Darf ich sein, der ich bin? – Über unerwünschte Priester
Im Herbst 2021 beschloss die Synodalversammlung des Synodalen Weges, prüfen zu lassen, ob es das sakramentale Priestertum noch braucht. In einem katholischen Spitzengremium fand sich also eine Mehrheit, die Zweifel an der Daseinsberechtigung von Priestern und damit an meiner Daseinsberechtigung hat. Das bewegt mich. Im Gespräch mit anderen (jungen) Priestern höre ich, dass es ihnen ähnlich geht. So will ich unsere Eindrücke ins Wort bringen, die sonst wenig wahrgenommen werden.
Immer wieder wird – im kirchlichen Raum! – vermittelt, dass Priester weder gewollt noch gebraucht sind. Von der Ablehnung durch die säkulare Gesellschaft ganz zu schweigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir mit Ablehnung begegnet wird, einzig und allein, weil ich Priester bin – auch von pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Manches Mal stehen da schlimme Erfahrungen im Hintergrund oder auch der Eindruck der Missbrauchsskandale. Doch die Ablehnung durch Theologen, Seelsorgerinnen und Seelsorger zeigen auch grundsätzliche theologische Vorbehalte. Kirche wird immer öfter nicht mehr sakramental gedacht. Das sakramentale Priestertum wird dann überflüssig. Diese Ablehnung wird schnell konkret. Nicht selten werde ich dafür kritisiert, ein Kollarhemd zu tragen, oder sogar aufgefordert es abzulegen, sogar von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Kleidung ist Teil des höchstpersönlichen Bereichs. Eine solche Aufforderung ist übergriffig. Widersetze ich mich dem, heißt es, ich sei klerikalistisch.
Ist es da verwunderlich, dass sich viele Priester, wie zuletzt die große Priesterstudie gezeigt hat, in den liturgischen Raum zurückziehen oder diesen als besonders wertvoll erfahren? Sieht man von der geistlich herausragenden Bedeutung ab, ist die Liturgie doch der Raum, in der der Priester nicht hinterfragt oder abgelehnt wird, wo Rolle und Auftrag klar sind, und er sich nicht unentwegt rechtfertigen oder seine Daseinsberechtigung nachweisen muss.
Darf ich leben, wie ich will? – Über den Zölibat
Meine priesterliche Existenz steht immer wieder zur Disposition, ebenso meine Kleidung, aber vor allem mein Lebensmodell. Der Zölibat ist, so scheint mir, Lieblingsthema der Katholiken in Deutschland. Überall wird darüber diskutiert. Menschen reden und urteilen auf allen Ebenen darüber, ob mein Lebensmodell sinnvoll ist. Allzu oft sprechen sie mir die Sinnhaftigkeit meiner Lebensweise ab. Dass Leute fragen, wie ich den Zölibat lebe, wie ich mein Sozialleben und meine Spiritualität gestalte und was meine Sicht der Dinge ist, kommt praktisch nicht vor. Ich bekomme zu hören, dass man doch heiraten (können) soll, ohne dass mich jemand fragt, ob ich das überhaupt will. Allzu oft wird der Diskurs dabei auf Sexualität reduziert. Dabei frage ich mich, ob ich es mir wirklich gefallen lassen muss, dass andere über mein Sexualleben reden und urteilen. Hat man das nicht kirchlichen Vertretern immer wieder zum Vorwurf gemacht? "Die Kirche soll sich aus den Schlafzimmern raushalten!", heißt es. Das muss dann aber auch für Menschen gelten, die sich für ein zölibatäres Leben entscheiden. Ich fordere die Toleranz für meine Lebensweise ein, die eigentlich eine postmoderne Gesellschaft kennzeichnet. Sie muss auch meine Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit aushalten können.
Mit den nicht enden wollenden Diskussionen um den Zölibat, der nur einen Teil betrifft und deshalb nur einen Teil angeht, ist eine Frage der Peripherie in das Zentrum kirchlichen Lebens gerückt. Dass hinsichtlich der Missbrauchsprävention auch über die Lebensform von Priestern – wie auch in der ForuM-Studie über das evangelische Pfarrhaus – gesprochen werden muss, ist klar. Aber das muss auf kompetentere und differenziertere Weise geschehen, als es landläufig passiert.
Priester unter Generalverdacht
Die Missbrauchsskandale haben bei vielen den Eindruck hinterlassen, Zölibatäre seien per se potenzielle Missbrauchstäter. Der Münchner Neutestamentler Knut Backhaus sprach in seiner Vorlesung einmal von einem Schwerefeld der Sünde, das Menschen hineinzieht, die unbeteiligt und unschuldig sind. Je größer die Schuld, umso stärker die Anziehung des Schwerefelds. Darin erkenne ich Missbrauch und sexualisierte Gewalt wieder. Wir Priester stehen immer wieder aufgrund der Taten anderer unter Generalverdacht. Das führt zu Vorsicht, Argwohn, Skepsis und Distanziertheit der Menschen, die man ihnen nicht verübeln kann. Spürbar wird das etwa im Kontext der Kinderbeichte, wo bei Eltern vielfach Sorgen und Vorbehalte aufkommen. Persönliche Begegnungen, Gespräche und die gewissenhafte Umsetzung von Schutz- und Präventionsmaßnahmen können wieder Vertrauen schaffen. Doch dieses ist fragil. Jedes Mal, wenn wieder ein Fall durch die Presse geht, bei dem kirchliche Verantwortungsträger weggeschaut haben, erweisen sich Versprechen und Beteuerungen als nicht eingelöst und das brüchige Vertrauen wird erneut zerstört. Das fühlt sich – neben dem Entsetzen über jede Tat – an wie ein Schlag ins Gesicht all derer, die darum geworben hatten.
Ich spüre diesen Generalverdacht aber auch persönlich. Dass ich auf der Straße von Passanten unvermittelt beschimpft oder lautstark angeschrien werde, ist selbst im relativ katholisch geprägten Augsburg keine Seltenheit. Ich erinnere mich gut, wie ich in einem Spielzeugladen für die Kinder meiner Schwester eingekauft habe. Ich musste mich an der Kasse rechtfertigen und meinen Einkauf begründen. Eine besonders hässliche Szene spielte sich bei meinem Abiball ab, wo mir die Mutter eines Mitschülers, die ich nie zuvor gesehen hatte, am Buffet recht unwirsch Pädophilie vorwarf, weil bekannt war, dass ich ins Priesterseminar eintreten will. Die Einseitigkeit vieler Medien, die die öffentliche Meinung prägen, tut ihr übriges. Wann hat ein Leitmedium zuletzt positiv über einen Priester berichtet?
Überforderungen in Erwartungen und Fähigkeiten
Innerhalb der Gemeinden schaut man in der Regel wertschätzender auf uns Priester. Doch gelten wir hier oftmals als konservative Bremser von Reformen. Ecclesia semper reformanda – Die Kirche braucht immer Reform. Mir und vielen anderen Priestern ist viel daran gelegen, die Kirche und konkret die uns anvertrauten Seelsorgeeinheiten zukunftsfest zu machen. Ich frage mich aber, wie das gehen soll, wenn bereits die Änderung von Gottesdienstzeiten auf vehementen Widerstand stößt. Zwischen den Stühlen, zwischen Sachzwängen, diözesanen Vorgaben und den Interessen der Gläubigen stehen wir Priester, die so oft zum Prellbock werden und es niemandem Recht machen können.
Dass an den Priester hinsichtlich seines Charakters und seiner Kompetenzen Erwartungen gestellt werden, die nahezu übermenschlich sind, ist nichts Neues. Tatsächlich sind Priester in Deutschland sehr gut ausgebildet. Vom Eintritt ins Priesterseminar bis zur Übernahme der ersten Pfarrstelle liegen rund zehn Jahre Ausbildungszeit, oft mehr. Und doch überfordern uns Priester viele Verwaltungsaufgaben im Bereich Personal und Finanzen. Es gibt viele Versuche, dem von Seiten der Diözesen zu begegnen. Doch wird ein Priester, der eine Seelsorgeeinheit leitet, immer mit einer Vielzahl an komplexen Verwaltungsvorgängen irgendwie befasst sein müssen, denn er zeichnet verantwortlich. Künftige oder bereits realisierte pastorale Großräume tragen zu Überforderung oder zu Verunsicherung bei. Wie kann hier noch menschennahe Seelsorge gelingen, Gemeinschaft erfahrbar sein, Glaube und Leben geteilt sowie Zeugnis vom Evangelium gegeben werden? Dafür bin ich eigentlich angetreten.
Von Überforderung muss auch hinsichtlich persönlicher Kräfte und Ressourcen gesprochen werden. 14-Stunden-Tage sind keine Ausnahme, oft sind es mehr. Dass Priester an sieben Tagen in der Woche arbeiten, ist beinahe der Normalfall. Den Jahresurlaub zu nehmen ist oft eine Herausforderung, da sich nur schwer Vertretungen finden lassen oder das Arbeitspensum eine längere Erholungsphase nicht zulässt. Natürlich, das hat etwas mit dem eigenen Arbeits- und Berufsethos zu tun, aber auch mit der Erwartung an Priester, 24/7 für die Menschen da zu sein. Ein Beispiel: Um 23 Uhr klingelt mein Telefon. Jemand aus der Pfarrei ist in der Leitung, es geht um etwas Organisatorisches. Das Gespräch beginnt mit dem Satz "Ich habe im Pfarrhaus noch Licht gesehen, da dachte ich, ich kann noch anrufen."
Es besteht hier eine Ungleichzeitigkeit zwischen der Ablehnung als Priester in Teilen von Kirche und Gesellschaft und der sehr starken Inanspruchnahme in einem anderen Teil. Dass eine totale Verfügbarkeit nicht gesund ist, bedarf keiner Erklärung. Belehrungen, wir müssten eben lernen, "Nein" zu sagen, helfen wenig. Das Thema gälte es auf der Ebene der Erwartungshaltung und der Strukturen zu beleuchten. Gute Selbstsorge sowie ein bewältigbares Arbeitsmaß muss sich am Ende mit dem Anforderungsprofil eines Seelsorgers versöhnen lassen.
Viele von uns Priestern setzen sich hochengagiert für Gott und die Menschen ein, und opfern dafür mitunter auch unsere Gesundheit. Auch ich versuche zu geben, was ich habe. Wenn wir uns aber immer wieder in der Rolle der Unerwünschten, der Bremser, der Reaktionäre oder der potenziellen Missbrauchstäter wiederfinden, ist sicher nachvollziehbar, dass wir Frustration empfinden. Auch sie nehmen wir in Kauf, weil es uns um die Menschen geht, um die ganz konkreten Menschen, die mit uns ihr Leben, ihre Sorgen, ihre Nöte und ihre Freuden teilen wollen. Solange sie da sind und uns Vertrauen schenken, macht unsere Arbeit und unser Leben Sinn. Sie sind aller Mühe wert.