Carina Adams über das Sonntagsevangelium

Der Prophet gilt nichts im eigenen Land – aber warum?

Veröffentlicht am 06.07.2024 um 12:20 Uhr – Lesedauer: 
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Bonn ‐ Warum nehmen die Menschen in Jesu Heimatstadt Anstoß an seiner Rolle als Prophet? Liegt es an dem, was er predigt? Für Carina Adams ist das Verhalten der Synagogenbesucher nichts Ungewöhnliches – denn sie hält etwas ganz anderes für den Auslöser der Feindseligkeiten.

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"Du hast dich so verändert!" Wer diesen Satz verwendet, meint ihn selten als Kompliment. Und so ähnlich dürfte es auch Jesus in der Synagoge seiner Heimatstadt gegangen sein. Erst gerät die Gemeinde in großes Staunen über die "Weisheit, die ihm gegeben ist". Und dann auf einmal nehmen sie Anstoß an ihm.

Was stört die Menschen in der Synagoge? Es kann nicht der Inhalt seiner Lehren sein. Die werden zwar später noch oft genug zum Störfaktor in der Gesellschaft, doch die Menschen hier erkennen ja seine Weisheit an. Und sie nehmen Anstoß an seiner Person, nicht an dem, was er sagt.

Stört es sie, dass Jesus sich verändert hat? Kaum erinnert man sich an den Jesus, den man als Zimmermann und Sohn von Maria kennt, passt es den Zuhörenden in der Gemeinde nicht mehr, wer da die Schrift auslegt und Machttaten vollbringt. Man hat ein Bild von Jesus im Kopf, man "weiß", wer Jesus ist.

Wenn ein Mensch sich verändert, dann ist das oft negativ konnotiert, weil wir das eigene Bild im Kopf anpassen müssen. Und das ist für uns unbequem. Aber ist das ein Grund, um ihn – wie es das Lukasevangelium ergänzt – von einem Felsen stürzen zu wollen?

Das Problem liegt vielleicht gar nicht darin, dass die Menschen ihr Bild von Jesus hinterfragen müssen. Noch viel schwieriger dürfte es für sie sein, dass ihr Bild eines Propheten falsch sein könnte. Sie müssen überdenken, ob Gott so funktioniert, wie sie ihn zu kennen glauben, denn Jesus ist für sie zu menschlich.

Hier in Jesu Heimatstadt hat man ihn als Kleinkind schreien, als Teenager mit den Eltern streiten, als jungen Mann an einem Projekt scheitern sehen. Und dieses Bild passt jetzt nicht zu dem weisen und Wunder wirkenden Mann vor ihnen. Es ist vielleicht wie dieses Gefühl, wenn man als Kind zum ersten Mal realisiert, dass auch die eigenen Eltern Schwächen haben. Ein unangenehmes Gefühl, denn das eigene Weltbild wird verrückt und muss wieder angepasst werden. Eine unersetzlich geglaubte Autorität wird unsicher.

Die Menschen in Jesu Heimatstadt tun nichts Ungewöhnliches. Sie reagieren verunsichert und ablehnend, wenn sie ihre bisherigen Weltbilder hinterfragen sollen und mit der Menschlichkeit ihrer Propheten konfrontiert sind.

Jesus akzeptiert das und er erkennt an, dass das Phänomen nichts Ungewöhnliches ist. Aber er zeigt uns auch, wie wir solchen Herausforderungen begegnen können, denn "er wunderte sich über ihren Unglauben". Mit ein bisschen mehr Glauben. Der uns vertrauen lässt, auch wenn wir realisieren müssen: Gott funktioniert nicht so, wie ich ihn zu kennen meine.

Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 6,1b–6)

In jener Zeit kam Jesus in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen?

Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm.

Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Und Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte dort.

Die Autorin

Carina Adams ist studierte Theologin und Redakteurin bei katholisch.de.

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