Päpste, Pfarrer, Ordensleute: Der Nobelpreis und die Kirche
Wenn in diesen Tagen das Telefon klingelt und eine "+46" im Display steht, sollte man den Anruf nicht gleich wegdrücken. Wer weiß, vielleicht ist es das Nobelpreiskomitee aus Stockholm. Denn jedes Jahr Anfang Oktober werden dort die Nobelpreisträger bekannt gegeben.
Viele wegweisende Entwicklungen in Wissenschaft und Technik wurden in vergangenen Jahrhunderten von Geistlichen und Ordensleuten angestoßen. Doch mit den seit 1901 verliehenen Nobelpreisen für Physik, Chemie, Medizin und Wirtschaft wurden bisher keine Priester und Ordensleute ausgezeichnet. Eine Laiendominikanerin erhielt den Literaturnobelpreis - und unter den Friedensnobelpreisträgern finden sich gleich mehrere Geistliche und Ordensleute. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) stellt eine Auswahl der kirchlichen Preisträger vor:
Sigrid Undset erhielt 1928 den Nobelpreis für Literatur. Die Norwegerin trat 1924 aus der protestantischen in die katholische Kirche über und wurde Laiendominikanerin. Ihren Weg in die katholische Kirche thematisiert sie in einigen Werken. Posthum wurde zudem ihre Biografie über Katharina von Siena veröffentlicht. Der Nobelpreis für Literatur wurde Undset "vor allem für ihre eindringlichen Beschreibungen des nordischen Lebens im Mittelalter" verliehen.
1952 erhielt Albert Schweitzer den Friedensnobelpreis. Schweitzer stammt aus einer evangelischen Pfarrersfamilie. Der promovierte Theologe studierte außerdem Medizin und war anschließend als Arzt auf dem afrikanischen Kontinent tätig. Das Nobelkomitee verlieh ihm den Friedensnobelpreis "für seinen Altruismus, seine Ehrfurcht vor dem Leben und seine unermüdliche humanitäre Arbeit, die dazu beigetragen hat, die Idee der Brüderlichkeit zwischen Menschen und Nationen lebendig zu machen".
Humanitäre Hilfe und Menschenrechte
"Für seinen Einsatz, Flüchtlingen zu helfen, ihre Lager zu verlassen und in ein Leben in Freiheit und Würde zurückzukehren" erhielt der belgische Dominikaner Dominique Pire 1958 den Friedensnobelpreis. Während des Zweiten Weltkriegs war er Kaplan der Widerstandsbewegung, Agent des Geheimdienstes und Helfer eines unterirdischen Fluchtsystems, das abgestürzte alliierte Fliegerpiloten zu ihren eigenen Truppen zurückbrachte. Zudem organisierte er Hilfe für Menschen in österreichischen Flüchtlingslagern. Aus diesem Engagement entwickelten sich nach dem Krieg mehrere Flüchtlingsdörfer an Stadträndern - unter anderem in Aachen, Bregenz, Augsburg, Wuppertal und Euskirchen.
Martin Luther King erhielt den Friedensnobelpreis im Jahr 1964 für seinen gewaltfreien Kampf für die Bürgerrechte der afro-amerikanischen Bevölkerung. Er kämpfte mit zivilem Ungehorsam gegen die Rassentrennung in den amerikanischen Südstaaten. Im Jahr 1963 marschierte der Baptistenpastor mit 250.000 Demonstranten zum Lincoln Memorial in Washington, wo er seine berühmte Rede "Ich habe einen Traum" hielt. Im folgenden Jahr verabschiedete Präsident Johnson ein Gesetz, das jegliche Rassendiskriminierung verbot. Der Bürgerrechtler wurde 1968 ermordet.
Die als "Mutter der Armen" bekannte Mutter Teresa von Kalkutta wurde 1979 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, weil sie der leidenden Menschheit helfe. Die im heute mazedonischen Skopje geborene Agnes Gonxha Bojaxhiu wurde mit 18 Jahren Loreto-Schwester und ging als Lehrerin nach Kalkutta. Sie verließ die Kloster-Gemeinschaft, um den Armen in einem der schlimmsten Elendsviertel von Kalkutta nah zu sein. Hier gründete sie die "Missionarinnen der Nächstenliebe". Vor allem ihre Heime für Findelkinder und ihre Sterbehäuser für todgeweihte Obdachlose machten sie über Indien hinaus bekannt. Am 4. September 2016 wurde Mutter Teresa durch Papst Franziskus heiliggesprochen.
Der anglikanische Bischof Desmond Tutu wurde 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er gehörte zu den wichtigsten Kämpfern gegen die Apartheid in Südafrika. Nach seinem Rücktritt als anglikanischer Erzbischof von Kapstadt wirkte der Kirchenführer seit 1996 als Vorsitzender der südafrikanischen "Wahrheitskommission" zur Aufarbeitung von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen während der Apartheid.
Preisträger mit problematischer Geschichte
Der katholische Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo erhielt 1996 für seinen Einsatz in eine gerechte und friedliche Lösung des Konflikts in Osttimor den Friedensnobelpreis. Der junge Bischof wurde zum Menschenrechtsanwalt und zum Sprachrohr der Bevölkerung. Nach der staatlichen Unabhängigkeit von Indonesien 2002 trat der Ordensmann der Salesianer Don Boscos als Bischof zurück und ging vorübergehend als Missionar nach Mosambik; seither lebt er in Portugal. Zuletzt wurden diverse Missbrauchstaten gegenüber jungen Männern in den 1970er bis 90er Jahren öffentlich, die in Belos Heimat offenbar schon lange bekannt waren. Der Vatikan verhängte 2020/21 Straf- und Präventionsmaßnahmen gegen ihn.
Einen Papst sucht man vergeblich unter den bisherigen Nobelpreisträgern - und das, obwohl Päpste immer wieder für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden. Laut Nobelpreiskomitee wurde Benedikt XV. (1854-1922) seinerzeit viermal für einen Nobelpreis vorgeschlagen. Sein Nachfolger Pius XI. (1857-1939) wurde einmal vorgeschlagen; Pius XII. (1876-1958) zweimal und Paul VI. (1897-1978) mindestens zweimal. Auch Papst Johannes Paul II. soll für den Nobelpreis nominiert worden sein - doch die Vorschläge seiner Amtszeit unterliegen noch der Sperrfrist des Nobelkomitees. Aktuell sind die Nominierungslisten bis 1971 abrufbar. Auf ihnen finden sich auch weitere Personen der jüngeren Kirchengeschichte, wie der Priester und Begründer der Urknalltheorie Georges Lemaitre; der Befreiungstheologe Ernesto Cardenal und der Konzilsvater und Kardinal Helder Camara.