Standpunkt

Haben wir wirklich Priestermangel?

Veröffentlicht am 17.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Valerie Judith Mitwali – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das Wort "Priestermangel" ist in aller Munde. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Valerie Judith Mitwali schaut kritisch genauer hin auf Angebot und Nachfrage. Sie plädiert für einen kreativen Umgang mit römischer Tradition.

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Ferienzeit ist Vertretungszeit – auch in der Kirche. Der ausgebrannte Pfarrer verabschiedet sich für einige Wochen. Für ihn springt ein 90-jähriger Priester aus dem Ruhestand ein. Manchmal übernimmt die Vertretung auch ein ausländischer Priester, der als Joker unvorbereitet querfeldein versetzt wird. Allen dreien gebührt Dank und Respekt für ihre Arbeit. Echte Seelsorge kann so aber nicht stattfinden.

Das Wort "Priestermangel" ist dann in aller Munde. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Die Gebetsstunden für priesterliche Berufungen sprechen für sich. Der "Priestermangel" wird hier als Berufungsmangel interpretiert. Beruft Gott wirklich zu wenige? Der Pool derer, bei denen eine priesterliche Berufung für die Kirche überhaupt denkbar ist, erscheint stark begrenzt. Als unabdingbar gilt die passende geschlechtliche Identifizierbarkeit, bei der sexuellen Orientierung droht (bei zu viel Offenheit) der Ausschluss, und der Zölibat ist für (fast) alle Pflicht. Manche Gläubige mögen gar den Eindruck haben, kirchliche Flexibilität beschränke sich auf die Themenfelder theologische Qualifikation und menschliche Eignung.

Es ist wahr, dass viele dieser Konditionen in den evangelischen Landeskirchen entfallen – und es auch hier Probleme gibt, Pfarrstellen zu besetzen. Nun ist Mangel keine feste Größe, sondern erwächst aus einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Die Konzentration des Kirchenrechts auf die Verantwortung des Pfarrers ist die eine Sache. Etwas anderes sind die spirituellen Bedürfnisse der Gläubigen. Geht es bei der nicht zu erfüllenden Nachfrage immer exklusiv um Priester oder inklusiv um Pastoral? Schon heute engagieren sich in der Seelsorge viele Menschen, die offiziell als "Laien" bezeichnet werden.

Die Alte Kirche hätte sich darüber nur gewundert. Wer der Gemeinde diente, wurde auch mit einem Amt ausgestattet – zur Not schaffte man ein neues Amt. Ausgerechnet die römische Kirche nahm hier einst eine Pionierrolle ein und konzipierte maßgeschneiderte Lösungen. Anstatt kreativer Tradition läuft heute "Priestermangel" in Dauerschleife. Der Mahnung des Kirchenhistorikers Georg Schöllgen ist nichts hinzuzufügen: "Die Alte Kirche hat ihre Identität durch Schaffung neuer Ämter bewahrt, die gegenwärtige Kirche verliert ihre Identität durch resigniertes Festhalten an Ämtern."

Von Valerie Judith Mitwali

Die Autorin

Valerie Judith Mitwali ist Redaktionsmitarbeiterin bei katholisch.de und promoviert an der Ruhr-Universität Bochum in systematischer Theologie.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.