Erfurter Liturgiewissenschaftler zu Rahmenverordnungen wie in Köln

Kranemann: Wortgottesfeiern am Sonntag sind keine Mangelverwaltung

Veröffentlicht am 21.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Erfurt ‐ Wenn Gläubige nicht an einer Eucharistiefeier teilnehmen können, sind künftig auch im Erzbistum Köln Wortgottesfeiern mit Kommunionspendung erlaubt. Warum dabei aber nicht von "Ersatz" gesprochen werden sollte, erklärt Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann im katholisch.de-Interview.

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Mit einer neuen Rahmenordnung für die Wortgottesfeier am Sonntag mit Kommunionausteilung reiht sich das Erzbistum Köln in eine Reihe von Diözesen ein, die diese Form der Liturgie am Sonntag offiziell ermöglichen, wenn in Gemeinden keine Eucharistiefeier stattfinden kann und es für Gläubige nicht möglich ist, an einer solchen teilzunehmen. Im katholisch.de-Interview ordnet der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann diese Entwicklung ein und spricht auch darüber, welche theologischen und liturgiewissenschaftlichen Fragen sich daraus ergeben.

Frage: Herr Kranemann, immer mehr deutsche Diözesen haben in den vergangenen Jahren Wortgottesfeiern am Sonntag unter bestimmten Voraussetzungen offiziell ermöglicht und entsprechende Rahmenordnungen veröffentlicht – jüngst auch das Erzbistum Köln. Auf der anderen Seite wird diese Feierform – trotz Priestermangel und immer größerer Pfarreieinheiten – gerade am Sonntag immer noch stark hinterfragt, weil das in der Kirche als der Tag der Eucharistiefeier gilt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung aus liturgiewissenschaftlicher Sicht?

Kranemann: Das Zentrum der Sonntagsliturgie bleibt sicherlich die Eucharistiefeier, das gilt aus theologischer Perspektive und hat gute Gründe. Gleichzeitig muss man aber empirisch feststellen, dass das für eine große Gruppe der Gläubigen nicht mehr so einfach feststeht. Für sie ist offensichtlich eine andere Form des Gottesdienstes am Sonntag genauso bedeutsam – oder sie feiern die Liturgie gar nicht mehr mit.

Frage: Wie soll man sich als Kirche zu dieser Entwicklung verhalten? Manche, eher traditionsbewusste Katholiken, würden dazu sagen, man müsste vielmehr etwas dagegen tun, dass viele die Eucharistie als nicht mehr so zentral sehen.

Kranemann: Für mich wäre entscheidend, dass es sonntags Gottesdienst vor Ort gibt, dass sich Menschen versammeln und sich dadurch Kirche konstituiert. Wenn das in Form der Eucharistiefeier geschieht, wird eine intensive Form des Mahls mit und um Christus gefeiert, das ist lange Tradition. Wo das aber nicht mehr möglich ist, feiert man Christus-Gegenwart in anderer Form, etwa in der Wortgottesfeier. Und das ist dann ebenfalls Sonntagsliturgie.

Frage: Geht es bei der Debatte auch darum, welches Bild man von Kirche hat?

Kranemann: Es gibt in neueren Ordnungen für diese Feiern offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen, was das eigentlich für eine Kirche ist, die sich hier versammelt: Wenn man sie stark priesterzentriert denkt, wird vor allem und ausschließlich die Eucharistie betont. Wenn man aber Kirche von der Würde aller Getauften her denkt, ist man neben der Eucharistie bei einer ganzen Fülle von Gottesdienstformen, die in einer Gemeinde ihren Platz haben und die unterschiedlich verantwortet und geleitet werden können.

Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann
Bild: ©Universität Erfurt (Montage: katholisch.de)

"Wo sonntags keine Eucharistie gefeiert werden kann, feiern die Menschen eine andere Liturgie und erfüllen damit das, was man 'Sonntagspflicht' nennt", sagt der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann. Auch hier werde Christuspräsenz gefeiert.

Frage: Bei einer Wortgottesfeier läuft ja grundsätzlich immer die Debatte im Hintergrund, ob sie ein legitimer Ersatz für die sonntägliche Eucharistie ist – Stichwort Sonntagspflicht. Wie sehen sie das?

Kranemann: In der Diskussion wird oft so getan, als verwalte man einen Mangel, wenn statt einer Eucharistiefeier ein Wortgottesdienst gefeiert wird. Doch wenn das Zweite Vatikanische Konzil sagt, die Kirche habe die göttlichen Schriften wie auch den Herrenleib selbst immer verehrt (DV 21), dann hat das Wort Gottes einen zentralen Stellenwert für jede Liturgie. Deshalb sollte bei einer Wortgottesfeier nicht von "Ersatz" gesprochen werden. Hier wird Christuspräsenz gefeiert, hier versammelt sich Kirche um den im Wort gegenwärtig geglaubten Christus. Der Sonntag wird aus guten Gründen mit der Eucharistie verbunden. Das ist lange Tradition der Kirche. Aber die verschiedenen Rahmenordnungen zu eigenständigen Wortgottesfeiern, die es mittlerweile in Deutschland gibt, oder das, was sich in der Weltkirche beobachten lässt, zeigt, dass die Praxis und die Gewohnheit längst anders sind oder sich gerade verändern. Wo sonntags keine Eucharistie gefeiert werden kann, feiern die Menschen eine andere Liturgie und erfüllen damit das, was man "Sonntagspflicht" nennt.

Frage: Ergeben sich umgekehrt aus der Praxis der Wortgottesfeiern heraus auch Anfragen an die Theologie beziehungsweise die Liturgiewissenschaft?

Kranemann: Bei Wortgottesfeiern mit Kommunion: Was bedeutet das erstens für das Eucharistieverständnis, wenn Kommunion ausgeteilt wird, ohne Hochgebet oder all das, was zu einer Eucharistiefeier dazugehört? Was bedeutet es zweitens, dass die Gegenwart Christi im Wort eine theologische Größe ist, die spirituell in den Gemeinden offensichtlich nicht so verankert ist, wie das sinnvoll und wünschenswert wäre – und dass deshalb eine reine Wortgottesfeier als defizitär betrachtet wird? Und drittens ist immer wieder zu fragen, wie die Kommunionausteilung in der Ökumene gesehen wird.

Frage: Spiegelt sich diese Betrachtung als Defizit das auch in den Rahmenordnungen wider?

Kranemann: In der neuesten Rahmenordnung aus Köln entsteht der Eindruck, dass eine Wortgottesfeier ohne Austeilen der Eucharistie am Sonntag gar nicht gewollt ist. Das hat beispielsweise das Bistum Dresden-Meißen 2023 anders gelöst, wo schon in der Präambel die Verehrung der göttlichen Schriften sehr starkgemacht wird. Das ist ein anderer Zugang – und es überrascht, dass man in Köln, und zwar entgegen der langen Diskussion in der Liturgiewissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten, die Kommunionausteilung so sehr betont und keine Kann-Bestimmung aufgenommen hat.

Frage: In Köln gilt nun die Regelung, dass die Hostien für eine sonntägliche Wortgottesfeier mit Kommunion von einer benachbarten Eucharistiefeier kommen sollen. Dieselbe Regelung gilt schon seit 2018 in Paderborn; da war die Rede von einer "verlängerten Kommunionbank". Überzeugt Sie das?

Kranemann: Wenn ich das so sagen darf: Hier lernt der Westen vom Osten. Denn die Stationsgottesdienste in der DDR haben genauso funktioniert. Von diesem Modell hat man sich in der alten Bundesrepublik später abgesetzt und ist zu jener Form der Wortgottesfeier gekommen, in der man aus dem Tabernakel heraus die Kommunion austeilt. In der katholischen Kirche in der DDR war es üblich, dass Stationsgottesdienstleiter an einer Eucharistiefeier in einer Gemeinde teilgenommen haben und dann zu einer sogenannten Außenstation, also einer Kapelle oder einer Kirche, gefahren sind, dort Wortgottesdienst gefeiert und die Eucharistie ausgeteilt haben. Was man damit zum Ausdruck bringen wollte: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Außenstation dieser Gemeinde, die keine Eucharistiefeier begehen kann, mit der Gemeinde, die Eucharistie mit Hochgebet gefeiert hat; es wird keine Tabernakelkommunion ausgeteilt, sondern jene Kommunion, die direkt aus einer gefeierten Eucharistie kommt. Das spricht auf der Zeichenebene.

„In den vergangenen Jahrzehnten hat es einen Verlust von anderen Formen des Gottesdienstes gegeben. Die Kirche ist gut beraten, die Vielfalt der Gottesdienstformen zu fördern.“

—  Zitat: Benedikt Kranemann

Frage: Hat das aus Ihrer Sicht einen theologischen "Mehrwert"?

Kranemann: Eucharistie wird im Normalfall ausgeteilt, wenn sich Menschen versammeln, das Eucharistiegebet unter Beteiligung der Gemeinde gesprochen und dann kommuniziert wird. Das macht Eucharistie aus. Es ist auch mit Blick auf das Kirchenverständnis wichtig. Hier werden Gemeindebezüge erfahrbar – die Gruppe, die keine Eucharistiefeier begehen kann, ist Teil dieser Gemeinde. Es geht also auch um theologische Relevanz.

Frage: Es geht bei der offiziellen Ermöglichung von Wortgottesfeiern häufig auch darum, die Kirche oder die Gemeinde vor Ort zu erhalten. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt oder zu "romantisch" gedacht?

Kranemann: Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Es ist entscheidend in unserer Zeit, dass Kirche vor Ort existieren kann und wir diesen lokalen Bezug nicht völlig verlieren. In all den Strukturprozessen, in den großen pastoralen Räumen, die in vielen Bistümern mittlerweile entstehen, ist es essenziell, dass man eine Verankerung in der Liturgie hat. Das heißt, dass es einen Ort des Gebets gibt, der etwas mit dem Lebensumfeld zu tun hat. Je größer Seelsorgeräume werden, umso größer ist die Gefahr, dass gerade das verloren geht.

Frage: Mancher argumentiert in dieser Debatte so: Viele Familien fahren sonntags mehrere Stunden in Freizeitparks, da kann man ihnen auch zumuten, eine halbe Stunde oder Stunde zur Messe zu fahren. Was halten Sie von so einer Denkweise?

Kranemann: Das führt aber doch zur Entfremdung von Liturgie und Lebenskontext. Menschen suchen in dem Umfeld, in dem sie leben, auch Gottesdienstgemeinschaft. Natürlich wird es in Einzelfällen so sein, dass jemand sich auf den Weg macht, auch weil er etwa zu einer geistlichen Gemeinschaft gehört und dort die Liturgie feiern möchte. Aber dass das für die Mehrzahl der Gläubigen ein gangbares Modell ist, glaube ich nicht. Übrigens gibt es auch Priester, die beklagen, dass sie am Sonntag weit in eine Gemeinde fahren, die sie überhaupt nicht kennen, und vor Menschen predigen, von denen sie gar nicht wissen, was sie im Alltag umtreibt. Sie sagen, in dieser Gemeinde bleiben sie fremd. Ich denke, das kann man auch auf die Gläubigen übertragen.

Frage: Was ist Ihr genereller Rat bei der ganzen Thematik?

Kranemann: Die Gläubigen in der katholischen Kirche in Deutschland oder möglicherweise auch im deutschen Sprachgebiet kennen oft die Eucharistie als einzige Liturgie, die sie regelmäßig feiern. In den vergangenen Jahrzehnten hat es einen Verlust von anderen Formen des Gottesdienstes gegeben. Die Kirche ist gut beraten, die Vielfalt der Gottesdienstformen zu fördern. Da tut sich mittlerweile manches. Das ist die Wortgottesfeier, das ist selbstverständlich die Eucharistie – das ist aber auch beispielsweise die Stundenliturgie; zu denken ist an zeichenreiche Gottesdienste wie Andachten, Taizé-Gebete und so weiter. Die Bistümer sollten dafür sorgen, dass diese vielfältige Gottesdienstlandschaft auch wirklich gelebt werden kann. Es gibt unter den Gläubigen viel Kompetenz und Leidenschaft dafür.

Von Matthias Altmann