Kritik der Kirche: Massentourismus auf Mallorca gerät in Verruf
Auf Mallorca wird es eng. Die Bevölkerung der spanischen Insel hat sich in den vergangenen 40 Jahren verdoppelt. Laut spanischem Statistikamt INE hat sie mittlerweile eine Million Einwohner. Auch viele Ausländer haben das Inselleben für sich entdeckt, darunter knapp 22.000 Deutsche. Mallorca wird daher oft scherzhaft als 17. Bundesland bezeichnet.
Doch die Liebe zur Balearen-Insel verschärft etliche Konflikte. Wohnraum ist knapp; viele Hotelangestellte haben Schwierigkeiten, Unterkünfte zu finden. Es fehlt an Personal und Transportmitteln. "Die gesamte Verwaltung und Infrastruktur auf Mallorca sind nicht im gleichen Maß gewachsen wie die Bevölkerung", sagt Manuel Molina, Chef der spanischen Tourismus-Fachzeitschrift "Hosteltur". Touristen würden mitunter zum Sündenbock. Die Kassen sollen sie trotzdem füllen. Etliche Mallorquiner hätten zudem keinerlei Skrupel, ihre Häuser an Ausländer zu verkaufen, die mehr böten als Einheimische, kritisiert Molina die Doppelmoral.
Tourismusbranche wie Politik sind sich einig: Die Urlauberzahlen können nicht weiter wachsen. Jährlich reisen 12,5 Millionen Touristen aus der ganzen Welt an; 150.000 Urlauber erkunden das Innere der Insel mittlerweile mit dem Fahrrad. Die Landstraßen sind dafür allerdings nicht gut genug ausgebaut. Die Branche habe bereits reagiert und Billig-Hotels in Familien- und Luxusressorts umgewandelt, so Molina: "Die Urlaubspreise steigen weiter, das wird automatisch die Nachfrage einschränken. Aber es ist ein langer Prozess." In Problemzonen wie Magaluf und Ballermann werde der Billig-Tourismus allerdings fortgesetzt.
Massentourismus verschärft soziale Unterschiede
Davor fürchtet sich auch Sebastia Taltavull, katholischer Bischof von Mallorca. Trotz einiger positiver Veränderungen seien Umwelt und soziale Strukturen weiter überlastet. Kürzlich forderte der Geistliche bei einer eigens anberaumten Pressekonferenz die konservative balearische Regionalregierung zum Handeln auf: Sie solle andere Branchen auf der Insel stärker fördern, um die Abhängigkeit vom Tourismus zu reduzieren. Taltavull hat noch gut in Erinnerung, wie während der Corona-Pandemie Suppenküchen Hochkonjunktur hatten. Mallorca wurde damals zur Geisterinsel – ohne Urlauber keine Einnahmen.
Kritik am Massentourismus kommt außerdem von Esther Romero, Direktorin von Caritas Mallorca. Ihrer Einschätzung nach hat das derzeitige Modell soziale Unterschiede verschärft. Pfarrer Andreas Falow erlebt ebenfalls die negativen Folgen des Tourismus aus nächster Nähe. Am Ballermann hält er nicht nur jeden Sonntagmorgen mit Blick aufs Meer eine Messe auf Deutsch, sondern verbringt auch viel Zeit als Seelsorger. Die zunehmenden Probleme unter deutschen Jugendlichen hängen seiner Meinung nach mit Alkohol- und Drogenkonsum zusammenhängen. Die Regionalregierung warnt Urlauber zwar explizit auf Deutsch vor den Gefahren des Alkohols und fordert sie auf, verantwortungsvoll zu trinken. Ob das aber Jugendliche und Sportlergruppen, die schon morgens um 8 Uhr in Bars sitzen, tatsächlich erreicht, ist fraglich.
Als Ansprechpartner ist Falow auf der Insel nicht zuletzt wegen des speziellen Justizsystems gefragt: "In Spanien werden Verdächtigte bei möglichen Sexualdelikten nach der Strafanzeige des mutmaßlichen Opfers direkt in Gewahrsam genommen - egal, wo sie sind. Bisweilen werden sie aus dem Hotelbett in der Unterhose abgeführt", erzählt der Pfarrer. Die Eltern von jugendlichen Betroffenen müssten überdies oft betreut werden. Eines stimmt Falow indes trotz aller Probleme zuversichtlich: Auf der deutschen Partymeile gebe es nicht so viele Schlägereien wie in Magaluf auf der anderen Seite von Palma. Der Ort ist vor allem bei englischsprachigen Urlaubern beliebt.
Steigende Obdachlosigkeit trotz leerstehender Häuser
Partylaune einerseits, Elend andererseits. Die Zahl der Obdachlosen steigt ebenso. Einer von ihnen ist der 58-jährige Andre. Seit 30 Jahren lebt er auf der Insel und hält sich sonntags immer am Ballermann auf, wo Falow die Messe hält. "Ich bin immer gläubig gewesen und jetzt noch mehr, seit ich aufgehört habe zu trinken und schwer erkrankt bin", sagt Andre.
Er bekommt immerhin staatliche Sozialleistungen. Anders sieht es bei den Hunderten irregulären afrikanischen Migranten aus. In der Hoffnung auf ein besseres Leben und unter Lebensgefahr auf die Insel gekommen, verkaufen sie auf der Schinkenstra·e Souvenirs. Die Polizei haben sie immer im Nacken und riskieren, dass sie abgeschoben werden. Meistens sind die Beamten jedoch nachsichtig - und belassen es bei einer Ermahnung. Leben und leben lassen, auch das ist Teil des Insel-Alltags.