Wer mit Botschaft überzeugen will, muss selbst glaubwürdig sein
Die Fakten liegen längst auf dem Tisch: Das Vertrauen der Menschen in Westdeutschland in die Kirchen ist Untersuchungen zufolge auf einem Tiefpunkt angekommen. Diesen teilen sie sich mit den Banken. Bei den Katholiken soll das Vertrauen sogar noch geringer ausgeprägt sein als bei den Protestanten. "Wir sind in einer Kirchenkrise", sagt der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Doch nicht nur im westlichen Europa sei diese Entfremdung zu erleben. Auch in ehemals katholischen Vorzeigeländern wie Polen nimmt etwa der sonntägliche Kirchgang ab. Der Abbruch vollzieht sich vor allem in der jüngeren, höher gebildeten Generation in den Städten.
"Eine Mission haben – Glaubwürdig Zeugnis geben. Zum Umgang mit Säkularisierung und religiöser Indifferenz in Europa", lautet das Motto des 28. Internationalen Kongresses Renovabis. Bis zu diesem Donnerstag findet das Treffen des katholischen Osteuropahilfswerks im oberbayerischen Freising statt. Angemeldet haben sich dazu etwa 220 Personen aus 26 Ländern.
"Nö, mir fehlt nichts"
Schon am ersten Tag wurde deutlich, dass angesichts einer zunehmend säkularen Welt die alten pastoralen Konzepte nicht mehr helfen. Dabei war der Ansatz des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) eigentlich revolutionär, wie der Utrechter Pastoraltheologe Jan Loffeld erinnerte. Erstmals sah die Kirche den Menschen nicht nur als Sünder, der Gott brauche, um lebensfähig zu sein; stattdessen sei er als Fragender und Suchender betrachtet worden, dem die Kirche als Antwort "Gott" geben könne. Heute dagegen sei die praktische Theologie herausgefordert, weil der Mensch gar keine Fragen mehr stelle, sondern bekenne: "Nö, mir fehlt nichts."
Die moderne Gesellschaft, weiß der Religionssoziologe Pollack, biete so viele Entfaltungsmöglichkeiten, dass Religion in allen Rankings auf dem hinteren Platz lande. Der Prozess der Individualisierung schreite voran. Dazu gehöre, sich in religiösen Belangen nicht sagen lassen zu wollen, was man zu glauben habe. Inzwischen täten sich ja selbst Katholiken mit einem dreifaltigen Gott oder der Jungfrauengeburt schwer. Die Kirche finde sich in einer hochkomplexen Gesellschaft auf sich selbst gestellt wieder. Sie müsse eine Sprache finden, mit der es gelinge, die Menschen zu erreichen, so Pollack.
Doch es gibt auch Staaten, in denen die Kirche im Aufschwung ist, allerdings gepaart mit einem starken Nationalgefühl, wie der Münsteraner Wissenschaftler weiter erläuterte: "Um ein guter Russe zu sein, muss man orthodox sein." So gelte dies inzwischen für 60 Prozent der Bürger in Russland, früher seien es 30 Prozent gewesen. Ein ähnliches Denken finde sich in Bulgarien, ergänzte der Theologe Bojidar Andonov, der ehemals an der Universität Sofia lehrte. Bei seinen Landsleuten komme dazu, "dass wir 500 Jahre unter dem türkischen Joch waren". Übrigens hätten selbst während des Kommunismus stramme Kader heimlich ihre Kinder taufen oder den Priester ein Gebet nach der offiziellen Beerdigung sprechen lassen.
"Schwaches Mandat"
Einblicke in die polnische Situation gab Marta Titaniec von der Stiftung Sankt Joseph der Polnischen Bischofskonferenz. Auf Kritik bei den Gläubigen stoße dort vor allem der Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch, die fehlende Transparenz und die starke politische Nähe des Klerus zur über Jahre regierenden, konservativen PiS-Partei. Mit dem derzeitigen Status habe die Kirche nur ein "schwaches Mandat" für eine Evangelisierung. Sie müsse zuerst ihre eigene Glaubwürdigkeit wieder herstellen.
Kirche stelle keine Autorität dar, wenn sie sich selber nicht an ihre Regeln halte, sagte der tschechische Kirchenhistoriker Tomas Petracek. Wer Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit fordere, müsse diese in den eigenen Reihen leben. Er schlug vor, die Kirche in Tschechien als Experimentierfeld zu nutzen. Neue Formen der Seelsorge müssten gefunden und ausprobiert werden. So gebe es viele Menschen, die kein Interesse an der Religion hätten, aber intuitiv christliche Werte lebten. Diese solle man sich nicht zum Feind machen, sondern mit Respekt behandeln und einbeziehen, um eine gerechte Welt zu schaffen.