe Gläubige gegenüber – wird der Aspekt des Dienens stark gemacht. "Die Rolle des Petrus bei der Stärkung der Brüder (Lk 22,32) ist eine dienende Führung, die auf dem Bewusstsein der eigenen Schwäche und Sündhaftigkeit beruht", heißt es in den Vorschlägen. Primat soll daher wesentlich nicht in Kategorien der Macht gedacht werden.
Noch ist all das im Vorschlagsstatus. Reaktionen aus den angesprochenen Schwesterkirchen stehen naturgemäß noch aus. Die Stoßrichtung des mit Zustimmung von Papst Franziskus veröffentlichten Dokuments zeigt aber auf, wie die Kirchen in den Fragen des Primats weiterkommen könnten. Die große Herausforderung ist, die "Begriffsbestimmung" und damit faktisch die Historisierung des Ersten Vatikanums zu erzielen. Die Herausforderung ist umso größer, als dass Papst Franziskus in seiner Amtsführung bei aller Rede von der Synodalität auch sehr selbstbewusst mit der Fülle seiner Macht agiert. Und das ist nur die katholische Seite: Die großen Kirchengemeinschaften, die grundsätzlich das polyzentrische Kirchenverständnis des ersten Jahrtausends bewahrt oder neu aufgenommen haben, die byzantinisch-orthodoxen Kirchen und die anglikanische Gemeinschaft, zeigen durch ihre Zerrissenheit die Probleme auf, die mit der dezentralen Ekklesiologie einhergehen können. Bei den Orthodoxen ist es der Streit zwischen Moskau und Konstantinopel um Russland und die Ukraine, bei den Anglikanern der regional hochgradig unterschiedliche Umgang mit Homosexualität, die beide Kirchengemeinschaften in Richtung einer Spaltung bringt. Das sind Fragen, in denen der Papst wie vom Dikasterium vorgeschlagen als akzeptierter Vermittler gebraucht würde – zugleich aber die Hindernisse, die dem Wachsen einer solchen Rolle deutlich entgegenstehen.
Im Volltext: "Der Bischof von Rom"
Das Dikasterium für die Förderung der Einheit der Christen hat das Dokument "Der Bischof von Rom. Primat und Synodalität in ökumenischen Dialogen und Antworten auf die Enzyklika Ut unum sint" in englischer, italienischer und französischer Sprache veröffentlicht.