Missbrauchsvorwürfe gegen Mutter-Teresa-Schwestern
Ehemalige Mitglieder haben gegen den von der heiligen Mutter Teresa gegründeten Orden der Missionarinnen der Nächstenliebe Missbrauchsvorwürfe erhoben. Etwa zwölf Ex-Ordensschwestern gaben gegenüber der US-amerikanischen Nachrichtenseite "Crux" an, dass der Alltag in der Gemeinschaft von "Mikro-Aggressionen" durch Obere und andere Schwestern geprägt sei, heißt es in einem Bericht vom Montag. Diese Grenzüberschreitungen seien relativ trivial, aber mit der Zeit normal geworden. Als Beispiel wurde ungewollter körperlicher Kontakt genannt, der in bestimmten Fällen zu sexuellem Missbrauch geführt habe. Mutmaßliche Missbrauchstäter seien versetzt und die Taten nicht untersucht oder zur Anzeige gebracht worden, so die ehemaligen Missionarinnen. Vielmehr seien die Opfer zu Stillschweigen verpflichtet worden.
Die Frauen, von denen sieben ihren Namen angaben, beschrieben das Leben in der Ordensgemeinschaft als äußerst isoliert. Die Mitglieder hätten kaum Kontakt zu ihren Familien, die sie lediglich alle zehn Jahre besuchen dürften. Enge Freundschaften seien nicht erlaubt und ohne die Zustimmung der Oberin, die auch die Reisepässe verwalte, sei nichts möglich. Briefe müssten der Oberin vorgelegt werden und Anrufe dürften nur in ihrer Anwesenheit getätigt werden.
Anna Adamčikova, die die Missionarinnen der Nächstenliebe 2018 verließ und nun in Chile lebt, berichtete, sie sei gezwungen worden, verdorbenes Essen zu sich zu nehmen. Habe sie deshalb Magenschmerzen bekommen, sei sie aufgefordert worden, dieses körperliche Leiden Christus darzubringen. Zudem sei sie regelmäßig beschimpft worden. Unter den Schwestern seien Depressionen und Suizidgedanken verbreitet gewesen, so Adamčikova. Andere Ex-Ordensschwestern berichteten von sexuellen Annäherungsversuchen durch andere Missionarinnen. Wurden diese Anbahnungen bekannt, seien die Schwester versetzt worden. Die Betroffenen seien angewiesen worden, darüber Stillschweigen zu halten. Gleiches habe für Missbrauch durch Priester gegolten. "Beschütze die Kirche, beschütze die Priester", zitiert "Crux" eine namentlich nicht genannte Ex-Ordensschwester, die diesen Satz als Reaktion von Mutter Teresa auf Missbrauch gehört habe.
Eine weitere ehemalige Schwester berichtete, dass sie nach ihrem Austritt aus der Gemeinschaft einen Brief an das Ordensdikasterium im Vatikan geschrieben habe, in dem sie von ihren Erfahrungen bei den Missionarinnen berichtete. Der damalige Sekretär der Behörde, Erzbischof José Rodríguez Carballo, habe sich persönlich mit ihr getroffen und im Gespräch von weiteren Beschwerden über die Missionarinnen der Nächstenliebe berichtet, über die er "sehr besorgt" sei. Er habe einen weltweiten Skandal um den Orden befürchtet. Eugenio de la Fuente aus Chile, ein ehemaliger Priester, der der Gemeinschaft sehr nahegestanden habe, berichtete von einer ähnlichen Begegnung mit Papst Franziskus. Er habe ihm 2018 einen Brief mit einer Auflistung der Missstände bei den Missionarinnen übergeben und das Kirchenoberhaupt habe geantwortet: "Noch einer!". De la Fuente beschrieb die Mentalität im Orden wie folgt: "Zu denken ist schon fast eine Sünde." Demütigungen würden als Weg der geistlichen Entwicklung verstanden.
Mehrere ehemalige Schwestern des Ordens von Mutter Teresa gaben gegenüber "Crux" an, in Kontakt mit der neuen Sekretärin des Ordensdikasteriums zu stehen, Schwester Simona Brambilla. Ihren Angaben nach ist die Behörde im Austausch mit der Leitung der Missionarinnen mit Blick auf die Probleme innerhalb der Gemeinschaft. Ihr Vorgänger Rodríguez habe seinerzeit gesagt, es sei schwierig, konkrete Schritte gegen die Oberen einzuleiten, weil die betroffenen Schwestern sich davor scheuen würden, schriftliche Aussagen zu machen. Ein Sprecher des Ordens wies die Anschuldigungen des Artikels von "Crux" zurück und gab an, dass die Gemeinschaft eventuelle Vorfälle ernst nehme. Bei den Ex-Ordensschwestern handele es sich lediglich um eine kleine Gruppe der gegenüber die mehr als 5.500 Missionarinnen der Nächstenliebe stünden, die sich in aller Welt um die Ärmsten der Armen kümmerten.
Mutter Teresa lebte von 1910 bis 1997 und wurde vor acht Jahren von Papst Franziskus heiliggesprochen. Die aus dem heutigen Nordmazedonien stammende Ordensfrau war als Missionarin vor allem in Indien tätig und gründete 1950 ihre Ordensgemeinschaft. Die Missionarinnen der Nächstenliebe kümmern sich heute in 139 Ländern um Sterbende, Waisen, Obdachlose und Kranke. Für ihre aufopferungsvolle Arbeit erhielt Mutter Teresa viele Auszeichnungen, unter anderem 1979 den Friedensnobelpreis. Sie gilt bis heute in aller Welt als bekanntes Beispiel für tätige Nächstenliebe, ist gleichzeitig aber auch umstritten: Die unzureichenden hygienischen Verhältnisse in den Sterbehäusern des Ordens, aber auch die Missionierungsbestrebungen der Ordensfrau und ihre nicht transparente Verwendung von Spenden werden stark kritisiert. (rom)