Religionssoziologe Pickel rät zu Fantasie und Kreativität

Von Herr der Ringe bis Baseball: Was Themengottesdienste bringen

Veröffentlicht am 20.10.2024 um 12:00 Uhr – Von Lisa Maria Plesker und Rainer Nolte (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ob Taylor Swift, Adele oder Herr der Ringe: Themengottesdienste boomen. Doch sind sie ein einmaliges Spektakel für Hardcore-Fans, spirituelles Ereignis oder eine effektive Maßnahme, um Menschen für die Kirche zu interessieren?

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Taylor Swift, Adele, Herr der Ringe: Kirchengemeinden in Deutschland laden immer öfter zu sogenannten Themengottesdiensten ein. Zum Beispiel Armin Pöhlmann: Er hat 2023 ein "Herr der Ringe"-Projekt gestartet. Zunächst aus Neugierde und ohne festes Ziel vor Augen, wie der Pfarrer der Nikolaikirche in Eisenach im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet.

Tolkiens Bücher faszinierten generationenübergreifend und nähmen religiöse Motive auf, erklärt Pöhlmann. Damit wollte er sich befassen. Seiner Einladung folgten sieben Menschen im Alter zwischen 16 und 89 Jahren. Sie überlegten, was aus ihrem Projekt entstehen solle. Heraus kam ein "fantastischer Gottesdienst" - mit 130 Besucherinnen und Besuchern. Jugendliche, Ältere, die der Gemeinde verbunden sind, und Tolkien-Fans von weiter weg, wie Pöhlmann erläutert.

Hunderte Swifties im Gottesdienst

Solche Zahlen werden locker getoppt von Taylor Swift: Die Musik des US-Superstars brachte der Heidelberger Heiliggeistkirche im Mai rund 900 Gottesdienstbesucher. Für September hatte die Gemeinde dann zu einem Gottesdienst mit Liedern der britischen Popsängerin Adele eingeladen.

Pop-Ikone Adele in München
Bild: ©picture alliance / Cover Images | Cover Images

"Wir dachten, Taylor Swift sei ein einmaliger Hype. Nun sind wir völlig überrascht, dass der Gottesdienst mit Adele auch schon nach zwei Tagen vollständig ausgebucht war", sagt Pfarrer Vincenzo Petracca.

"Wir dachten, Taylor Swift sei ein einmaliger Hype. Nun sind wir völlig überrascht, dass der Gottesdienst mit Adele auch schon nach zwei Tagen vollständig ausgebucht war", sagt Pfarrer Vincenzo Petracca bei domradio.de. Daher habe die Kirche gleich einen zweiten Gottesdienst angesetzt. Nach Auskunft der Gemeinde kamen rund 1.000 Besucher. Der Adele-Gottesdienst ist bereits der elfte in der Reihe "Citykirche Rock 'n' Pop" an der Heiliggeistkirche.

Internationaler Baseball-Gottesdienst

Erfahrung mit besonderen Gottesdiensten hat auch Andreas Schneider, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde am Kottenforst bei Bonn: Schon seit mehreren Jahren lädt seine Gemeinde jedes Jahr Ende Januar zum Baseball-Gottesdienst ein. Daran nehmen auch aktive Baseballspieler im Alter von sechs bis 19 Jahren teil. Die Predigt hält der Pfarrer zusammen mit einem Baseballspieler der Bundesliga oder einem ehemaligen Spieler der Major League aus den USA.

Schneider wünscht sich, dass seine Stammgemeinde durch die Baseball-Gottesdienste mitbekommt, dass es auch andere Menschen am Rand der Gemeinde gibt, die am kirchlichen Leben teilnehmen. Zum anderen geht es ihm um eine Würdigung der Sportler: "Wir bieten Gottesdienste für Kinder, Musikliebhaber, Senioren, Neuzugezogene und eben auch für Sportbegeisterte. Das Hauptanliegen ist jedoch, jungen Sportlern zu zeigen, dass der Glaube an Jesus Christus auch für sie eine wichtige Bedeutung haben kann", betont Schneider, der als Trainer auch Jugendseelsorge im gemeindeeigenen Baseballverein betreibt.

Religionssoziologe: Schritt in die richtige Richtung

Gert Pickel hält Themengottesdienste für einen Schritt in die richtige Richtung. Bei Befragungen zeige sich immer wieder der Wunsch, dass Gottesdienste an der Gegenwart orientiert sein sollten, erklärt der Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Uni Leipzig. Mit Themengottesdiensten könnten auch jüngere Leute angesprochen werden. "Man sollte nicht meinen, jetzt gewinnen wir dadurch eine große Menge an Gläubigen, die dann auch wieder in die Normalgottesdienste gehen."

Religionssoziologe Gert Pickel
Bild: ©Privat

"Man sollte nicht meinen, jetzt gewinnen wir dadurch eine große Menge an Gläubigen, die dann auch wieder in die Normalgottesdienste gehen", meint Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Uni Leipzig.

Zum "Herr der Ringe"-Gottesdienst bekam Pöhlmann durchweg positives Feedback, wie er sagt. Besucher spiegelten ihm begeistert, wieviel Neues sie über Tolkiens Werk gelernt hätten  wie viel Christliches darin enthalten sei. Schnell war klar: Ein Gottesdienst für den ganzen "Herrn der Ringe" reicht nicht aus. Zu jedem Band sollte einer entstehen.

Manche Rückmeldungen gingen Pöhlmann zu weit: "Einer hat gesagt, ich hätte mich als Gandalf verkleiden können und dann hätte man so Rauchdinger aufstellen können, damit das richtig wirkt. Aber das sollte ja kein Schauspiel sein, sondern ein Gottesdienst." Der Pfarrer sieht Grenzen in beide Richtungen: So habe es Leute gegeben, die alles christlich auslegen: "Frodo ist Jesus; Tolkien hat eine quasi missionarische Schrift geschrieben."

Kreativer Umgang tut gut

Trotz Ideen, die auch mal über das Ziel hinausschießen, rät Religionssoziologe Pickel Kirchengemeinden, flexibel zu sein. "Fantasie war ja lange Jahre lang nicht gerade das Spitzenprodukt von Kirchen." Da tue ein kreativer Umgang mit der Gestaltung von Themengottesdiensten gut. Pöhlmann sieht das ähnlich: Er habe viele Anfragen von Kollegen bekommen, die er ermutigt habe, auch mal etwas Neues auszuprobieren und experimentierfreudig zu sein: "Man muss die Jugend mit ins Boot holen und ihr den Raum geben, etwas zu machen." Daraus sei ein durchaus spiritueller Gottesdienst entstanden. Überraschend war für ihn, dass sich der Küster mit einer "Riesenfreude" an der Gestaltung der Kirche beteiligt und der Organist sich engagiert habe, um die Filmmusik beisteuern zu können. So sei aus dem unverhofften Zusammenwirken vieler verschiedener Menschen etwas Tolles entstanden.

Ein paar der "Herr der Ringe"-Gottesdienstbesucher ließen sich für das Vorbereitungsteam des nächsten Gottesdienstes gewinnen. Ein Jahr später lockte der erneut rund hundert Menschen in die Kirche. Dennoch sollte Nachhaltigkeit nach Pickel nicht über besser besuchte Sonntagsgottesdienste oder Kircheneintritte definiert werden. "Eine groß angelegte Missionierung wird man auf dem Weg nicht zustande bringen", sagt er. Generell seien die Menschen sehr zurückhaltend dabei, sich missionieren zu lassen. Stattdessen könne man einen Wandel anstreben, indem man häufiger gegenwartsorientierte Angebote mache, die auch für jüngere Leute attraktiv seien.

So ist der Baseball-Gottesdienst am Kottenforst zu einer festen Institution geworden, auch für die Sportler. Es gebe Menschen, die sich wegen des besonderen Flairs darauf freuen, sagt Pfarrer Schneider. Wie nachhaltig diese besonderen Gottesdienste wirken, durfte er im vergangenen Jahr entdecken: Da habe sich ein Bibelkreis für Sportler gegründet. "Junge Baseballspieler kommen zusammen, kochen miteinander und lesen zusammen in der Bibel."

Von Lisa Maria Plesker und Rainer Nolte (KNA)