Ehemaliger Kaplan: "Habe nicht freiwillig auf Dienst verzichtet"
Edgar Büttner wollte nie ein Doppelleben führen. Als er sich als Kaplan und Religionslehrer in Bad Kissingen bei Würzburg in eine Frau verliebte, sich öffentlich zu ihr bekannte und sie heiraten wollte, musste er sein kirchliches Amt aufgeben. Im Interview mit katholisch.de berichtet der ausgebildete Theologe (Jahrgang 1952), der sich bei "Wir sind Kirche" engagiert, von seinen persönlichen Erfahrungen und seinem größten Wunsch.
Frage: Herr Büttner, sind Sie ein "laisierter" Priester?
Büttner: Nein, ich sehe mich nicht als laisierten Priester. Meine Weihe wurde mir unwiderruflich gespendet und kann nicht rückgängig gemacht werden. Ich wurde 1978 im Würzburger Dom zum Priester geweiht. Während der fünf Jahre als Kaplan in Würzburg und Bad Kissingen habe ich meine Frau kennen gelernt und mich in sie verliebt. Wir sind seit 30 Jahren verheiratet. Dann bin ich aus dem kirchlichen Dienst und dem Priesterrat ausgeschieden, also suspendiert worden. Das heißt, ich durfte keine seelsorglichen Aufgaben mehr übernehmen und keine Messen mehr feiern. Später arbeitete ich als Berater und Coach für Unternehmen und Organisationen. Das Priestersein habe ich nie aufgegeben, bis heute nicht. Einmal Priester, immer Priester. Daher lehne ich Etikettierungen wie "Laisierung" oder "ehemalige Priester" ab, denn ich wurde letztlich "nur" aus dem Klerikerstand entlassen.
Frage: Sie haben die Initiative "Priester im Dialog" begründet. Wer gehört dieser Gruppierung an und was genau ist das Anliegen?
Büttner: Zu der Gruppe gehören dispensierte Priester und Ordensleute, ihre Frauen und zum Teil auch deren Kinder. Wir haben in verschiedenen Diözesen zusammengerechnet an die 100 Aktive, sind gut vernetzt und treffen uns auf Einladung von Mitarbeitern des Bischofs, teilweise kommen Bischöfe dazu. Wie die "Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen" verfolgen wir eine kirchenpolitische Agenda und ersuchen die Personalverantwortlichen der einzelnen Diözesen, also die Generalvikare und Bischöfe, dass sie ihre ehemaligen Pfarrer, Kapläne und Ordensleute zu Gesprächen einladen und sich austauschen. Wir streben einen verbesserten Umgang mit Priestern an, die aus dem Dienst ausscheiden mussten - allerdings nicht wegen sexualisierter Gewalt, sondern weil sie geheiratet haben oder es wollten. Zu viele haben schlechte Erfahrungen gemacht, wurden allein gelassen, standen ohne finanzielle Unterstützung da. Nun haben wir mit Zustimmung des Synodalen Weges eine Umfrage genau zu diesem Thema angestoßen: "Wie erging es Priestern, nachdem sie ihre Diözese verlassen mussten? Wie waren danach ihre Arbeitsbedingungen? Wurden sie weiterhin kirchlich angestellt? Hatten sie feste Arbeitsverträge?" Wir wollen auch Best-Practice-Beispiele für einen menschlich überzeugenden Umgang mit suspendierten und dispensierten Priestern seitens der Diözesen sammeln. Die Ergebnisse möchten wir dann für weitere kirchliche Foren auswerten. Ich habe die Vision, dass man den Zölibat für Priester freiwillig macht. Und dann kann ein Priester selbst entscheiden. Natürlich kann auch die Ehe eines Priesters scheitern. Doch die große Mehrheit derjenigen, die ich kenne, ist glücklich mit ihrer Entscheidung.
Frage: Wie erging es Ihnen damals als frisch verliebter Ex-Kaplan?
Büttner: Meine Erfahrungen mit der Diözesanleitung waren nicht so gut. Ich stand 1984 nach meiner Suspendierung auf einmal mit Nichts auf der Straße. Ich brauchte mehr Gottvertrauen als zuvor zur Weihe. Es hat gedauert, bis ich beruflich Fuß fassen konnte, eine Dispens erhielt. Das war damals sehr streng unter Papst Johannes Paul II. Er hat Priester, die unter 40 Jahre alt waren, nicht mehr dispensiert. So konnte man nicht kirchlich heiraten, selbst wenn schon Kinder da waren. Heute geht es wieder menschlicher zu. Niemand macht es sich leicht, einfach zu gehen und aufzuhören. Jedenfalls habe ich nicht freiwillig auf den priesterlichen Dienst verzichtet. Ich lebe bis heute spirituell, bete die Psalmen. Was mir Mut macht, ist ein in Deutschland recht unbekanntes Dispens-Reskript aus dem Vatikan, das mir erstmals vor wenigen Jahren aus dem südamerikanischen Raum bekannt wurde. Es wird teilweise in deutschen Diözesen schon verwendet, in anderen nicht annähernd umgesetzt.
Frage: Was genau steht in dem Dispens-Reskript?
Büttner: In diesem Dokument, das weltweit gültig ist, steht, dass ein Priester, der heiratet, die Dispens nach ein paar Monaten erhält und daraufhin "tamquam laicus", also "als ob er ein Laie wäre" - also fiktiv - jeden Beruf in der Kirche ausüben kann. Welche Berufe damit gemeint sind, wird im Einzelnen nicht ausgeführt. Nur dass es Berufe sind, die alle Laien in der Kirche ausüben können. Bislang war es so, dass die meisten dispensierten Priester in einem kirchlichen Beruf höchstens in der Kategorialseelsorge angestellt wurden, also im Krankenhaus, im Gefängnis oder in der Altenarbeit. Nun sagt das Dokument aber klipp und klar, dass ein dispensierter Priester auch als Seelsorger in die Gemeindepastoral zurückgerufen werden kann. Diesen Fall gibt es bereits. Erst kürzlich wurde in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ein verheirateter, aus dem Klerikerstand entlassener Priester zum Pastoralreferenten beauftragt. Ich freue mich darüber. Für mich ist das ein hoffnungsvolles Zeichen. Schon die Würzburger Synode in den Jahren 1971 bis 1975 hatte das gefordert. Als Zaungast des Priesterseminars glaubte ich an die Umsetzung.
Frage: Wieviel dispensierte Priester gibt es in Deutschland?
Büttner: Wir haben keine offiziellen Zahlen. Es gab eine Umfrage, die feststellt, dass pro Jahr in einem Bistum ein bis zwei Priester aufhören. Im deutschsprachigen Raum wurden seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil schätzungsweise 2.000 Priester wegen Heirat aus dem Priesteramt entfernt. Weltweit dürften es rund 100.000 Priester sein. Jetzt könnte man all diese Priester rehabilitieren und in den pastoralen Dienst zurückholen.
Frage: Wenn ein verheirateter Priester wie Sie wieder als Pastoralreferent in der Pastoral eingesetzt würde, dann könnte er Sakramente spenden, oder?
Büttner: Ja, das könnte er sakramental gültig. Die einmal empfangene heilige Weihe "wird niemals ungültig", heißt es im Kirchenrecht (c.290 CIC/1983). Die umgangssprachliche "Laisierung" gibt es nicht. Aus der Schweiz weiß ich, dass es dispensierte Priester gibt, die in der Pfarrei alles tun dürfen, nur nicht die Eucharistie feiern. Wenn Priester im Amt immer weniger geheim ihre Beziehungen zu Frauen leben, sollte auch uns als verheirateten Priestern zugestanden werden, wieder unseren Dienst auszuüben, zu dem wir uns am Weihealtar bereit erklärt haben. Wer Dispens erhalten hat, dem bleibt "nur" ein Berufsverbot. Er kann die Sakramente spenden, wenn die Gläubigen ihn darum bitten, "das aber zu erbitten, ist aus jedwedem gerechten Grund erlaubt" (CIC can. 1335), nicht nur in Todesgefahr.
Frage: Haben Sie jemals an Ihrer Berufung zum Priester gezweifelt?
Büttner: Niemals. Ich kenne auch keinen, der an seiner Berufung gezweifelt hat. Die allermeisten halten daran fest, Priester zu sein. Wir können diese Berufung nur nicht unter der Bedingung des Zölibats leben. Darum setze ich mich für die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung für Priester ein. Der Zölibat ist kein Sakrament. Ich wollte damals Priester sein und habe den Zölibat bewusst, aber ohne Begeisterung auf mich genommen. Dann habe ich festgestellt, dass es nicht funktioniert. Naheliegend wäre es zu sagen, ich mache es dann mit Heirat weiter. Aber das lehnt unsere römisch-katholische Kirche noch immer ab. Wenn einem das ehelose Leben nicht gelingt und er sich für das Leben mit einer Frau entscheidet, gerät er fast zwangsläufig in eine existentielle Notlage. Manche führen daher ein Doppelleben. Auch deshalb setze ich mich dafür ein, dass es Priester im Zivilberuf geben soll, ähnlich wie Ständige Diakone mit Zivilberuf und Familie. Wir haben doch bereits solche Regeln in den griechisch-katholischen Kirchen, also verheiratete Priester, da für diese Teilkirchen ein eigenes Kirchenrecht existiert, das Papst Johannes Paul II. genehmigt hat. Dazu kommen konvertierte lutherische Pastoren oder anglikanische Priester, die verheiratet sind und eine eigene Familie haben. Ich glaube, der Vatikan will mit Mühe etwas aufrechterhalten, was längst kein theologisches Problem mehr ist, nur mehr eine praktische Frage. Ich bin froh, dass der Synodale Weg mit überwältigender Mehrheit für eine Überprüfung des Pflichtzölibats stimmte. Der ehelos lebende Jesus forderte von seinen Jüngerinnen und Jüngern nie einen Zölibat. Ich war bereit, ehelos zu leben. Es war für mich nicht lebbar.
Frage: Haben Sie heute deshalb Schuldgefühle?
Büttner: Nein. Ich hatte sie, bevor ich meine Entscheidung öffentlich machte und mich zu meiner Frau bekannte. Davor habe ich eine Zeit lang ein Doppelleben geführt, was ich nie wollte. Heute fühle ich weder Schuld noch Scham. Beruflich bin ich sehr zufrieden. Ich habe Führungskräfte bei einem Global Player und Teams in öffentlich-rechtlichen Institutionen geschult, habe Seminare fürs Auswärtige Amt gehalten. Ich hatte Glück. Ich musste mich nie mit meinen theologischen Qualifikationen verstecken. Dafür bin ich dankbar. Mir ist wegen Heiratsabsicht gekündigt worden, ich bin aber jederzeit bereit, zurückzukommen. Doch dafür müsste mich ein Bischof zurückholen und die Suspendierung aufheben. Es ist dann alles wieder möglich. Ich muss nicht am Altar stehen, aber ich könnte für die Menschen in den Gemeinden, im Hospiz oder im Krankenhaus da sein und ihnen die Sakramente der Beichte und Krankensalbung spenden. Den Gemeinden gehen viel zu viele gut ausgebildete, hochmotivierte Priester verloren. Ich kann mich nur wiederholen: Adsum! Ich bin bereit!