Himmelklar – Der katholische Podcast

Von Gott erwählt? Wie Religionspolitik die US-Wahl beeinflusst

Veröffentlicht am 25.09.2024 um 00:30 Uhr – Von Verena Tröster – Lesedauer: 
Andreas Weiß
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Köln ‐ Religion spielt in den Vereinigten Staaten eine wesentlich bedeutendere Rolle als in Europa – auch im Wahlkampf um das Präsidentenamt. Im Interview erklärt der Theologe und USA-Experte Andreas G. Weiß, warum die Katholiken in Amerika mit Blick auf die Wahl tief gespalten sind.

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Glaubhaft religiöse Bekenntnisse können beim Wahlausgang am 5. November in den USA einen Unterschied machen, erklärt der Religionswissenschaftler und Theologe Andreas G. Weiß. Während Donald Trump sich selbst als Messias inszeniert, gekommen um die Nation zu retten, setzt Gegenkandidatin Kamala Harris auf eine moderne Spiritualität, abseits von konfessionellen Gesetzeskatalogen. Doch was kommt besser an? Warum Religionspolitik in Amerika überhaupt so wichtig ist und welche historischen Gründe es gibt, dass sie in Europa undenkbar wäre, erklärt Weiß im Interview.

Frage: Sie schreiben über US-amerikanische Religionspolitik. Religionspolitik ist etwas, worüber wir in Deutschland und Europa nicht viel wissen. Was verstehen Sie darunter?

Andreas G. Weiß: Es ist tatsächlich ein Begriff, den wir in Europa so gut wie gar nicht mehr verwenden und den viele gar nicht mehr kennen. In Europa haben wir aus unserer Geschichte heraus eine sehr starke Trennung von Kirche und Staat. Das führt in Europa dazu, dass in der Politik, in Ämtern und in der Öffentlichkeit Religion so gut wie verschwiegen wird. Man wird in Europa von keinem politischen Rhetorik-Kurs darauf vorbereitet, über die eigene Konfession oder über den eigenen Glauben zu sprechen. Im Gegenteil wird man sogar eher lernen, dass man darüber nicht spricht, weil das nicht in den politischen Diskurs passt.

In den USA ist das vollkommen anders. (…) Es gehört in den USA durchaus zum öffentlichen politischen Diskurs, dass Amtsträger oder Kandidatinnen und Kandidaten über ihren persönlichen Glauben reden. Das wird von ihnen auch in gewisser Weise erwartet, weil Teile der Bevölkerung die Glaubwürdigkeit von Personen über das persönliche religiöse Bekenntnis ableiten. Das ist in Europa völlig fremd geworden. Man würde in Europa niemals die politische Eignung eines Kandidaten am religiösen Bekenntnis festmachen. In Österreich etwa hatten wir mit Heinz Fischer einen bekennenden Agnostiker zwei volle Amtsperioden als Bundespräsidenten. In den USA wäre es derzeit zumindest noch völlig undenkbar, einen Atheisten oder eine Agnostikerin ins Amt zu wählen.

Frage: Würden sie so weit gehen und sagen, dass Religion wahlentscheidend sein kann?

Weiß: Man könnte es durchaus so sehen. Ich zögere nur deshalb etwas, weil man unter Religion, glaube ich, auch in den USA nicht die klassischen Konfessionen verstehen kann. Religion in der US-Politik kann auch bedeuten, dass man ein Gottesbekenntnis ablegt und dieses recht undefiniert lässt, aber man in diesem Gottesbekenntnis quasi dieses Überzeugtsein des patriotischen Bewusstseins in den USA ausdrückt. Man glaubt an einen Gott, der die USA als eine besondere Nation in ihrem Auftrag nach außen begleitet. Das ist eigentlich etwas, das über die Jahrhunderte hinweg immer maßgeblich war, unabhängig davon, ob der Präsident in den USA nun ein evangelikaler Christ ist, ein Baptist, ein Lutheraner, ein Katholik oder wie auch immer. Dieses Bewusstsein, dass die USA von einem bestimmten Gott, von einer bestimmten Berufung begleitet werden, war so etwas wie ein inklusives Glaubensverständnis, das die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner immer wieder zusammengeschweißt hat.

Kamala Harris
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Patrick Semansky

Die derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris ist die Kandidatin der Demokratischen Partei.

Frage: Sie schreiben in ihrem Buch "Trump. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben", dass Trump einen religionspolitischen Charakter hat. Woran machen Sie das fest?

Weiß: Als Donald Trump 2015 das erste Mal zu den republikanischen Vorwahlen angetreten ist, war es für mich sehr surreal, das dort zu sehen. Viele Amerikaner haben aber bereits damals mit dieser Person so etwas wie eine messianische Hoffnung verbunden. Er konnte es damals in seinen Selbstinszenierungen doch irgendwie glaubhaft darstellen, dass er jemand ist, der ganz von außen kommt. Er möchte dieses System von außen aufräumen. Zudem ist er nicht in den Systemen der Republikaner und Demokraten groß geworden. Er ist kein erfahrener Politiker. Er ist so etwas wie eine Rettung, wenn man so will, die diese Nation von außen erfassen möchte.

Dieser eigentlich fast schon spirituelle Anspruch, den er an sich gestellt hat und den er sich dann auf die Fahnen geheftet hat, hat ihm Glaubwürdigkeit gegeben. Die Menschen haben dann immer wieder diese Worte wiederholt: Das ist ein erfahrener Unternehmer, das ist ein Immobilien-Tycoon, der hat Arbeitsplätze geschaffen, er hat sich ein Imperium aufgebaut, der wird schon etwas können, der wird Kompetenzen haben. Die sind jetzt vielleicht nicht die klassischen politischen Kompetenzen, aber er bringt Kompetenzen mit. Und lassen wir ihm doch die Freiheit, dass wir quasi vielleicht gerade von dieser Person "gerettet" werden. Besonders im Wahlkampf 2016 war das eigentlich ganz unwirklich.

Viele Amerikanerinnen und Amerikaner haben gesagt, dass es ihrer Nation so schlecht geht, so schlecht wie noch nie in ihrer Geschichte. Armut greife um sich, die Wirtschaft liege am Boden. Sie brauchten einen "Retter", einen starken Politiker, der sie aus dieser misslichen Lage wieder befreit. Das Spannende ist, die Zahlen – auch in der damaligen Wissenschaft – haben diese Selbstsuggestion einfach nicht hergegeben. Die USA standen nach Barack Obama wirtschaftlich nicht schlecht da. Es hat fast Beschäftigungszahlen gegeben, wie schon lange nicht mehr. Aber dieses selbst suggestive Moment, "wir fühlen uns schlecht", "wir fühlen uns gerade in Krisenzeiten", "wir haben unsere Orientierung als Weltmacht verloren", das hat ausgereicht, um sich nach diesem "Retter" zu sehnen.

Frage: Wenn man davon ausgeht, dass es wirklich dieses Bewusstsein gibt, dass Trump, ich treibe es jetzt mal auf die Spitze, von Gott erwählt ist, dieses Amt zu bekleiden, würde das auch erklären, weshalb man ihm Affären, Sexismus, eine Scheidung, all das, was so aus christlicher Sicht eigentlich verwerflich ist, verzeiht?

Weiß: Es war für mich von Beginn an immer sehr schwer verständlich, wie konservative evangelikale Christen Donald Trump wählen können – aus meiner eigenen Erfahrung. Ich habe viele Bekannte und auch wirklich gute Freunde in den USA gefunden, die ich sehr schätze als evangelikale Christen, die mir gegenüber auch sehr glaubwürdig und authentisch dieses Christsein immer gelebt haben. Von denen bin ich auch bis heute überzeugt, dass sie ihre moralisch-konservativen Ideale sehr hochhalten. Ich habe dann nach der Wahl oftmals gefragt: Wie kann man denn so jemanden unterstützen? Wie könnt ihr, die ihr eigentlich so moralisch hohe Werte an euch selbst anlegt, so jemanden unterstützen?

Eine der einprägendsten Antworten, die ich immer wieder gehört habe, war ein Bibelzitat: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" (Mt 7,16). Damit wollten viele dieser Menschen mir gegenüber ausdrücken, wenn Donald Trump vielleicht nicht der ideale Mensch ist, wenn er in seiner persönlichen Biografie nicht der gute Christ oder der gute Familienvater ist, dann kann man ihm das verzeihen, solange er in seiner Politik für die richtigen Dinge steht. Viele dieser Gruppen haben dann gesagt: Donald Trump ist kein glaubwürdiger Christ. Er lebt nicht das, was wir uns eigentlich erwarten, aber zumindest in der Abtreibungsfrage, in der Israel-Politik, in der Waffen-Frage, wie auch immer, ist er auf unserer Linie, also können wir ihn wählen.

Donald Trump nach dem Attentat
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evan Vucci

Ex-Präsident Donald Trump tritt für die Republikaner an. Seine Anhänger sehen in ihm eine Art Messias.

Frage: Was würden Sie sagen, wie ist Kamala Harris aus religionspolitischer Sicht einzuordnen? Sie hält sich eher zurück mit Glaubensbekundungen, gibt aber gleichzeitig auch Einblick in ihre Spiritualität, oder?

Weiß: Das ist schwer zu sagen. Es ist schwer, das an einem Bekenntnis oder einem bestimmten moralischen Wertekatalog festzumachen. Als sich Kamala Harris entschieden hat, die Präsidentschaftskandidatur anzunehmen, hat sie gesagt, sie hat sich mit ihrem Pastor getroffen; sie hat sich mit ihrer Kirchengemeinde mehr oder weniger abgesprochen; sie ist sehr stark im persönlichen Gebet verharrt und hat dann diese Entscheidung getroffen.

Sie inszeniert sich hier also als eine selbstbewusste gläubige Christin, die sich aber nicht von einem bestimmten Bekenntnis oder einer bestimmten Wertevorgabe festmachen lässt. Sie versucht sich hier als eine selbstbewusste, moderne Frau zu inszenieren, die ihr eigenes persönliches Bekenntnis lebt.
Das passt natürlich sehr wohl in die baptistische oder in die evangelikale Tradition, dass man aus dem eigenen Glauben heraus ein Selbstbewusstsein erhält, das man nicht durch eine bestimmte Vorgabe oder durch einen Gesetzeskatalog erhält, sondern aus der eigenen Überzeugung heraus. Als solche kann sie natürlich auch bestimmte Wählergruppen ansprechen.

Frage: Man hat das Gefühl, es ist so eine Strategie, tatsächlich alle zu erreichen, auch wenn sie sehr aufgeschlossen mit anderen Religionen umgeht. Sie betont zum Beispiel immer wieder, sie sei mit einem Juden verheiratet, gehe mit ihm in die Synagoge und er mit ihr in die Kirche. Das ist schon eine kluge Strategie, oder?

Weiß: Es ist eine kluge und auch eine durchaus glaubwürdige Strategie. Vor allem macht sie natürlich deutlich, wie sie mit den unterschiedlichen Konfessionen umgeht. Und das ist eine ganz zentrale Frage in den USA. Die Republikaner und die konservativen Kreise legen sich immer noch sehr stark auf das christliche Bekenntnis fest – und dann natürlich auch auf ein sehr konservatives christliches Bekenntnis.
Wir dürfen in den USA eines nicht vergessen. Die USA sind eines der sich am schnellsten säkularisierenden Länder weltweit. Die Zahl der Konfessionslosen ist von knapp acht Prozent 1990 bis auf über 26 Prozent heute angestiegen. Ein Viertel der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sieht sich also bereits keiner Religionsgemeinschaft mehr zugehörig und sieht auch die Wichtigkeit von Religion in der Öffentlichkeit als schwindend an.

Ich glaube, gerade in dieser Hinsicht ist Kamala Harris auch deshalb für viele attraktiv als Kandidatin, weil sie eine neue Form von politischer Religiosität an den Tag legt, die eine bestimmte Nähe und Distanz zu unterschiedlichen Gruppierungen sieht. Sie lässt sich nicht mit einer strategischen Nähe oder vielleicht sogar als Marionette einer bestimmten Gemeinschaft darstellen. Sie vermag es derzeit sehr gut, sich so zu inszenieren, als wäre sie unabhängig und als wären der christliche Glaube und die christliche Identität für sie sehr viel wert. Sie muss aber nicht in einer besonders großen Nähe zu einer bestimmten Gemeinschaft oder zu einer bestimmten Kirche dastehen.

Von Verena Tröster