Standpunkt

Der Optimismus des Fußballs – Chance für eine ermüdete Gesellschaft?

Veröffentlicht am 14.06.2024 um 00:01 Uhr – Von Peter Otten – Lesedauer: 

Köln ‐ Heute Abend beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Für Peter Otten bietet das Turnier eine Chance zur Unterbrechung des Alltags. Guter Fußball sei hoffnungsvoll und zuversichtlich. Vielleicht lasse sich die ermüdete Gesellschaft davon anstecken.

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Heute Abend beginnt mit der Partie Deutschland gegen Schottland die Fußball-Europameisterschaft. Und noch dazu im eigenen Land. Was für die einen ein großer Graus ist, ist für andere der Beginn unbeschwerter Feiertage. Gibt es nichts Wichtigeres als Fußball? Fragen die einen. Durchaus. Sagen andere. Aber womöglich tun vier Wochen Unterbrechung mal ganz gut.

Der Sportphilosoph Gunter Gebauer hat in seinem Buch "Das Leben in 90 Minuten" vor einigen Jahren intensiv über den Fußball nachgedacht. Er findet, ein entscheidender Punkt im Fußballspiel ist sein Moment der Einschränkung. Ausgerechnet der Gebrauch des wichtigsten Körperteils, das dem Menschen im Lauf seiner Entwicklung dazu befähigt hat, entscheidende Kulturtechniken auszubilden, wird beim Fußballspiel verboten. Keinesfalls darf der Ball mit der Hand gespielt werden. Durch dieses Verbot wird der menschliche Körper primitiver gemacht, als er eigentlich ist, analysiert Gebauer.

Im Fußball passiert also so etwas wie ein künstlich erzeugter evolutionsbiologischer Rückschritt. Aber das ist für das Spiel gerade ein entscheidender Kniff. Denn der bringt zwangsläufig einen anderen Gebrauch des menschlichen Körpers hervor. In jedem Spiel zeigt der Fußball nämlich, was Menschen in dieser eingeschränkten Lage aus sich machen können. Virtuose Pässe mit dem Fuß, verwirrende Dribblings, Fallrückzieher und sogar Tore mit dem Kopf. Mit anderen Worten: große Kunst. Und sinnliche Schönheit ist für Gebauer unverzichtbar für ein gutes Fußballspiel.

Natürlich gibt es am Fußball viel zu kritisieren. Seine Kapitalisierung und seine Monopolisierung zum Beispiel. Aber wenn sich in den nächsten Wochen Millionen Menschen in den Stadien und vor dem Fernseher versammeln, lohnt es sich, wenn sie ihren Blick auf die Kreativität, die Spannung und die Schönheit lenken, die der Fußball eben auch hervorbringt. Und die paradoxerweise mit einer Selbstbeschränkung beginnt. Guter Fußball ist also optimistisch, hoffnungsvoll und zuversichtlich. Und vielleicht lässt sich eine verzagte und ermüdete Gesellschaft ja davon anstecken.

Von Peter Otten

Der Autor

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.