Reformator Thomas Müntzer prangerte vor dem Adel Missstände an

500 Jahre "Fürstenpredigt": Das Ende der alten Ordnung

Veröffentlicht am 13.07.2024 um 12:00 Uhr – Von Oliver Gierens (epd) – Lesedauer: 
Der Reformator Thomas Müntzer spricht vor den revoltierten Bauern
Bild: © akg-images

Allstedt ‐ Vor 500 Jahren probten die Bauern den Aufstand und fanden mit dem Reformator Thomas Müntzer einen engagierten Unterstützer. Mit seiner "Fürstenpredigt" las er den Mächtigen die Leviten. Am Ende scheiterte er – doch seine Ideen blieben erhalten.

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Vor 500 Jahren war die Welt im Umbruch: Die Reformation sorgte für ein neues Glaubensverständnis und stellte jahrhundertealte Traditionen infrage. Durch die Erfindung des Buchdrucks erlangten Schriften schnell eine große Verbreitung. Auch politisch geriet im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit einiges ins Wanken. Viele Bauern wollten sich nicht mehr mit Feudalsystem und Leibeigenschaft abfinden und begehrten auf. Eine Bestätigung für ihre Forderungen fanden sie bei den Reformatoren. Viele beriefen sich auf Martin Luthers (1483-1546) bekannte Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von 1520.

Doch der Reformator dachte gar nicht daran, sich mit den aufständischen Bauern und ihren Forderungen nach Abschaffung des Feudalsystems zu identifizieren. Äußerte er anfangs noch Sympathie für einige ihrer Forderungen, schrieb er 1525 in seiner Schrift "Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren", man sollte die Aufständischen "zerschmeißen, würgen und stechen" oder "wie einen Hund erschlagen". Zuspruch fanden die Bauern in einem anderen Reformator, der anfangs ein Weggefährte Luthers war und sich dann später deutlich von ihm distanzierte: Thomas Müntzer (um 1489 -1525).

Er hielt den Mächtigen den Spiegel vor

Er wandte sich nicht nur gegen die päpstliche Obrigkeit in der Kirche, sondern auch gegen die feudalen Herrscher, gegen Adel und Klerus, die mit Steuern und Pachtzahlungen, vor allem dem "Zehnten", mit Frondiensten und Leibeigenschaft die Bauern unterdrückten. In seiner berühmt gewordenen "Fürstenpredigt" vom 13. Juli 1524 in Allstedt im heutigen Sachsen-Anhalt prangerte er diese Missstände an: Dem späteren Kurfürsten Johann "dem Großmütigen" von Sachsen und seinem Sohn und Nachfolger Johann Friedrich I., die eigens nach Allstedt gekommen waren, hielt er den Spiegel vor und verurteilte die Willkürherrschaft der geistlichen und weltlichen Obrigkeit mit scharfen Worten. Als Konsequenz verlor er die Pfarrstelle.

Vermutlich 1489 in Stolberg im Harz geboren, erhielt Müntzer durch sein Studium in Leipzig und Frankfurt (Oder) eine humanistische Ausbildung. Um 1513 wurde er in der Diözese Halberstadt zum Priester geweiht, doch die Umbrüche in der Kirche lagen schon in der Luft. Müntzer distanzierte sich vom alten Glauben. In Zwickau erhielt er eine Pfarrstelle, wurde aber 1521 wegen eines Aufruhrs entlassen, den er angeblich angestoßen haben soll.

Das sind Deutschlands untergegangene Bistümer – Teil 1

In einer neuen Serie stellt katholisch.de ehemalige deutsche Bistümer vor, die im Laufe der Geschichte untergegangen sind. Im ersten Teil geht die Reise unter anderem nach Brandenburg, Bremen und an den Chiemsee. Denn auch das "bayerische Meer" war eine Zeit lang ein eigenständiges Bistum.

Müntzer versuchte, von Prag aus eine Reformation der gesamten Christenheit anzuzetteln, was ihm allerdings misslang. Schließlich trat er 1523 eine Pfarrstelle im kursächsischen Allstedt an. Dort wurde er ein Vorreiter liturgischer Reformen im Gottesdienst: Mit seiner Deutsch-Evangelischen Messe von 1524 legte er ein Konzept für die Feier des Gottesdienstes in der Landessprache statt in Latein vor, wobei er die gregorianischen Gesänge weitgehend wortgetreu aus dem Lateinischen übertrug.

Währenddessen hatten in den Gebieten des heutigen Thüringens und Sachsen-Anhalts und in Teilen Süddeutschlands Aufstände der Bauern begonnen. Im Deutschen Bauernkrieg (1524/25) forderten sie insbesondere in den Zwölf Artikeln von Memmingen (1525) grundlegende Freiheits- und Menschenrechte ein. Für Müntzer, der sich laut dem Berliner Historiker Günter Vogler als von Gott gesandter Prophet verstand, hatte nun die apokalyptische "Zeit der Ernte" begonnen. Die Menschen sollten in die "Ordnung Gottes" zurückkehren, worunter auch eine radikale Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung zu verstehen sei, schildert Vogler die Gedanken der Zeit.

Politische Vereinnahmung in der DDR

Für Thomas T. Müller, Vorstand der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, ist vor allem der Mut Müntzers bemerkenswert. "Denn wer traut sich schon, seiner Obrigkeit die – wenn auch theologisch begründete – Herrschaftskritik so deutlich ins Gesicht zu sagen", sagt Müller: "Eigentlich müssen ihm dabei die zu erwartenden Folgen bewusst gewesen sein, aber vermutlich hat er diese in seiner Selbstwahrnehmung als Prophet des Herrn durchaus wissend in Kauf genommen."

Müntzer wurde nach einem niedergeschlagenen Bauernaufstand 1525 in Frankenhausen hingerichtet. Gerade in Ostdeutschland ist die Beschäftigung mit dem radikalen Reformator besonders brisant. Denn die DDR-Führung hatte den revolutionären Theologen zum Vorläufer des Kommunismus erklärt. Diese politische Vereinnahmung geradezurücken, ist eines der Ziele, die sich die sachsen-anhaltische Landesausstellung "Gerechtigkeyt 1525" zum 500. Jahrestag des Bauernkriegs und der Hinrichtung Müntzers im nächsten Jahr gesetzt hat. Auch in Thüringen wird sich zum Doppeljubiläum die Landesausstellung "Freiheyt 1525 – 500 Jahre Bauernkrieg" mit dem Wirken des Radikal-Reformators befassen.

Von Oliver Gierens (epd)