"Die Menschenwürde ist nicht zu relativieren"
KNA: Herr Bischof, wenn Sie drei Wünsche frei hätten - was wäre Ihnen in der zukünftigen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung am wichtigsten?
Trelle: Zunächst - das tiefgreifende humanitäre Versagen, das derzeit an den europäischen Außengrenzen zu beklagen ist, muss ein rasches Ende finden. Jedes untergegangene Flüchtlingsboot ist auch eine Niederlage für Europa. Wir brauchen eine wirksame Seenotrettung im Mittelmeer und sichere Zugangswege nach Europa. Eng damit verbunden ist mein zweites Anliegen: Das bestehende Dublin-System ist in vielerlei Hinsicht nicht mehr tragfähig, schon deshalb, weil es zu einer übermäßigen Belastung der Erstaufnahmeländer führt. Jeder Staat sollte aber einen angemessen Beitrag bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisten. Drittens sollte die Bundesregierung - mit Blick auf unser Land - sicherstellen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen nicht zur finanziellen und organisatorischen Überforderung für strukturschwache Kommunen wird. Wenn die berechtigten Sorgen vieler Bürgermeister und Landräte nicht ernst genommen werden, besteht die Gefahr, dass Ressentiments in der Bevölkerung Vorschub geleistet wird.
KNA: Flüchtlinge mit einer klaren Bleiberechtsperspektive sollen etwa bei den Möglichkeiten zum Spracherwerb und beim Zugang zum Arbeitsmarkt bevorzugt werden. Ist das keine Zweiklassen-Flüchtlingspolitik?
Trelle: Wenn davon ausgegangen werden kann, dass jemand längere Zeit in Deutschland bleibt, ist es sicher sinnvoll, seine gesellschaftliche Integration auf besondere Weise zu fördern. Dies darf aber nicht dazu führen, dass anderen Menschen gar keine oder nur halbherzige Angebote gemacht werden.
Linktipp: Die Realität sieht anders aus.
Stammtischparolen verbreiten sich am schnellsten in den sozialen Netzwerken: Asylanten leben im Sternehotel und kriegen alles bezahlt, heißt es da. Was steckt wirklich hinter diesen Klischees?KNA: Es gibt auch Pläne des Innenministers, nach denen abgelehnte Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern innerhalb von drei Monaten nach der Registrierung abgeschoben werden sollen, darunter viele Sinti und Roma aus dem Westbalkan. Wie beurteilen Sie diese Idee?
Trelle: Die katholische Kirche sieht das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten und die damit einhergehende Beeinträchtigung des Rechtsschutzes von Asylsuchenden kritisch. Dass Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden, erfüllt mich angesichts der schwierigen Situation der Roma in diesen Ländern mit Sorge. Es mag zutreffend sein, dass die Asylanträge von Menschen aus der Region nur in wenigen Fällen bewilligt werden können. Gleichzeitig darf aber keineswegs der Eindruck entstehen, dass Menschen aus dem Balkan, die bei uns Zuflucht suchen, grundsätzlich nicht asylberechtigt sind.
KNA: Heute ist Weltflüchtlingstag. Er wurde erstmals 1914 unter dem Eindruck des 1. Weltkriegs von Papst Benedikt XV. ausgerufen. Sollte sich die Kirche mehr engagieren?
Trelle: Der Weltflüchtlingstag gibt Gelegenheit, öffentlich daran zu erinnern, dass der menschliche Umgang mit Flüchtlingen und Migranten für die Kirche ein Herzensanliegen ist. Zahlreiche katholische Organisationen, allen voran die Caritas mit ihrem weit verzweigten Netz von Beratungsstellen, leisten wertvolle Dienste im Bereich der Flüchtlingshilfe. Hinzu kommen die vielen Ehrenamtlichen in den Kirchengemeinden, die sich aus dem christlichen Glauben heraus zum konkreten Einsatz für den Nächsten aufgefordert sehen. Aber natürlich dürfen wir uns auf unseren Lorbeeren nicht ausruhen.
KNA: Etwa 400.000 Menschen leben in Deutschland ohne gültigen Aufenthaltsstatus und sind nicht krankenversichert. Was muss hier getan werden?
Trelle: Zunächst muss festgehalten werden, dass die Schätzungen darüber, wie viele Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus bei uns leben, weit auseinandergehen. Aber ganz egal, wie groß die Zahl tatsächlich ist: Die Kirche fordert seit langem, dass es jedem Menschen möglich sein muss, grundlegende soziale Rechte in Anspruch zu nehmen - unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und ohne Angst vor einer möglichen Abschiebung. Nicht zuletzt durch das Engagement kirchlicher Organisationen im "Katholischen Forum Leben in der Illegalität" konnten bereits einige rechtliche Verbesserungen für Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus erreicht werden. Allerdings lässt sich sowohl bei den Betroffenen als auch bei den zuständigen Behörden in Ländern und Kommunen ein Informationsmangel feststellen. Diesen gilt es zu beseitigen. Darüber hinaus suchen wir das Gespräch mit den Politikern, um weitere rechtliche Erleichterungen für Menschen ohne Aufenthaltsstatus zu erreichen.
KNA: Krieg in der Heimat, gefahrvolle Überfahrten, Leben in der Fremde: Bei vielen Flüchtlingen spielen auch psychische Probleme eine Rolle. Die Behandlung von psychischen Traumata wird aber bei Asylbewerbern selten bezahlt. Welche Lösung sehen Sie hier?
Trelle: Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht 2012 unmissverständlich klargestellt hat, dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss sich also am hohen Anspruch der Menschenwürde messen lassen. Dementsprechend muss jeder Asylbewerber eine medizinische Versorgung erhalten, die seinen konkreten Bedürfnissen gerecht wird.
KNA: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) unterstützt explizit den Vorschlag, europäische Asylzentren in Nordafrika einzusetzen. Wie finden Sie das?
Trelle: Angesichts der schwierigen bis katastrophalen Lage in den Staaten Nordafrikas sehe ich derzeit nicht, wie dieser Vorschlag auf eine realistische und zugleich menschenwürdige Art und Weise umgesetzt werden könnte.
KNA: Was müsste in den Heimatländern der Flüchtlinge getan werden?
Trelle: Die durchgreifende Bekämpfung von Fluchtursachen wird nur mit langem Atem zu bewältigen sein. Papst Franziskus ruft uns zur "Globalisierung der Nächstenliebe" auf. Alles Menschenmögliche muss getan werden, um den globalen Ungerechtigkeiten unserer Zeit mit Entschiedenheit entgegenzuwirken. Was die aktuelle Lage betrifft, so suchen die meisten Flüchtlinge aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen in ihren Heimatländern bei uns Schutz. Bei aller Hoffnung auf eine Besserung der Lage darf man sich hier keine Illusionen machen: Für die Staaten und Regionen, die derzeit im Strudel der Gewalt versinken, wird es keine schnellen Lösungen geben.