Standpunkt

Rede vom Klerus als "Rückgrat der Kirche" schreibt die Überhöhung fort

Veröffentlicht am 16.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Joachim Frank – Lesedauer: 

Bonn ‐ Kardinal Woelkis Vorgänger predigte, dass Priester "gleichsam entprivatisiert" seien. Im Fall des Missbrauchsopfers F. argumentiert das Erzbistum Köln anders. Joachim Frank weist auf die Konsequenzen einer solchen Debatte hin.

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Immer samstags, zwischen Beichte und Vorabendmesse. Über Jahre erlitt Melanie F. als Kind und Jugendliche schwersten sexuellen Missbrauch. Täter war der inzwischen aus dem Klerikerstand entlassene Priester Ue., der zugleich Melanie F.s Pflegevater war.

Sechs Wochen hat sie jetzt noch Zeit, für eine Schmerzensgeldklage gegen das Erzbistum Köln Beweise vorzulegen, dass die damalige Bistumsspitze von Übernachtungen bei Ue. schon während seiner Ausbildung im Priesterseminar wusste. Das wäre nach Ansicht des Landgerichts Köln die "Red Flag" (rote Flagge), die eine Amtshaftung der Kirche begründen könnte.

Bislang teilt das Gericht den Standpunkt des Erzbistums, Ue. habe die Verbrechen in seiner Freizeit begangen. Die Pflegschaft selbst sei eine Art genehmigte Nebentätigkeit gewesen. Das ist so absurd, wie es klingt. Ue. hätte die Vormundschaft in den 1980er Jahren niemals bekommen ohne einen Vertrauensvorschuss als Kleriker und ohne das Einverständnis seiner Oberen. Und soll man wirklich annehmen, Ue. habe samstagnachmittags auf kurzem Wege vom Dienstort Pfarrkirche zum Tatort Pfarrhaus das Priesteramt hinter sich gelassen und sei zum Privatmann mutiert?

Gerade im Erzbistum Köln dürfte niemand so etwas auch nur zu denken wagen. Dort hat Kardinal Rainer Maria Woelkis Vorgänger Joachim Meisner in jeder Predigt zum Priestertum das heillos überzüchtete Modell totaler Indienstnahme propagiert: Der Priester sei "gleichsam entprivatisiert", er trage die "Verbindung Gottes mit den Menschen leibhaftig, unkündbar in seinem menschlichen Dienst". Davon gebe es "keine Beurlaubung".

Weder juristisch noch theologisch darf sich die Kirche aus der Haftung für solch eine Imprägnierung in den Köpfen und Seelen stehlen. Die Rede vom Klerus als "Rückgrat der Kirche" schreibt die Überhöhung bis heute fort. Würde die Kirche dagegen auf der Linie der Kölner Bistumsanwälte die Idee verfolgen, dass Priester künftig einen Beruf ausüben (dürfen) wie andere auch, fielen mit dieser – in vielerlei Hinsicht befreienden  Säkularisierung des Amtes auch Gehorsamsansprüche, Rundum-Anforderungen an die Lebensführung und das Bild eines 24/7-Priestertums in sich zusammen.

Juristisch spricht vieles dafür, dass der Fall F. am Ende beim Bundesgerichtshof landet. Die Antwort auf die überlebenswichtige Frage nach dem Priestertum der Zukunft aber kann die Kirche nicht an Karlsruhe abgeben.

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist "DuMont"-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des "Kölner Stadt-Anzeiger". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.