Wie eine Theologin mit 98 Jahren ein neues Jesusbild prägen will
Der Elefant im Raum hat für Maureena Fritz einen Namen: Christologie. Die theologische Lehre über Person und Bedeutung von Jesus von Nazareth – oder vielmehr ihre Schwierigkeiten damit – brachten die kanadische katholische Ordensfrau und Theologin nach Israel. Das war in den 1970er Jahren, und Fritz damals Professorin der Theologischen Fakultät der Universität Saint Michael's College in Toronto.
Heute ist die 98-jährige Ordensfrau der Gemeinschaft "Notre Dame de Sion" (NDS) israelische Staatsbürgerin und als Katholikin Mitglied der Jerusalemer reformjüdischen Gemeinde "Kol HaNeschama". Dem Elefanten von damals gilt ihr jüngstes Buch, das demnächst in deutscher Übersetzung erscheint: "Den Namen Jesu erlösen" ("Redeeming Jesus' name").
In ihrem Sabbatjahr habe sie vor allem sich selbst und ihre Probleme mit der Christologie erforschen wollen, sagt Fritz mit verschmitztem Lächeln: "Wo ginge dies besser als "in Israel, wo Jesus geboren wurde". Und weil in guter akademischer Tradition zu einem Forschungsfreisemester eine Leitfrage gehöre, habe sie die Zeit in Israel einer Frage widmen wollen, die Jesus in der Tradition der synoptischen Evangelien seinen Jüngern stellt: "Wer sagt ihr, dass ich bin?"
Schockiert über kirchlichen Umgang mit Juden
Dann kam es ein bisschen anders, erinnert sich Maureena Fritz. In Israel habe sie viele Holocaust-Überlebende getroffen "und auch Juden, die Christen nicht freundlich gesinnt waren". Auf einmal wurde der Kreuzanhänger an ihrem Hals zum Ärgernis im öffentlichen Raum, die Ordensfrau zur Adressatin von Geschichten ihrer jüdischen Umwelt über "die Christen und die Kirche", von Kreuzzügen über Ghettos bis zur Kennzeichnungspflicht, die die Kirche Juden auferlegt hat. Fritz ist schockiert und beschließt, "die Geschichte der Kirche und ihre Beziehung zu den Juden zu studieren", – was den Schock noch verstärkt. Mit ihrer Dämonisierung der Juden in vielen Facetten habe die Kirche sich schuldig gemacht, "auch im Hinblick auf der Schoah, weil wir den Hintergrund dafür vorbereitet haben", so die Ordensfrau. Ihre Erkenntnis: Christen müssen Buße tun. In ihrem Buch führt sie aus, was es dafür braucht: das Böse erkennen. Die Sünde bereuen. Wiedergutmachen.
Aus dem Sabbatical wurden zwei Jahre – und genaue Vorstellungen, wie Fritz bei der Rückkehr an die kanadische Universität ihre Israel-Erfahrungen in die Theologenausbildung einbringen wollte. "Ich sagte dem Dekan, dass wir keinen dieser Männer ordinieren sollten, es sei denn, wir würden sie zum Studium des Judentums nach Israel bringen." Fritz wird mit der Erarbeitung eines entsprechenden Studienprogramms beauftragt. Dann übernimmt sie die Leitung der englischsprachigen Abteilung des "Christlichen Zentrums für jüdische Studien" im Ratisbonne-Kloster in Jerusalem; zieht zurück in die Heilige Stadt; gründet die Alumni-Einrichtung "Bat Kol", um Studierende nach ihrer Heimkehr zu vernetzen und zu ermutigen, die Studien jüdischer Texte und den jüdisch-christlichen Dialog fortzusetzen.
Und sie stellt sich eine weitere Frage: Warum hat die Kirche die Juden verfolgt? Teil eins der Antwort – die vermeintliche jüdische Schuld am Tod Jesu – wurde mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aus der Lehre der Kirche verbannt. Problematischer sei der zweite Teil: die Beschuldigung, den Messias nicht empfangen zu haben. Die Kanadierin landete beim sogenannten Supersessionismus, auch Substitutions- oder Ersatztheologie genannt: Weil Jesus der jüdische Messias und die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen sei, ersetze die Kirche die Juden als Gottes auserwähltes Volk.
Wöchentlicher Ruhetag verändert alles
Das, sagt die 98-Jährige, will sie mit ihrem Buch rückgängig machen. Wenn Christen erkennen, dass Jesus ein gläubiger Jude gewesen sei und auch die frühen Christen ihn nicht als Gott verehrten, werde eine neue, revidierte und pluralistische Christologie möglich, ist sie überzeugt. "Jesus ist nicht der einzige Weg zum Vater. Er ist ein Weg, der offen ist für andere Wege." Eine erneuerte Christologie, die den Fokus Jesu auf die Herrschaft Gottes und nicht die Herrschaft der Kirche lege, mache den Weg frei für einen "authentischen Dialog" mit dem Judentum und anderen Religionen.
Es ist ein Dialog, den die 98-Jährige in sich selbst trägt. "Ich habe eine jüdische Seele, aber ich bin katholisch geblieben", sagt sie, und dass sie sich in Synagogen zu Hause fühlt. Den jüdischen Ruhetag Schabbat bezeichnet sie als "das wichtigste Geschenk" in ihrem Leben. Es ist ein Geschenk, von dessen lebensverändernder Kraft sie andere Menschen überzeugen will, "weil Gott der ganzen Welt bei der Schöpfung den Schabbat gegeben hat". Ein Tag in der Woche, anders gehalten als jeder andere Tag, sei wie "ein wöchentliches Hochzeitsfest mit Gott".