Bistum Hildesheim hat nun Ansprechpersonen für queersensible Pastoral

Seelsorger für queere Gläubige: Wollen Kulturveränderung anstoßen

Veröffentlicht am 07.09.2024 um 12:00 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Hildesheim ‐ Wie können sich queere Menschen in der Kirche willkommen fühlen? Antworten auf diese Frage sollen Ansprechpartner für queersensible Seelsorge im Bistum Hildesheim finden. Im katholisch.de-Interview berichten die Seelsorger, wie ihre Arbeit aussieht und was sie sich von ihrer Bistumsleitung wünschen.

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Seit Anfang des Monats gibt es im Bistum Hildesheim drei neue Ansprechpartner für eine Pastoral, die sich an queere Menschen richtet. Doch die Arbeit der Seelsorger geht darüber hinaus: Sie sollen sich für eine queersensible Kulturveränderung in ihrer Diözese einsetzen. Im Interview berichten Michael Hasenauer und Manuel Rios Juarez von den Startschwierigkeiten der queersensiblen Seelsorge und erklären, warum sie als Seelsorger eigentlich lieber überflüssig wären.

Frage: Worin besteht Ihre Arbeit als queersensible Seelsorger?

Hasenauer: Wenn wir das schon genau wüssten, wäre das prima. (lacht) Wir stehen am Beginn unserer Arbeit und müssen uns als Team erst einmal finden und unsere Schwerpunkte festlegen. Dazu gehört auch zu schauen, welche Fortbildungen wir absolvieren werden. Es gibt dafür einen breiten Markt und wir müssen schauen, was beim Thema queersensible Seelsorge für uns jeweils passt. Anschließend wollen wir uns dem widmen, was auf uns zukommt: Das wird zum einen Einzelseelsorge sein; es werden Anfragen aus Gemeinden und von Seelsorgenden kommen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen können; oder die Frage, wie eine Kirchengemeinde zum Safe Space für queere Menschen werden kann. Es werden sicher auch Anfragen von kirchlichen Institutionen an uns gerichtet werden, wie eine queersensible Kultur aufgebaut werden kann. Und wahrscheinlich werden sich auch kirchliche Mitarbeitende an uns wenden, die sich Hilfe dabei erhoffen, auf persönliche Fragen zum Thema Antworten zu finden.

Rios Juarez: Wir müssen das Rad sicher nicht neu erfinden. Es geht bei unserer Arbeit deshalb auch darum, dass wir uns gut vernetzen und an dem orientieren, was es bereits an queersensibler Seelsorge gibt. Das gilt auch für die Ökumene, denn wir haben gute Kontakte zur evangelischen Landeskirche in Hannover. Dort gibt es schon einen Arbeitsbereich queersensible Seelsorge, auf den wir mehr zugehen wollen.

Hasenauer: Auch in anderen Bistümern gibt es schon seit Längerem queersensible Pastoral und wir können sicherlich von diesen Erfahrungen profitieren.

Frage: Sie können auch auf Erfahrungen im Bistum Hildesheim mit der Seelsorge für homosexuelle Gläubige zurückgreifen.

Rios Juarez: Das ist die Grundlage, auf der wir aufbauen. Wir sind aber nun strukturell anders eingebunden. Auf Bistumsebene sind wir dem Bereich Sendung zugeordnet und haben dadurch bessere Möglichkeiten, unsere Erfahrungen weiterzugeben, als das bisher der Fall war. Es wird etwa regelmäßige Treffen mit der Bereichsleitung geben. Das, was bisher Seelsorge für homosexuelle Menschen war, ist angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und des geweiteten beziehungsweise differenzierteren Blicks auf queere Identitäten und Orientierungen zu queersensibler Pastoral geworden. Wir haben ein allgemeineres und weiteres Spektrum mit Blick auf die LGBTQ-Szene.

Hasenauer: Die Handlungstexte des Synodalen Wegs zum Thema sind ein Stück weit die Grundlage unserer Arbeit. Sie waren für uns bei der Entstehung unseres Teams im Dialog mit dem Bistum sehr hilfreich. Die Texte spiegeln wider, dass sich in diesem Bereich sehr viel bewegt hat, und bieten uns eine gute Hilfe bei unserer Arbeit. Sie spiegeln auch die Spannungen wider, die es zwischen der Weltkirche und Deutschland gibt. Aber auf diesem Boden stehen wir nun einmal.

Frage: Sie haben es ja schon angedeutet: In anderen Diözesen gibt es bereits seit längerer Zeit eine Pastoral für queere Menschen. Ist das Bistum Hildesheim also etwas spät dran mit der Einrichtung ihres Arbeitsfeldes?

Rios Juarez: Ja, wir sind spät dran. (lacht) Wir haben aber nun einmal etwas Zeit gebraucht, was diesen Übergang von der Pastoral für homosexuelle Menschen zur queersensiblen Seelsorge betrifft. Damit hängt auch zusammen, dass Pater Hans-Albert Gunk, der diesen Bereich bislang verantwortet hat, nun in den Ruhestand gegangen ist. Das war der Startschuss für uns als neues Team und Ansprechpersonen. Wir haben uns auch recht lange Zeit genommen, um uns auf die Grundlagen unserer Arbeit zu verständigen: Also, was unser Auftrag ist und welche Vorstellungen es davon bei uns und in der Bistumsleitung gibt. Aus meiner Sicht ist es eine Stärke, dass wir uns gemeinsam und verantwortlich auf diesen Weg begeben haben.

Hasenauer: Zum Teil war es natürlich ein Ringen – aber man kann mit Fug und Recht behaupten, dass alle Beteiligten viel gelernt haben. Das betrifft die Bereichsleitung Seelsorge, die Bistumsleitung und uns als Team.

Queersensible Seelsorge
Bild: ©privat

Manuel Rios Juarez und Michael Hasenauer gehören zum neu gegründeten Team für queersensible Seelsorge im Bistum Hildesheim. Rios Juarez ist Referent für Schulpastoral in Hannover, Hasenauer leitet die Hochschulgemeinde in Lüneburg. Eine weitere Ansprechpartnerin für queersensible Seelsorge ist die Krankenhausseelsorgerin Linda Menniger.

Frage: Gab es also Konflikte, als es um die Etablierung einer queersensiblen Seelsorge im Bistum Hildesheim ging?

Hasenauer: Es kam etwa die Frage auf, wie politisch unsere Arbeit ist und wer dabei im Fokus der Öffentlichkeit steht. Wir haben das zu Beginn unserer Überlegungen eher bei uns gesehen, haben aber gemerkt, dass wir gar nicht so viel leisten können. Denn wir drei Seelsorger haben Stellenanteile für die queersensible Seelsorge von nur bis zu 20 Prozent. Uns ist daher wichtiger geworden, Multiplikatoren für unser Thema zu sein und die Erfahrungen, die wir machen, breit zu streuen. Deshalb gibt es etwa einen regelmäßigen Austausch mit der Bistumsleitung, sodass das Bistum die Möglichkeit bekommt, unsere Erfahrungen und Ratschläge aufzugreifen. Die Ebene im Bistum, die für Veränderungen in der Pastoral zuständig ist, soll möglichst viel von unserer Arbeit mitbekommen. Dann werden vielleicht entsprechende Schritte folgen.

Rios Juarez: Wir mussten uns unserem Ziel – eine Kulturveränderung im Bistum – von zwei Seiten nähern. Einerseits von den bereits jetzt aktiven Gemeinden und Personen, die schon dabei sind, etwas zu verändern, und andererseits von der Sicht der kirchlichen Hierarchie her, die auch andere Aufgaben hat. Wir haben uns dann am Ende auf den gemeinsamen Nenner geeinigt, eine queersensible Kultur im Bistum im Rahmen unserer Beauftragung zu unterstützen und zu ermöglichen.

Frage: Das Bistum Hildesheim hat Ihre Aufgaben in einer Pressemitteilung grob umrissen. Dabei werden auch scheinbar selbstverständliche Aufgaben genannt, wie die Unterstützung von queeren Paaren, die ihr Kind taufen lassen wollen. Ist so etwas noch notwendig?

Rios Juarez: Eine solche Begleitung anzubieten, ist tatsächlich notwendig. Denn auch in einem Bistum wie Hildesheim ist es bei weitem nicht immer so, dass ein queeres Paar auf offene Ohren und Türen stößt, wenn es etwa sein Kind taufen lassen will. Das ist kein einfaches Thema und wir wollen entsprechend auffangen, wenn Menschen vor verschlossenen Türen stehen, und sie begleiten.

Hasenauer: Seelsorger und Pfarrgemeinden sind sehr unterschiedlich, deshalb trifft man in unserem Bistum sowohl auf offene als auch verschlossene Türen für queere Menschen. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass die Vermutung, etwa eines lesbischen Paares, das sein Kind taufen lassen möchte, eher in die Richtung geht, dass es bei der Kirche nicht auf Verständnis stößt. Deshalb wollen wir eine Weiterentwicklung der Willkommenskultur in unserem Bistum: Pfarrgemeinden sollten kommunizieren, dass sie offen für alle Menschen sind – eben auch queere Gläubige.

„Mein Wunsch ist es, dass unsere Arbeit in der queersensiblen Seelsorge bei uns im Bistum irgendwann überflüssig wird. Es braucht sie leider im Moment noch, weil es Diskriminierung von queeren Menschen auch in der Kirche gibt.“

—  Zitat: Manuel Rios Juarez

Frage: Was können queere Menschen von der Kirche erwarten? Ist sie ein glaubwürdiger Gesprächspartner für sie?

Hasenauer: Wichtig ist, dass queere Menschen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in der Kirche wertgeschätzt sind. Wenn sie sich dann von ihr etwas wünschen, sind ihre Themen und Fragen vielleicht gar nicht so anders als die von nicht-queeren Menschen. Wir streben für unser Bistum einen völlig normalen Umgang mit Queer-Sein an. Voraussetzung ist, dass queere Menschen keine Barrieren und keine Zurückweisung erfahren, wenn sie mit der Kirche und ihrer Botschaft in Kontakt kommen möchten.

Rios Juarez: Ich arbeite in der Schulpastoral und kann sagen, dass die jungen Menschen eigentlich nichts mehr von der Kirche mit Blick auf Sexualität und Identität erwarten. Für sie sind das zwei unterschiedliche Welten, die nichts miteinander zu tun haben. Wir wollen diese Nicht-Erwartung nutzen, um zur Frage Jesu zurückzukommen: "Was willst Du, dass ich Dir tue?" In der queersensiblen Seelsorge liegt daher eine große Chance.

Frage: Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit und für den Umgang mit queeren Menschen von der Kirche?

Hasenauer: Ich wünsche mir, dass die Erfahrungen, die wir machen, gehört werden und eine Rolle spielen. Wir wollen dabei helfen, die Pastoral im Bistum Hildesheim weiterzuentwickeln. Auf die ganze Kirche gesehen ist das natürlich etwas schwieriger, weil noch andere Themen dahinein spielen, wie etwa die Beratungen der Weltsynode, die nun ansteht.

Rios Juarez: Mein Wunsch ist es, dass unsere Arbeit in der queersensiblen Seelsorge bei uns im Bistum irgendwann überflüssig wird. Es braucht sie leider im Moment noch, weil es Diskriminierung von queeren Menschen auch in der Kirche gibt. Wenn wir es schaffen, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen – egal ob queer oder nicht – gute Erfahrungen mit der Kirche machen, dann werden wir uns vielleicht überflüssig machen.

Hasenauer: Das werden dann aber wahrscheinlich die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen sein, die uns irgendwann einmal nachfolgen werden.

Von Roland Müller