Pater Philipp König über das Sonntagsevangelium

Jesus und die "Work-Life-Balance"

Veröffentlicht am 20.07.2024 um 11:30 Uhr – Lesedauer: 
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Vechta ‐ Jesus braucht Erholung und will verreisen, doch die Menschen, die von seinen Taten erfahren haben, folgen ihm. Pater Philipp König denkt, dass man Arbeit und Leben nie so richtig trennen kann. Ruhe braucht man trotzdem, dafür muss man aber nicht hunderte Kilometer in den Urlaub fliegen.

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Das Bedürfnis nach Erholung ist groß! Gerade jetzt in den Sommermonaten suchen viele Menschen eine Auszeit vom Stress des Alltags. Auch ich mache Ferien, um etwas Abstand zu gewinnen. Dabei ist es gar nicht immer ganz einfach, zur Erholung zu kommen. Die Palette an Möglichkeiten ist groß: ob als Pauschalurlauber oder Individualreisende, von der Trekkingtour über den Städtetrip bis hin zur Wellnessoase... Doch ausgerechnet in den Ferien kochen bisweilen Konflikte hoch, so manche Erwartungen an den perfekten Urlaub werden enttäuscht und vielen will es nicht recht gelingen runterzukommen. Man fühlt sich müde und will einfach nur nichts tun – doch tagelang auf der Couch herumzuliegen bringt auch nicht den erwünschten Erholungseffekt. Wie erholt man sich also "richtig"? Und was bedeutet Erholung eigentlich?

Jesus und seine durchkreuzten Reisepläne

Auch Jesus und seine Jünger kannten das zutiefst menschliche Bedürfnis nach Erholung. Nachdem Jesus seine Jünger (hier erstmals Apostel genannt!) zur Mission ausgesandt hatte und sie zu ihm zurückgekehrt waren, lädt er sie an einen einsamen Ort ein, um ein wenig auszuruhen. Auch Jesus lebte in der Spannung von Gebet und Arbeit, Sammlung und Sendung. Ruhe und Erholung zu suchen, ist also zunächst einmal etwas völlig Berechtigtes! Es verleiht den nötigen Abstand, um mein Leben im richtigen Licht zu betrachten und lässt mich neue Kraft tanken. Es zeigt mir zudem, dass ich nicht alles allein aus mir selbst schaffen muss (und kann!), sondern dass ich immer die Verbindung zu meinen Quellen brauche, konkret: zu Jesus Christus, der Quelle des Lebens schlechthin!

Nun zerschlagen sich allerdings die Reisepläne Jesu mit seinen Freunden gehörig: In Scharen strömen die Menschen zu ihm, um ihn zu sehen. Das Boot, in dem er mit den Jüngern wegfahren will, holen sie zu Fuß ein! Bezeichnend für Jesus ist hier, dass er die Bewunderung der Massen keineswegs sucht, als ob er sie für sich persönlich nötig hätte! Das unterscheidet ihn von so manchen Narzissten und Potentaten, die süchtig nach der Anerkennung anderer sind und ohne sie schlicht nicht auskommen! Vielmehr geht von Jesus eine besondere Kraft aus, welche die Menschen förmlich anzieht. Sie spüren: Bei ihm können sie wirklich finden, wonach sie suchen.

Einblicke in die Gefühlswelt Jesu

Deshalb flieht Jesus auch nicht vor den Menschen oder schickt sie weg (wie es ihm die Jünger später vorschlagen werden), sondern er bleibt bei ihnen und hat Mitleid mit ihnen. Im Griechischen findet sich an dieser Stelle ein besonders schöner und berührender Ausdruck, nämlich die Verbform ἐσπλαγχνίσθη ("esplangchnístä"). Was unsere Bibelübersetzung mit "er hatte Mitleid" wiedergibt, geht eigentlich noch viel tiefer: Es bezeichnet, dass Jesus sich bis in sein Innerstes (wörtlich: "bis in seine Eingeweide hinein") von der Not der Menschen berühren und bewegen lässt. Hier klingt sogar das hebräische Wort für "Mutterschoß" an, was zusätzlich eine weiblich-mütterliche Nuance der Liebe Jesu (und Gottes) ausdrückt. Dass die Menschen wie Schafe ohne Hirten sind, geht Jesus also zu Herzen, denn er selbst ist der gute Hirte (Ps 23).

Im Evangelium beobachten wir immer wieder, wie Jesus die Abgeschiedenheit sucht, um Ruhe für das Gebet, das Gespräch mit seinem Vater zu finden. Gleichzeitig bleibt er ansprechbar und berührbar für die Menschen und ihre Nöte. Erholung ist also wichtig und Ruhe etwas Lebensnotwendiges. Gleichzeitig wird eine völlige Trennung von "Arbeit" und "Leben" nicht oder nur sehr schwer möglich sein. Das vielbeschworene Konzept einer "Work-Life-Balance" sehe ich daher eher kritisch, da hier akribisch getrennt werden soll, was eigentlich nicht ganz zu trennen ist. Arbeit und Freizeit sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern zueinander in ein fruchtbares Verhältnis gesetzt werden. Gerade im Dienst der Seelsorge kann die Erholung dazu beitragen, dass ich im Blick auf Jesus den Kopf wieder frei bekomme für den Dienst an den Menschen. Nachhaltige Erholung besteht für mich darin, mich meiner Beziehung zu Jesus neu bewusst zu werden, aus der ich Kraft für mein Leben wie für meinen Dienst schöpfen kann. Für mich ist beispielsweise die tägliche stille Betrachtung so eine heilige Zeit, ebenso der Blick in die Heilige Schrift zwischendurch, oder auch der Spaziergang zur benachbarten Marienkapelle in der Nähe unseres Klosters. Dies ist nichts Exklusives und mein Zugang zu Jesus stellt nichts Privilegiertes dar. Vielmehr ist mein Wunsch, bei Jesus zu sein, verknüpft mit dem Drang, gemeinsam mit ihm und aus seiner Kraft für andere zu wirken.

Wo finde ich Erholung?

Wo finde ich die Ruhe und Erholung, die ich brauche? Natürlich ist es typenabhängig und jede und jeder hat da eigene Vorlieben. Aber vielleicht braucht es oft weniger, als wir meinen. Orte der Ruhe müssen nicht unbedingt viele Flugstunden entfernt sein: Auch der Wald oder der Stadtpark vor meiner Haustür, die Kirche in meinem Ort, der Balkon einer Freundin oder die Gebetsecke in meinem Zimmer können mir helfen, zur Ruhe zu finden. Entscheidend ist die Verbindung zu dem, der selbst die Ruhe und der Frieden in Person ist, weil er ganz in Gott ruht: Jesus Christus. Wie die Apostel und die Menschenmenge damals kann ich dem Klang seiner Worte lauschen. Seine Lehre ist weder bloßer Theorieunterricht noch gutgemeinter Ratschlag. Sie ist so viel mehr: Weg zum Heil und Wort zum Leben! Wie im Gottesdienst höre ich sein Wort und empfange aus seiner Hand das Brot des Lebens. So bin ich gleichzeitig Gebender und Beschenkter. In diesem Ineinander und in der richtigen Ausrichtung auf den Herrn kann ich dann die Erholung finden, nach der ich mich so sehr sehne.

Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 6, 30–34)

In jener Zeit versammelten sich die Apostel,
die Jesus ausgesandt hatte, wieder bei ihm
und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten.

Da sagte er zu ihnen:
Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind,
und ruht ein wenig aus!
Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen,
so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen.
Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend,
um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren
und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin
und kamen noch vor ihnen an.

Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen
und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe,
die keinen Hirten haben.

Und er lehrte sie lange.

Der Autor

P. Philipp König ist Dominikaner und unterrichtet derzeit am ordenseigenen Gymnasium in Vechta die Fächer Französisch, Latein und Religion.

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