Standpunkt

Zeitgeistige Härte gegen Geflüchtete löst keine Probleme

Veröffentlicht am 10.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ist Migration die "Mutter aller Probleme"? Wer so denkt, vertauscht Ursache und Wirkung, so Felix Neumann: Flucht und Migration sind die Folgen vieler Krisen. Die zu lösen ist komplexer, als immer nur mehr Härte gegenüber Geflüchteten zu fordern.

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Warum sollte die Kirche sich mit dem Zeitgeist gemein machen und in die unterkomplexen Forderungen einstimmen, die in der Abwehr von Geflüchteten und Migration die wichtigste gesellschaftliche Herausforderung sehen? In den letzten Jahrzehnten wurde das Asylrecht immer weiter ausgehöhlt. Ob rassistische Ausschreitungen oder islamistische Anschläge, egal was passiert, die Antwort der Politik ist die Simulation von Handlungsfähigkeit durch immer mehr Härte im Umgang mit Flucht und Migration. Eine Wirkung zum Guten hin ist nicht festzustellen.

Härte beim Umgang mit Geflüchteten zeigen zu wollen ist Lösungssimulation. Die Migrationsfrage ist nicht die "Mutter aller Probleme", wie Volker Resing gestern im Standpunkt zustimmend zitierte, sie ist ein Aspekt, der eine wichtige Rolle spielt in der Vielzahl von gleichzeitigen Krisen, die die Gegenwart prägen, mehr Wirkung als Ursache – gewissermaßen die Tochter aller Probleme. Kein Wunder, dass die Kommunen ihre Aufnahme- und Integrationsfähigkeit erschöpft sehen, wenn öffentliche Infrastrukturen systematisch auf Verschleiß gefahren und kaputtgespart werden. Radikalisierung kann man wirksam nur an der Wurzel bekämpfen durch Perspektiven und Teilhabe, durch Bildung und Arbeit. Kein Wunder, wenn das nicht gelingt, wo Bildung keine politische Priorität ist und Arbeitsmärkte abgeschottet werden. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen ihr Heil in der Flucht suchen, wenn die Klimakrise schon jetzt (nicht nur) den globalen Süden verwüstet und die Sucht nach fossiler Energie zum Appeasement gegenüber Diktatoren führt, die diese Sucht mit den Rohstoffen ihres Landes befriedigen können.

Die Kirchen mit ihren Gemeinden und Verbänden, mit ihrer Caritas und ihrer Diakonie tun gut daran, nicht in den Chor nach mehr Härte einzustimmen. Es ist gerade die Aufgabe von Christinnen und Christen, den einzelnen Menschen zu sehen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, und zugleich auf die Wurzeln des Problems hinzuweisen, anstatt politisch an Symptomen herumzudoktern. Es ist kein Wunder, dass Papst Franziskus zugleich weltweit einer der größten Fürsprecher für die Würde der Migranten und einer der größten Mahner in der Klimakrise ist: Beides lässt sich nicht trennen. Lösungen dafür sind komplex, anstrengend, fordern von allen viel ab. Mit zeitgeistiger Härte löst man keines der Probleme, die zu Migration führen.

Von Felix Neumann

Der Autor

Felix Neumann ist Redakteur bei katholisch.de und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten (GKP).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.