Tiefe Einblicke in fremde Glaubens- und Lebensweise

Arte-Doku über junge Missionare: Ein filigranes Glaubensgebäude

Veröffentlicht am 13.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Katharina Zeckau (KNA) – Lesedauer: 

Straßburg ‐ Vier junge Mormonen machen sich aus den USA auf den Weg nach Finnland, um dort die Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen. Für die jungen Erwachsenen ein steiniges Unterfangen, das die Gruppe an ihre Grenzen bringt. Eine Rezension.

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"Ich bin glücklich, mir geht's gut, ich bin glücklich, mir geht's gut!", das sprechsingen die beiden jungen Missionarinnen auf dem Weg zu ihrem täglich wechselnden "Arbeitsplatz": eine Straße, Fußgängerbrücke oder irgendein anderer zugiger Un-Ort unter nieselgrauem finnischen Himmel. Dass sich die jungen Mormoninnen mit ihrem Gesang selbst Mut zuzusprechen suchen, ist durchaus nachvollziehbar. Fern der Heimat versuchen die US-Amerikanerinnen, den Finnen eine "Botschaft der Freude" zu bringen – die diese zumeist gar nicht hören wollen. Der Dokumentarfilm "Junge Mormonen auf Mission", den Arte am 13. August von 22.45 bis 23.45 Uhr ausstrahlt, begleitet sie dabei.

Eine der singenden Frauen ist "Sister Field": Sie ist von den vier 19- bis 20-jährigen Figuren des Films die unkritischste, am wenigsten reflektierte; sie scheint einzig für ihre Religion zu leben. Interessanterweise lassen ihre extreme Ernsthaftigkeit in Glaubensdingen, die offenbar nicht existenten Zweifel Fields äußerst verletzlich erscheinen. Fast als wäre ihr Glaube ein filigranes Streichholz-Gebäude, an das die Realität da draußen nicht rühren darf – ansonsten droht Einsturzgefahr.

Ein Ritus, der auch krank machen kann

Die jungen Männer tragen den Titel "Elder": Während Elder Davis davon träumt, die Mitgliedzahlen seiner Gemeinschaft in Finnland von unter einem Prozent auf zehn zu steigern, ist Kollege Pauole deutlich bodenständiger. Und dann wäre da noch Sister Bills, sowohl äußerlich als auch mit ihrer unkomplizierten Art vom Typ All-american-girl. Der 18-monatige Aufenthalt beginnt für alle hart. Allein die Sprache! Überdies handelt es sich bei den Finnen, so Regisseurin Tania Anderson, um "Europas atheistischste und verschlossenste Menschengruppe".

Die Mission ist bei den Mormonen ein Übergangsritus, der aus Jugendlichen Erwachsene machen soll. Und der nicht nur die anderen, sondern vor allem die Missionare selbst verändert. Bibelstudium und Verzicht auf soziale Medien und Alkohol gehören dazu. Aber auch ein alle zwei Monate wechselnder "Begleiter": Man lebt in Zweier-Teams eng zusammen, trennt sich nur für den Gang ins Bad – was auch als Vorbereitung auf die Ehe gedacht ist.

Bild: ©KNA (Symbolbild)

Bibelstudium und der Verzicht auf Alkohol und soziale Medien gehören für die Missionare der Mormonen dazu.

Dazu kommen von oben diktierte Ortswechsel. Das Gefühl des Ausgeliefertseins hinterlässt seine Spuren. Bei Elder Davis wird schließlich eine psychische Erkrankung festgestellt; der junge Mann frühzeitig nach Hause geschickt. Bitter, wenn Davis' Begleiter auf dessen intime Einsichten in sein Seelenleben mit religiösen Phrasen reagiert.

Die Doku setzt die Skepsis von Außenstehenden und innere Widersprüche des mormonischen Glaubens ins Bild. Zugleich macht der Film aber auch gemeinschaftsstiftende Momente und eine Geborgenheit innerhalb der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" spürbar, wie die 1830 von Joseph Smith gegründete Gruppierung heißt.

"Junge Mormonen auf Mission" ist ein Film, der tiefe Einblicke in eine fremde Lebens- und Glaubensweise gibt, sich dabei mit Bewertungen wohltuend zurückhält und auch auf einen Off-Kommentar verzichtet. Einzig eine kurze Montage-Sequenz mit vielen glücklichen Missionierenden und Missionierten, die auch als Werbeclip für das Buch Mormon durchgehen könnte, stört nach etwa zwei Dritteln des Films einen ansonsten ausgewogenen Einblick.

"Ganz normale" junge Erwachsene blitzen nur selten auf

Regisseurin Anderson kommt den Handelnden teils sehr nahe; zugleich bleibt aber auch stets ein Gefühl von Fremdheit: Die "ganz normalen" jungen Erwachsenen mit altersgemäßem Emotions- und Hormonhaushalt, die diese vier bei aller Religiosität ja auch sind, blitzen jedenfalls nur selten auf.

Schön ist die atmosphärische Machart des Films: Die eindrückliche Bildsprache und eine die Emotionen akzentuierende Musikspur skizzieren viele Zwischentöne; ruhige Momente sorgen für angenehme Kontrapunkte. Ein interessantes, originelles Sujet, gekonnt wie sensibel in Szene gesetzt. Ein wenig wird sich der eigene Blickwinkel geändert haben, wenn man das nächste Mal an ihnen vorbeihuscht, an einer unwirtlichen Kreuzung oder irgendeinem U-Bahn-Ausgang: Missionaren.

Von Katharina Zeckau (KNA)