Trondheimer Prälat ist neuer Vorsitzender der Nordischen Bischofskonferenz

Bischof Varden: Kirche kann mehr als "Nein" sagen

Veröffentlicht am 21.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 
Bischof Varden: Kirche kann mehr als "Nein" sagen
Bild: © Privat

Trondheim ‐ In Nordeuropa sind Katholiken eine winzige Minderheit, trotzdem haben sie der Gesellschaft etwas zu geben, sagt der Trondheimer Prälat Erik Varden, der neue Vorsitzender der Nordischen Bischofskonferenz, im katholisch.de-Interview. Er betont den konstruktiven Auftrag der Kirche.

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Vergangene Woche wurde Erik Varden zum neuen Vorsitzenden der Nordischen Bischofskonferenz gewählt. In Norwegen, Schweden, Dänemark, Island und Finnland sind Katholiken eine winzige Minderheit mit Bevölkerungsanteilen im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Die Kirche dort ist migrantisch geprägt und wächst. Wie Varden aus dieser Situation heraus Kirche sein will, erzählt er im Interview. Varden ist der erste gebürtige Norweger als Prälat in Trondheim, der zwar Bischof ist, dessen Prälatur jedoch kein Bistum ist, obwohl es ähnlich organisiert ist. Der 50-Jährige konvertierte 1993 zum katholischen Glauben, studierte in Cambridge und wurde Trappist, zwischen 2015 und 2019 war er Abt des Klosters Mount St Barnard. Danach wurde er Prälat in Trondheim.

Frage: Herr Bischof Varden, hat Sie die Wahl überrascht oder haben Sie schon so ein bisschen damit gerechnet?

Varden: Wahlen sind immer überraschend und unvorhersehbar. Aber die Nordische Bischofskonferenz ist nicht groß. Ich wusste, dass die Gefahr besteht, dass ich es werde, hatte aber nicht besonders viel daran gedacht.

Frage: Was haben Sie in Ihrem neuen Amt vor?

Varden: Das Evangelium verkünden. Versuchen, ein glaubwürdiger Repräsentant der frohen Botschaft zu sein. Ich bin der Überzeugung, dass wir in der Mitte eines kulturellen Umbruchs sind in unseren Ländern. Die skandinavischen Länder sind äußerst säkularisiert und das seit Jahrzehnten. In einem gewissen Sinne ist dieser Prozess jetzt abgeschlossen. Aber der Mensch bleibt Mensch, er sucht Sinn, Schönheit und Wahrheit. Ich stelle fest, dass viele Leute auf der Suche sind. Für die Evangelisierung eine zwar schwierige, aber auch spannende Zeit.

Frage: In Nordeuropa gibt es viele Menschen, in deren Familien schon seit Generationen der Glaube kaum noch eine Rolle spielt. Wie wollen Sie denen einen Zugang zu Spiritualität vermitteln?

Varden: Viele suchen von selbst. Da muss man das Wort hörbar machen und für diese Aufgabe alle vorhandenen Kanäle intelligent verwenden. Die Kirche kann einen konstruktiven Beitrag für die Kultur und den politischen Diskurs leisten, dafür müssen wir uns auch in der Gesellschaft zeigen. Wir haben mehr zu sagen als immer nur "Nein". Das ist zwar der Eindruck, den viele Menschen haben, aber ich denke, wenn wir gut zuhören und für die Zeichen der Zeit und die Fragen der Zeit aufmerksam sind, finden wir auch Antworten. Das alles tun wir in der Bewusstheit aus der Osternacht, dass Jesus Christus heute, morgen und für immer derselbe ist. Als Wort des Lebens bietet er auch in unserer Zeit segensreiche Antworten.

Bild: ©Jan Erik Kofoed/Bonifatiuswerk

2016 wurde in Trondheim die neue katholische Kathedrale St. Olav eingeweiht. Der Neubau war wegen der Wachstums an Gläubigen notwendigh geworden.

Frage: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Varden: Bei uns in Nordwegen ist die Weltkirche sehr konkret vertreten. In der Prälatur Trondheim gibt es nach der Statistik ungefähr 20.000 Katholiken, die aus 130 Ländern kommen. Das ist eine unglaubliche Vielfalt in Sprache und Kultur. Die Mannigfaltigkeit der Sensibilitäten ist offenbar. Eine der Fragen unserer Zeit ist ja gerade, was es heißt, Gesellschaft zu sein, Volk sein. Ohne unsere kleine Kirche hier zu idealisieren, kann ich aber sagen, dass wir für diese Fragen ein Beispiel geben, wie aus großer Vielfalt trotzdem eine Einheit aufgebaut werden kann. Das ist ein sehr wichtiges christliches Zeugnis heute und etwas sehr Katholisches. Denn wir haben tiefe Wurzeln in unserem eigenen lokalen Zusammenhang, leben aber auch in der Bewusstheit, zu etwas Größerem zu gehören. Gerade diese Spannung auszuhalten ist ein Zeichen für unsere Zeit.

Frage: Wie funktioniert das denn in der Praxis? Das katholische Leben ist geprägt von großen Distanzen und extremer Diaspora.

Varden: In der Begegnung von Menschen und indem wir unsere Türen weit öffnen. Die Kirche muss ein Treffpunkt für den Gottesdienst sein, aber auch darüber hinaus. Eine Heimat, in der man sich wohlfühlt und für die man sich verantwortlich fühlt, in der gesprochen, gekocht und gespielt wird, wo man sich gegenseitig hilft. Denn auch in einem vorgeblich reichen Land wie Norwegen wächst die Armut, das karitative Wirken wird also immer wichtiger. Zudem leben die Leute weit auseinander. Zur nächsten Kirche sind es nicht selten zwei Autostunden. Wer diesen Einsatz am Sonntag leistet, möchte auch maximal davon profitieren. Das heißt, nach der Messe sind alle zusammen, unterhalten sich, essen zusammen, die Kinder spielen zusammen und lernen sich kennen. Es geht am Ende nur durch die konkrete menschliche Gemeinschaft.

Frage: Wie in anderen Regionen Europas auch gewinnen in Nordeuropa rechte Parteien an Zuspruch. Erfahren Sie das als eine Bedrohung für eine katholische Kirche, die sehr migrantisch geprägt ist?

Varden: Man muss bei diesen Strömungen europaweit aufpassen, dass wir unser kollektives Gedächtnis nicht verlieren. Denn wir wissen, was daraus erwachsen kann. Allerdings sehe ich es auch mit der Bibel, die davor warnt, zu viel Angst vor der Angst selbst zu haben. Das gilt vor allem beim Thema Migration, hinter dem die Frage steht, über die wir eben schon gesprochen haben: Was macht uns als Gesellschaft eigentlich aus? Da muss man kritisch und vernünftig sein, denn das ist sehr angstbesetzt. Die Katholiken hier sind da aber nicht so auf der Zielscheibe. Natürlich gibt es Rassismus und ich kann die Entwicklung in den kommenden Jahren nicht absehen. Aber die Auseinandersetzungen in unserem Nachbarland Schweden sind doch deutlich schärfer und schroffer als bei uns. Im Allgemeinen verhält sich die Politik hier intelligent in solchen Fragen.

Bild: ©katholisch.de/cph

Die nordeuropäischen Gesellschaften gelten als sehr säkular.

Frage: Haben Sie da persönlich ein besseres Standing als Ihre Vorgänger, da Sie der erste gebürtige Norweger auf diesem Posten sind?

Varden: Das würde ich nicht sagen. Ich bin mit 16 Jahren weggezogen und habe den Großteil meines Lebens im Ausland verbracht, erst mit 46 bin ich zurückgekommen. Genauso wie ich Norweger bin, fühle ich mich also auch als Ausländer – in meiner jetzigen Rolle nicht unbedingt ein Nachteil.

Frage: Die katholische Kirche in Norwegen ist sehr klein, gerade einmal drei Prozent der Menschen sind katholisch. Werden Sie da in der Gesellschaft überhaupt gehört?

Varden: Die Lage verändert sich. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir nicht mehr so klein sind wie vor 30 Jahren. Hauptsächlich durch Immigration ist die Kirche in unseren Ländern in den vergangenen 25 Jahren sehr gewachsen. Prozentual bleiben wir in Norwegen eine winzige Minderheit, aber wir sprechen immerhin von 250.000 Katholiken. Davon sind viele jung und profilieren sich im öffentlichen Leben. Wir haben da unser Wort zu sagen, und die Gesellschaft erwartet das auch von uns. Das habe ich hier kurz nach meinem Amtsantritt in Trondheim gemerkt: Die Bürgermeisterin hat uns Bischöfe aufgefordert, uns aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Das müssen wir ernst nehmen und dafür sollten wir dankbar sein.

Frage: Viele der katholischen Zuwanderer in Norwegen sind nicht in gutbezahlten Berufen beschäftigt. Das heißt: Trotz Wachstum ist es finanziell oft knapp für die Kirche. Wandelt sich da auch etwas?

Varden: Das ist eigentlich immer noch so. Unsere Ressourcen sind materiell und personell knapp. In meiner Kurie hier gibt es nur zwei Mitarbeiter in Vollzeit – und einer davon bin ich. Unsere Strukturen sind klein, wir haben wenige Räumlichkeiten. Eigentlich bräuchten wir Kirchen, Schulen und Kindergärten. Manchmal sind die vielen Leerstellen überwältigend. Aber aus meiner Klosterzeit weiß ich: Im christlichen Leben ist es nicht immer von Vorteil, materiell gesichert zu sein. Armut, geistig und auch materiell gesehen, ist eine christliche Wesensart. Natürlich wollen wir eine Kirche für die Zukunft bauen und unseren Nachfolgern etwas übergeben. Aber so wie es ist, erfahren wir dafür, dass uns viele Menschen in nah und fern verbunden sind und wir uns gegenseitig helfen. Da freut man sich über jeden kleinen Schritt.

Frage: Ist die Kirche in Nordeuropa damit auch ein Vorbild für die Weltkirche, von der sich Papst Franziskus nicht zuletzt wünscht, dass sie arm ist?

Varden: Das würde ich nicht so sagen: ich sehe uns keineswegs als vorbildlich. Wir versuchen einfach mit unserer Realität im Vertrauen auf den Glauben umzugehen, um daraus etwas Schönes zu machen, den Menschen zum Segen und dem Herrn zu Ehren.

Von Christoph Paul Hartmann