Bruder Paolo: Das macht die Faszination Taizé aus
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Die ökumenische Gemeinschaft von Taizé schafft etwas, was der Kirche in Deutschland heute nur noch selten gelingt: Sie fasziniert die Menschen. Jedes Jahr reisen tausende Jugendliche und junge Erwachsene in den kleinen Ort im französischen Burgund, um gemeinsam zu beten und sich über den Glauben auszutauschen. Was diese Faszination von Taizé ausmacht, erklärt Bruder Paolo im Interview. Der Anglikaner aus Großbritannien, bürgerlich Paul Wales, der sich vor über 40 Jahren der Bruderschaft anschloss, spricht zudem über seinen eigenen Weg nach Taizé.
Frage: Was hat Sie nach Taizé geführt?
Bruder Paolo: Meine Mutter ging immer in die Kirche und hat mich sonntags mitgenommen. Sie war in unserer Familie die Einzige, die die Kirche besuchte und für mich war das wichtig, auch wenn das nichts besonders Aufregendes war und ich dort mit Abstand der Jüngste war. Später habe ich mich dann in christlichen Organisationen engagiert, wir haben mit armen Menschen und Obdachlosen gearbeitet oder Ferienfreizeiten für Kinder in ärmeren Stadtvierteln organisiert. Als Student habe ich mit Kindern gearbeitet, die aus Familien kamen, die nicht gut Englisch sprachen. Die Idee war, dass sie durch den Kontakt mit uns ihre Sprachkenntnisse verbessern konnten.
Frage: Aber haben Sie damals nicht Theologie studiert?
Bruder Paolo: Theologie? Niemals! Nein! (lacht)
Frage: Was haben Sie studiert? Haben Sie damals schon darüber nachgedacht, sich der Bruderschaft in Taizé anzuschließen oder in einen Orden einzutreten?
Bruder Paolo: Oh nein! Nach der Schule hatte ich ein freies Jahr. Da habe ich in einer kirchlichen Organisation in London gearbeitet und bin mit einer Gruppe nach Taizé gegangen. Später fing ich dann an, Physik zu studieren. Aber ich merkte schnell, dass das nichts für mich war, weil ich niemals in ein Mathematik- oder Physikbuch geschaut hatte. Ich bin dann auf Philosophie und Politik umgestiegen. Nach zwei Jahren bin ich dann noch mal nach Taizé gefahren, um eine Woche in der Stille zu verbringen und eine Antwort auf die Frage zu finden, was ich mit meinem Leben machen sollte. Ich war auf der Suche danach, was für mich wichtig war und – für mich völlig überraschend – spürte ich diese Einladung tief in mir drin: Du kannst auch hier in der Gemeinschaft bleiben.
Frage: Als Freiwilliger?
Bruder Paolo: Nein, das war für mich direkt klar: Es ging nicht um die Frage, Freiwilliger zu sein, auch wenn das ein Schritt war, um in der Gemeinschaft zu bleiben. Ich hatte mir nie gewünscht, in Ehelosigkeit zu leben, aber das war mir plötzlich nicht mehr so wichtig. Ich dachte nicht so sehr darüber nach, worauf ich verzichten würde, sondern über die Verheißung, die ein solches Leben mit sich bringt.
Frage: Das heißt, Sie sind als ganz normaler Gast nach Taizé gekommen, so wie es Tausende Jugendliche jedes Jahr machen. Und dort wurde Ihnen klar, dass Sie bleiben wollen?
Bruder Paolo: Ich glaube, ich war fünf Mal in Taizé, einmal für einen ganzen Monat. Das war wie eine zweite Heimat für mich. Ich glaube, dass viele Jugendliche sich dort zu Hause fühlen, weil man dort bleiben kann, wer man ist und gleichzeitig eine starke Gemeinschaft mit anderen Leuten finden und miterleben kann. Man muss sich nicht verändern oder anpassen. Und ich glaube, dass das einen Teil der Faszination ausmacht, die für Jugendliche von Taizé ausgeht: Dass man ganz frei sein kann. Man kann ganz man selbst sein und gleichzeitig in der Gemeinschaft mit anderen leben. Das ist eine Faszination und für mich ist das auch eines der Kernelemente der Kirche.
Frage: Hatten Sie irgendwann selbst den Gedanken, dass Sie in Taizé bleiben möchten? Oder kam der Impuls von außen, dass zum Beispiel Frère Roger, der damals noch der Prior war, Sie eingeladen hat, zu bleiben?
Bruder Paolo: Ich kannte Frère Roger damals nicht. Das war etwas, das von innen kam. An einem Abend wusste ich noch nichts darüber und am nächsten Morgen war mir klar, dass ich bleiben wollte.
Frage: Es gibt bestimmt viele junge Menschen, die diesen Wunsch verspüren, in Taizé zu bleiben. Wie schwierig oder leicht ist es, da aufgenommen zu werden?
Bruder Paolo: Es gibt so viel zu tun in Taizé, dass jemand, der darüber nachdenkt, mit uns zu leben, das gut machen kann. Es ist dabei nicht wichtig, wie lange jemand in der Schule war, ob er Theologie studiert hat und fromm ist oder nicht. Es gibt Jugendliche, die wollen ein Jahr in Taizé bleiben, wir schlagen dann vor, zuerst einen Monat zu bleiben und dann weiterzusehen. Einige erkennen dann, das ist nichts für sie. Es gibt aber auch Jugendliche, die für eine Woche kommen – und dann bleiben. Es geht darum, ob du einen Durst nach Gott verspürst, denn sonst macht das keinen Sinn.
„Es gibt so viel zu tun in Taizé, dass jemand, der darüber nachdenkt, mit uns zu leben, das gut machen kann.“
Frage: Wann sind Sie offiziell in die Gemeinschaft aufgenommen worden?
Bruder Paolo: Ich bin mir nicht sicher, vielleicht war es 1978 oder 1979?
Frage: Das ist also offensichtlich kein großer, feierlicher Akt wie eine Priesterweihe zum Beispiel, woran man sich noch sein Leben lang erinnert?
Bruder Paolo: Der erste Schritt, wenn man einige Zeit als Freiwilliger in Taizé gelebt hat, ist das weiße Gewand, das neue Brüder tragen. Das ist aber nicht mit einem Gelübde verbunden. Es ist nur ein kurzes Gebet, fünf Minuten. Für mich war der wichtigste Moment die Entscheidung, zu bleiben, weil ich von Anfang an wusste: Ich mache hier jetzt als Freiwilliger nicht nur eine Erfahrung, sondern ich bereite mich darauf vor, in die Gemeinschaft einzutreten.
Frage: Haben Sie Ihre Entscheidung jemals angezweifelt?
Bruder Paolo: Ich empfinde es eine Gnade, dass ich früh wusste, was ich wollte, so ergeht es sicher nicht vielen 20-Jährigen. Aber natürlich habe auch ich Zeiten, in denen ich mich leer fühle und alles ein bisschen grau erscheint. Aber diese Zeiten sind auch wichtig. Für mich steht der Gedanke dahinter, dass Gott uns die Freiheit schenkt zu entscheiden, was wir mit unserem Leben anfangen. Und ich weiß, ich will hier bleiben, das habe ich niemals infrage gestellt. Das ist auch Teil unseres Menschseins, Fragen zu haben und auch durch Zeiten der Leere hindurch zu gehen