Autorin: Viele Menschen in der Kirche ringen mit sich
Mehr als 20 Jahre lang war Birgitt Schippers Redakteurin beim Kölner Domradio. Jetzt legt sie ihren ersten Roman vor – und auch der spielt im Raum der Kirche. In "Revelatio" steigt ein Kardinal aus dem System aus, Priester planen eine Demonstration und im Hintergrund wollen ganz andere die Fäden ziehen. Im Interview spricht die Autorin über ihre Beobachtungen in der Kirche und was am Ende doch (noch) Fiktion ist.
Frage: Frau Schippers, in Ihrem Roman geht es um einen Kardinal, der aussteigt, ein geplantes Massen-Coming-Out von Priestern, erzkonservative Netzwerke und gesellschaftliche Indifferenz. Ist Ihr Buch also eine Tour de Force durch die Kirche im Jahr 2024?
Schippers: Auf jeden Fall – und das würde ich nicht auf das Jahr 2024 beschränken. In den vergangenen Jahren hatten immer wieder Priester ihr Coming Out. Außerdem habe ich in Hintergrundgesprächen von Priestern gehört, in was für Seelenqualen sie sich befinden. Sie sind mit großem Idealismus eingestiegen, haben aber mit der Zeit sich immer weniger mit dem System Kirche identifizieren können. Da habe ich mich gefragt: Warum höre ich das von Priestern, aber kaum ein Bischof gibt zu, dass er nicht mehr kann? Denn auch das sind Menschen mit Gefühlen, trotz ihrer Macht und ihres Einflusses. Das war mein Ausgangspunkt: Was wäre, wenn auch ein Kardinal in tiefen Zweifeln versinkt? Diese Thematik hat sich in den letzten Jahren meiner journalistischen Arbeit angesammelt. Aber es ist ein Roman, die Handlung ist natürlich fiktiv.
Frage: Sie waren 22 Jahre lang Redakteurin beim Domradio in Köln. Wo hört im Buch die Journalistin auf und fängt die Autorin an?
Schippers: So, wie ich die Geschichte aufgeschrieben habe, habe ich sie nicht ansatzweise von irgendjemandem erzählt bekommen. Das ist komplett fiktiv. Aber der Hintergrund ist echt: Menschen im Kirchenamt, die Zweifel und Terminstress haben. Viele sind in den Priesterberuf gekommen, weil sie Seelsorger sein und die Frohe Botschaft verkünden wollen. Aber im System Kirche müssen sie alle auch Manageraufgaben übernehmen, auf unterschiedlichen Ebenen. Dazu wollen viele nicht in Schwarz-Weiß-Kategorien denken: lehramtstreu versus abweichend. Es entstehen zahlreiche innere Konflikte und Systemzwänge, die den Alltag bestimmen. Das habe ich mitgenommen.
Frage: Sie sind geborene Kölnerin und arbeiten in Köln – einem Erzbistum, in dem es viele Auseinandersetzungen gibt. Ist Köln auch im Buch gemeint?
Schippers: Nein, sonst hätte ich es auch dezidiert in Köln verortet. Diese Zwänge gibt es überall.
Frage: Also ist das Buch auch eine Abrechnung mit dem System Kirche als Ganzem?
Schippers: Nein, das System ist immer so gut wie die Menschen darin. Deshalb entstand ja auch die Idee eines Bischofs, der merkt, dass er zwar gebraucht wird, aber auch benutzt. Der nie weiß, ob ihn Menschen wegen eines wirklichen Anliegens ansprechen oder um sich einen persönlichen Vorteil damit zu verschaffen. Das ist wie bei anderen Managern oder Personen des öffentlichen Lebens auch. Da gibt es ja schon fast ein institutionelles Misstrauen, das immer mitläuft. Es war mein Anliegen, diese Gefahr einer institutionellen Verformung aufzuzeigen: Wer in der Kirche Karriere machen will, muss sich frühzeitig um Unterstützer kümmern, da kommt viel unter die Räder. Da fällt es den meisten nicht leicht, sich ihren anfänglichen Idealismus zu erhalten. Es ist auch für höhergestellte Menschen im Priesteramt nicht immer einfach, sich aus diesen Zwängen zu befreien und sich auf die Gründe für ihre Berufung zu besinnen. Für die Bischöfe ist dieser Roman eine Gewissensprüfung: Wo bin ich noch Seelsorger? Wo lebe ich das, was mich in den Priesterberuf gebracht hat? Und wo bin ich Teil eines Systems?
Frage: Es geht also um eine Art Katharsis?
Schippers: Ich bin überhaupt nicht gegen die Kirche, ich würde auch nie austreten. Ich glaube, dass hinter jedem strukturellen Zwang Menschen stehen, die eigentlich Gutes wollen. Es schmerzt mich, dass es diese Zwänge im Kontext einer Frohen Botschaft gibt, die eigentlich eine Botschaft der Freiheit ist. Katholisch sein heißt eigentlich, alle Menschen zu umarmen und nicht nur einen ausgesuchten Kreis.
Frage: Der Roman geht in einigen Punkten weiter als die Realität. So gibt es eine Bewegung, in der sich Priester öffentlich zu ihren Lebenspartnerinnen und -partnern bekennen wollen. Das geht über "Out in Church" hinaus. Sind Sie über den fehlenden Mut der Priester im echten Leben enttäuscht?
Schippers: Nein, ich kann die Zurückhaltung verstehen und finde sie gleichzeitig sehr traurig. Ich weiß aus den vielen Gesprächen, die ich geführt habe: Menschen haben ein Gelübde abgelegt – wie eine Ehe. Auch eine Ehe setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel. Dieses Ja-Wort ist mal mit Inbrunst gesprochen worden. Diese Menschen stellen sich bei jedem Schritt die Frage, ob sie gerade das Richtige tun. Sie wollen die Kirche, die ihr Zuhause ist, nicht abreißen. Aber gleichzeitig sprechen ihr Glaube und ihr Gewissen gegen so manche Lehrsätze dieser Kirche. Viele Menschen in der Kirche ringen mit sich, gerade wenn sie sich auch um die Seelen ihrer Mitmenschen sorgen.
„Es gibt viele Menschen in der Kirche, die homosexuell sind. Wenn die den Mund halten, ist alles gut – wenn sie sich öffnen, dann nicht mehr.“
Frage: Das trifft natürlich auch auf die Frage nach dem Umgang der Kirche mit homosexuellen Menschen zu, das nimmt im Buch einen wichtigen Platz ein.
Schippers: Es gibt viele Menschen in der Kirche, die homosexuell sind. Wenn die den Mund halten, ist alles gut – wenn sie sich öffnen, dann nicht mehr. Da haben wir über die Priester mit Familien noch gar nicht gesprochen. Ich würde es wirklich begrüßen, wenn die Kirche da nicht so ein Versteckspiel erzwingen würde. Denn das schränkt das Selbstbewusstsein und die Strahlkraft von Menschen enorm ein.
Frage: Es gibt da diese Szene im Buch, wo ein Priester zufällig den Weihbischof in einem Darkroom trifft. Letzterer windet sich dann mit einer Mischung aus theologischer Liberalität und geistlichem Missbrauch aus der Situation. Ist das symptomatisch?
Schippers: Da geht es um die Rechtfertigung vor sich selbst und dem eigenen Amt. Aber auch um die Ausübung von Macht und darum, die eigene Existenzberechtigung vor sich selbst zu bewahren. Das ist schizophren. Diese Schizophrenie belastet viele Amts- und Würdenträger, glaube ich. Dadurch werden sie zu gespaltenen Persönlichkeiten, die sich hinter leeren Floskeln verstecken.
Frage: Dass am Ende ein Bischof wirklich aussteigt und das auch so sagt, ist noch nicht vorgekommen. Glauben Sie, das kommt noch?
Schippers: Ich bin gespannt, vielleicht ja wegen meines Romans. (lacht) Ich werfe durchaus Fragen auf, die sich auch Bischöfe mal stellen könnten: Inwieweit habe ich einen Teil meines moralischen Kompasses geopfert, nur um die Haltung des Papstes durchzusetzen? Wo sind meine Grenzen? Unter der Hand wird da viel erzählt – nach außen hin nicht. Aber es brodelt in der Kirche. Viele gehen nach vorne, weil sich etwas verändern muss. Aber es gibt halt auch die anderen, die gegen Fortschritt sind, auch etwa bei der Weltsynode in Rom. Diese Abschottung wird auf Dauer nicht funktionieren. In diese Zeit des Umbruchs hinein spricht dieses Buch – mit der Botschaft: Nur die Liebe zählt. Wir müssen die Menschen umarmen und dürfen sie nicht ausgrenzen.
Buchtipp
Birgitt Schippers: "Revelatio. Ein Kardinal steigt aus". Verlag Ralf Liebe, Weilerswist, 255 Seiten. ISBN 978-3-948682-62-0.