Das steht im Exkommunikations-Dekret des abtrünnigen Erzbischofs

Viganòs Urteil – kein Mangel an Beweisen für das Schisma

Veröffentlicht am 06.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Keine Frage: Ex-Nuntius Carlo Maria Viganò ist ein Schismatiker. Wer den Papst als "Feind der lehramtstreuen Katholiken" und Krebsgeschwür beschimpft, stellt sich selbst außerhalb der Gemeinschaft. Nun ist das auch amtlich – das Strafdekret zeigt, wie sehr der Erzbischof abgedriftet ist.

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Selten ist ein Fall so klar wie im Schisma-Prozess gegen Erzbischof Carlo Maria Viganò. Seit Jahren driftet der ehemals hochgeschätzte Vatikandiplomat immer weiter in weltliche Verschwörungsmythen und in einen reaktionären Traditionalismus ab, die weder das Zweite Vatikanische Konzil noch Papst Franziskus anerkennen. Was Viganò glaubt, lässt sich online nachlesen. Über seinen X-Account hält der Erzbischof seine Anhänger immer auf dem aktuellen Stand – so wurde seine Anklage durch das Glaubensdikasterium bekannt, und so machte er auch das Strafdekret öffentlich, das er am Freitag erhalten hat.

Kirchliche Justiz ist nicht für ihre Transparenz bekannt. Urteile, zumal Strafurteile, werden kaum veröffentlicht. Dass das Glaubensdikasterium am Freitag mit einer Pressemitteilung über den Schuldspruch Viganòs informierte, war schon ungewöhnlich transparent. Mit dem von Viganò selbst veröffentlichten Strafdekret gibt es nun einen seltenen Einblick in die Mühlen der vatikanischen Justiz.

In diesem Fall haben die Mühlen schnell gemahlen, nachdem sie erst einmal angesprungen waren: Am 3. Juni hat das Dikasterium den Spruchkörper zusammengestellt, der über das auf dem Verwaltungsweg geführte Verfahren entscheiden sollte; auf den 11. Juni war die Vorladung Viganòs ins Dikasterium datiert, wo er am 20. Juni erscheinen sollte, um sich seinen Richtern zu stellen. Diesen Termin ließ er ebenso verstreichen wie die Frist bis zum 28. Juni, die ihm für die Verteidigung eingeräumt wurde – stattdessen erklärte er über seine Online-Kanäle, dass er die Anklage als Ehre empfinde und gar nicht daran denke, sich zu verteidigen. Am 4. Juli folgte dann der Beschluss des Strafdekrets, unterzeichnet durch den Glaubenspräfekten, Kardinal Víctor Manuel Fernández, und den Leiter der Disziplinarsektion des Dikasteriums, Monsignore John Kennedy.

Kein Mangel an Beweisen

Durch die Veröffentlichung des Strafdekrets durch Viganò ist nun auch transparent, was genau dazu führte, dass das Dikasterium die Exkommunikation des Erzbischofs feststellen musste. Schon durch das Ladungsdekret im Juni wurden die wichtigsten Gründe genannt, auf die das Dikasterium die Anklage wegen Schismas stützte: Dem Erzbischof wurden "öffentliche Äußerungen, aus denen eine Leugnung notwendiger Punkte hervorgeht, die für den Erhalt der Gemeinschaft mit der katholischen Kirche notwendig sind", zur Last gelegt. Konkret gehe es um die Leugnung der Legitimität von Papst Franziskus und den Bruch der Gemeinschaft mit dem Papst sowie die Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Im Strafdekret wird nun aufgeführt, auf welche konkreten Äußerungen sich die Anklage stützt.

Gebäude der Kongregation für die Glaubenslehre am Palazzo del Sant Uffizio, im Vatikan.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Im Palazzo del Sant Uffizio hat das Glaubensdikasterium seinen Sitz. Als Gericht ist das Dikasterium für die schwersten Straftaten, darunter Schisma, zuständig.

Viel Arbeit machte die Beweisführung wohl nur deshalb, weil aus den vielen Schriften Viganòs ausgewählt werden musste, was in die Anklageschrift aufgenommen wird. An schismatischen Äußerungen mangelte es darin nämlich nicht. Für die Anklage hat das Dikasterium neun Auszüge aus Texten zum Beleg der Ablehnung der Autorität des Papstes und sechs zur Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgewählt. In einem Fall wird auf ein Video Bezug genommen. Alle Beweismittel wurden zwischen 2020 und Ende Juni 2024 online veröffentlicht, zumeist auf der Seite von Viganòs Stiftung "Exsurge Domine". Relevant sind aber auch Publikationen auf italienischen und vor allem US-amerikanischen Webseiten aus dem reaktionär-traditionalistischen Spektrum.

Die Zusammenstellung zeichnet zugleich die immer stärkere Radikalisierung Viganòs nach. Der älteste Text stammt aus dem Juni 2020. Im Kontext der Corona-Pandemie hatte der Erzbischof immer mehr Verschwörungsmythen über die Covid-Impfung und angebliche Weltverschwörungen verbreitet. Zuvor war er vor allem aufgrund seiner schon damals polemischen Kritik am Umgang von Papst Franziskus mit dem in einem kirchlichen Verfahren überführten und aus dem Klerikerstand entlassenen Missbrauchstäter Theodore McCarrick aufgefallen. Die Publikationen aus dieser Zeit spielten im Verfahren keine Rolle.

Das Konzil als Krebsgeschwür

Die Position zum Zweiten Vatikanischen Konzil spitzte sich im zeitlichen Ablauf zu: von grundsätzlicher Kritik zu totaler Ablehnung. Im Juni 2020 sprach er noch davon, dass das Konzil benutzt worden sei, "um die abwegigsten lehrmäßigen Abweichungen, die gewagtesten liturgischen Neuerungen und die skrupellosesten Missbräuche mit dem Schweigen der Autorität zu legitimieren"; ein Vierteljahr später spricht er schon von "heterodoxen Sätzen" in den Dokumenten des Zweiten Vatikanums, nach einem weiteren Monat kommt dann erstmals die von ihm später immer wieder bemühte Krebs-Metaphorik vor: Das Konzil wird als "Ursprung der bergoglianischen Metastase" bezeichnet. Auch in den jüngsten Äußerungen – das Dikasterium bezieht sich auf die beiden Texte, die Viganò nach seiner Vorladung am 20. und 28. Juni veröffentlicht hat – findet sich dieses Motiv: "Das Konzil stellt das ideologische, theologische, moralische und liturgische Krebsgeschwür dar, von dem die bergoglianische 'synodale Kirche' eine notwendige Metastase ist." Folgerichtig erklärt er in seinem bislang jüngsten Text, in dem er Papst Franziskus des Schismas und der Häresie bezeichnete, unmissverständlich, das Konzil als heterodox und "völlig bar jeder lehramtlichen Autorität" anzusehen.

Eine Indigene überreicht Papst Franziskus bei der Abschlussmesse der Amazonas-Synode eine Pflanze.
Bild: ©picture alliance / AP Photo (Archivbild)

Im Zentrum von Viganòs polemischer Kritik steht Papst Franziskus – der Erzbischof hält ihn für einen Häretiker und Schismatiker.

Um die Ablehnung des Papstes und seiner Autorität zu untermauern, greift das Dikasterium auf eine schnelle Abfolge von Texten Viganòs zurück, die er vom Oktober 2023 an im Monatstakt veröffentlicht hat. Papst Franziskus wird darin als "Feind der lehramtstreuen Katholiken" und "Logenpapst Bergoglio" beschimpft: "In diesen zehn Jahren 'Pontifikat' haben wir Bergoglio alles tun sehen, was man von einem Papst nicht erwarten würde, und umgekehrt alles, was ein Ketzer oder Abtrünniger tun würde." Rhetorisch fragt Viganò, ob man moralisch sicher sein könne, dass der "Pächter von Santa Marta" ein falscher Prophet sei: "Meine Antwort lautet: 'Ja.'" Nach der Veröffentlichung der Segenserklärung "Fiducia supplicans" sieht Viganò im Papst und seinen Kurialen "Diener des Satans und seine eifrigsten Verbündeten, angefangen mit dem Usurpator, der – Greuel der Verwüstung – auf dem Thron Petri sitzt".

Der Verteidiger kann nur auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren

Angesichts dieser Beweislage hat der vom Dikasterium bestellte Pflichtverteidiger – seine Identität geht aus dem Dekret nicht hervor – eine schwierige Aufgabe. Pflichtgemäß kann er immerhin noch darauf hinweisen, dass Viganòs Arbeit als Nuntius und im Staatssekretariat engagiert und gewissenhaft war. Er muss aber selbst einräumen, dass die objektiven Beweise für ein Schisma eindeutig sind. Als Verteidigungslinie bleibt ihm dann nur noch, den Nutzen der Strafe in Frage zu stellen – und an der Zurechnungsfähigkeit Viganòs zu zweifeln.

Die Exkommunikation ist im System des kirchlichen Rechts eine Beugestrafe. Sie soll den so Bestraften auf den rechten Weg zurückführen. Der Verteidiger sieht nicht, dass die Feststellung der Exkommunikation hier noch etwas bringen würde: Viganò selbst hatte erklärt, dass er die Strafe als Ehrenzeichen auffassen würde. Damit wäre die Bestrafung nicht nur fruchtlos, sie würde nur dazu führen, dass die aufgeheizte öffentliche Stimmung noch weiter angeheizt würde. (Ein Argument, das auch der Weihbischof von Astana, Athanasius Schneider, schon vorgebracht hat.)

„Wie kann das Dikasterium auf der Grundlage der Aussagen des Angeklagten die notwendige moralische Gewissheit erlangen, dass Seine Exzellenz voll zurechnungsfähig ist?“

—  Zitat: Viganòs Pflichtverteidiger

Das stärkste Argument des Pflichtverteidigers ist die Schuldfähigkeit. Hier wird die Verteidigungsschrift unfreiwillig komisch. Der Kirchenanwalt – in seiner Funktion dem Staatsanwalt vergleichbar – habe zwar keinen Zweifel an der Intelligenz des Angeklagten angesichts seiner Äußerungen. Dennoch versucht der Pflichtverteidiger, hier eine für seinen unfreiwilligen Mandanten wohlwollende Auslegung des Gerichts zu erreichen. Er fragt: "Wie kann das Dikasterium jedoch auf der Grundlage der Aussagen des Angeklagten die notwendige moralische Gewissheit erlangen, dass Seine Exzellenz voll zurechnungsfähig ist?"

Geringstmögliches Strafmaß 

Es ist keine Überraschung, dass die Verteidigung nicht verfängt. Die Peinlichkeit, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden, bleibt Viganò erspart: Die Beweise zeigten, dass er ein Mensch ist, "der seine Erklärungen größtenteils ruhig, vernünftig, frei und bewusst abgibt". Daher ist der Schuldspruch unausweichlich: "Die Gutachter sind nach Prüfung aller Beweise zusammen mit der Verteidigung des Pflichtverteidigers zu dem Schluss gekommen, dass die Erklärungen von Seiner Exzellenz Viganò mehr als ausreichend sind, um den Tatbestand des Schismas gemäß can. 751 CIC zu erfüllen." Es bestehe auch kein Zweifel daran, dass Viganò die Aussagen selbst getätigt hat, da es davon nicht nur Texte, sondern auch Videos gibt. Viganò sei sich auch der Strafbarkeit seiner Aussagen unzweifelhaft bewusst gewesen – das kirchliche Recht kennt fast keine Fahrlässigkeitsdelikte –, da er auch nach seiner Vorladung weiterhin schismatische Äußerungen tätigte.

Porträt von Erzbischof Marcel Lefebvre, Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X., am 1. Juli 1976 in Econe (Schweiz).
Bild: ©KNA/CIRIC/Jean Claude Gadmer (Archivbild)

Erzbischof Marcel Lefebvre, Gründer der Piusbruderschaft, ist ein großes Vorbild von Viganò – nun folgt er seinem Idol. Auch Lefebvre wurde wegen eines Schismas exkommuniziert.

Was das Strafmaß angeht, hat das Dikasterium das Mildeste gewählt, das das Gesetz vorsieht: die Feststellung der Exkommunikation. Als Tatstrafe hat Viganò sich die Exkommunikation schon selbst mit Begehung der Tat – also mindestens im Jahr 2020 – zugezogen, mit der Feststellung wird sie auch umfassend wirksam. Mit der Exkommunikation darf er die Sakramente weder selbst feiern noch empfangen, andere Gottesdienste leiten oder an ihnen mitwirken. Er darf keine kirchlichen Ämter, Aufgaben, Dienste und Funktionen übernehmen und hat keinerlei Leitungsgewalt mehr. Die Strafnorm, die das Schisma regelt, hätte auch noch weitere Strafen zugelassen: Wenn "andauernde Widersetzlichkeit oder die Schwere des Ärgernisses" es erfordern, können Strafen bis hin zur Entlassung aus dem Klerikerstand verhängt werden. Darauf hat das Dikasterium erst einmal verzichtet. (Für die Entlassung aus dem Klerikerstand hätte es bei einem auf dem Verwaltungsweg geführten Verfahren ohnehin ein besonderes Mandat des Papstes gebraucht.) Das Strafdekret verwarnt Viganò aber ausdrücklich: Es weist den Verurteilten darauf hin, dass diese Strafen weiter im Raum stehen, wenn das Schisma andauert.

Auf den Spuren Lefebvres

Viganò hat während des ganzen Verfahrens keinen Zweifel daran gelassen, dass er an seiner Position festhalten will. Das nächste Verfahren dürfte damit eher eine Frage des "Wann" als des "Ob" sein. Gleichzeitig zeigt sich aber eine gewisse Hilflosigkeit der kirchlichen Autorität, wenn sie völlig abgelehnt wird. Selbst wenn Viganò aus dem Klerikerstand entlassen werden sollte – und das ist nicht unwahrscheinlich –, bleibt er Priester und Bischof. Er spendet zwar Sakramente unerlaubt, mit Ausnahme der Beichte und der Eheassistenz aber gültig. Das jüngste von Viganò angekündigte Projekt ist ein traditionalistisches Priesterseminar. Solange die Finanzierung steht und er Kandidaten findet, ist weder eine Exkommunikation noch eine mögliche Entlassung aus dem Klerikerstand ein Hindernis. Viganò kann weiterhin gültig Diakone, Priester und sogar Bischöfe weihen. Die wären dann zwar in den Augen der Kirche suspendiert und dürften ihr Weiheamt nicht ausüben, gültig wären gleichwohl auch ihre Sakramentenspendungen.

Viganò hat wahrscheinlich selbst diesen Weg vor Augen: Immer wieder nahm er in den letzten Wochen Bezug auf den Gründer der Piusbruderschaft, Erzbischof Marcel Lefebvre. Wie Viganò wurde Lefebvre aufgrund eines Schismas – in Tateinheit mit verbotenen Bischofsweihen – exkommuniziert. Die Piusbruderschaft hat sich unterdessen aber von Viganò distanziert. Selbst für sie ist Viganò anscheinend zu extrem. Der Fall Viganò ist mit dem Urteil also noch nicht abgeschlossen, und nicht nur, weil der Verurteilte noch 60 Tage Zeit hat, um Rechtsmittel einzulegen. Sein Pflichtverteidiger dürfte Recht behalten: Als Beugestrafe mit dem Ziel der Besserung muss die Exkommunikation hier versagen – mit Ansage. Und doch war sie unausweichlich.

Von Felix Neumann