Takuro Johannes Shimizu wurde dieses Jahr zum Priester geweiht

Wie ein Kaplan sich in seine erste Stelle einarbeitet

Veröffentlicht am 04.11.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Zülpich ‐ Takuro Johannes Shimizu ist seit diesem Jahr Priester und hat im Herbst seine erste Kaplansstelle im Erzbistum Köln angetreten. Im neuen Umfeld warten zahlreiche Baustellen auf ihn: Er trifft auf eine Kirchenbasis zwischen Tradition und den Umbrüchen der Gegenwart.

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Die Kirche St. Peter in der Innenstadt der nordrhein-westfälischen Stadt Zülpich wurde 1944 im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Und doch geht Takuro Johannes Shimizu im Inneren des 1950er-Jahre-Baus auf Hochaltäre aus dem Mittelalter zu. "Die haben bis heute überlebt", sagt er. Die Zusammenstellung wirkt gewöhnungsbedürftig: Hier die zurückhaltende Formensprache der Mitte des 20. Jahrhunderts, dort die goldbemalten Holzfiguren der Spätgotik. Doch sie stehen sinnbildlich für die ländliche Welt der Voreifel, in der Shimizu jetzt wohnt. Der 30-Jährige wurde dieses Jahr zum Priester geweiht, Zülpich ist seine erste Kaplansstelle. Und in diesem neuen Lebensabschnitt warten einige Herausforderungen.

Dazu gehört für ihn zunächst einmal, viel Neues kennenzulernen. St. Peter zählt zu den über 20 Kirchen, die sich in der großen Pfarreiengemeinschaft befinden. "Jedes Dorf ist anders. Das ist alles gar nicht so einfach." Er ist Ansprechpartner für vier dieser Kirchen. Sonntags klappert er davon immer ein paar ab. Mal feiert er hier die Messe, mal ist dort Seniorenkaffee, dazu fährt er einmal im Monat die Hauskommunion rund. Nach dem Gottesdienst stellt er sich auch manchmal an die Kirchentür und schüttelt Hände. "Ich will in Kontakt mit den Menschen kommen – und zwar nicht nur in meiner Rolle. Auch persönlicher Kontakt ist notwendig."

Das ist gar nicht so einfach. Denn in dieser großen Gemeinde, in der die vielen Pfarrkirchen in den letzten 20 Jahren zusammengelegt wurden, müssen die Seelsorger des Öfteren lange Strecken mit dem Auto fahren. Auch sonst ist das Pfarreileben keineswegs so, wie Shimizu es im Priesterseminar in der Theorie gelernt hat. "Da gibt es himmelweite Unterschiede", sagt er und nennt ein Beispiel: "Wir sprechen immer davon, dass wir die Lebensrealität der Menschen mit einbeziehen müssen. Die hat sich in den vergangenen fünf Jahren durch Corona und die Digitalisierung aber dramatisch geändert. Das haben wir als Kirche noch gar nicht richtig auf dem Schirm." Mittlerweile gehöre es etwa dazu, die Menschen aktiv zu einer Smartphone-freien Zeit zu ermuntern. "Wir müssen immer wieder neu lernen: Was ist eigentlich der Stand der Dinge heute – und wie können und wollen wir als Kirche darauf reagieren?"

Reste der Volkskirche

Auf der anderen Seite gibt es im Zülpicher Raum noch einige Reste der Volkskirche. "Die Leute hier sind generell sehr offen, aber auch traditionell, Bräuche spielen hier eine große Rolle." So ist Shimizu durch sein Amt etwa der Präses zweier Schützenbruderschaften. Obwohl Shimizu selbst aus der ebenfalls durch das Schützenwesen geprägten Stadt Neuss kommt, hatte er mit dem Brauchtum bislang wenig zu tun. "Ich schätze es aber, dass die Leute bei wichtigen Anlässen jemanden von der Kirche dabeihaben wollen und es anscheinend eine Rolle für sie spielt", sagt der Kaplan. "Deshalb bin ich dann selbstverständlich immer dabei." Ebenso hält er es mit dem Karneval. Selbst kein Karnevalist, versucht er die Bräuche zum Wohl der Gemeinschaft und im eigenen Interesse besser zu verstehen. Das bedeutet auch einen großen Lernaufwand: "Da gibt es so viele verschiedene Bezeichnungen und Ämter. Da muss ich in einer Messe immer genau aufpassen, dass ich das Schützenkönigs- oder Karnevalsprinzenpaar richtig tituliere." Daneben muss er sich den restlichen lokalen Festkalender von der Kirchweih bis zum Patrozinium noch aneignen.

Bild: ©katholisch.de/cph

In Zülpich hat das Brauchtum eine große Bedeutung.

Die Jugend spielt in seiner Arbeit nicht nur mit Blick auf Karneval eine Rolle: Er ist für die Messdiener und andere Jugendgruppen verantwortlich, die sich als "Katholische Jugend Zülpichs" ohne Anbindung an einen der großen Verbände organisiert haben. "Wir haben hier sehr selbstständige Jugendleiter, die machen das schon. Da brauche ich nicht viel reinzugeben", erklärt Shimizu. Einmal in der Woche treffen sich die neun- bis 16-Jährigen, spielen und quatschen zusammen. Er wolle erst einmal verstehen, wie die Pfarreiarbeit hier bisher funktioniere, bevor er eigene Akzente setze, sagt der Kaplan. "Ein bisschen einbringen kann ich mich schon, wenn es etwa um die liturgische Gestaltung geht – und natürlich in meinen Predigten." Eine erste Idee hat er aber schon: Er will Jugendmessen feiern, allerdings unter Einbeziehung seiner Zielgruppe. Außerdem will er auf der Jugendfahrt einen Gottesdienst feiern.

Nur ein paar Minuten von der Pfarrkirche entfernt in der Zülpicher Innenstadt steht die kleine Gasthauskapelle. Wenige Bankreihen stehen hier hintereinander, über dem Altar thront die Muttergottes. Es ist ein stiller, dunkler Raum. Hin und wieder feiert Shimizu hier abends die Werktagsmesse. Dies ist aber auch der Ort, an den er sich zum persönlichen Gebet zurückzieht. Denn auch seine eigene Spiritualität möchte er stärken. Dazu tragen etwa Treffen der Priestergesellschaft bei, mit der er einmal im Monat zusammenkommt. "Wir beten und essen zusammen und tauschen uns aus. Das ist ganz wichtig für mich, auch mal einen Blick von außen zu bekommen."

"Danach habe ich mich ganz leer gefühlt"

Solche Netzwerke musste er auch schon nutzen: Denn zuletzt rief ihn eine aufgebrachte Person an und nahm ihn wegen seiner letzten Predigt unter Beschuss. Es sei dem Anrufer nicht um sachliche Kritik gegangen, sondern lediglich darum, ihn zu beleidigen, sagt Shimizu. "Das hat wehgetan und mich verletzt. Danach habe ich mich ganz leer gefühlt." Noch am selben Abend fuhr er zu einem befreundeten Priester, um sich Beistand und Unterstützung zu holen. "Alleine zu Hause zu sitzen hilft da überhaupt nicht", sagt er.

Bild: ©katholisch.de/cph

Takuro Johannes Shimizu wohnt in der Innenstadt von Zülpich.

Von der Gasthauskapelle sind es nur ein paar Meter zu dem Backsteinhaus aus der Zeit der Jahrhundertwende, in dem Shimizu im Erdgeschoss wohnt. Gerade schraubt er die Bialetti zusammen, um einen Kaffee zu kochen. Die Küche ist erst seit Kurzem eingebaut. Nach der Renovierung des Hauses ist er der erste Bewohner des Erdgeschosses. Ein Pfarrvikar und ein weiterer Kaplan wohnen im gleichen Haus, der Pfarrer wohnt um die Ecke. Auch ein Zeichen gegen die Einsamkeit. "Wir treffen uns einmal die Woche zum Mittagessen und halten uns gegenseitig auf dem Laufenden." Ansonsten ist er aber auch froh darüber, hier sein eigenes Reich zu haben. "Der Auszug aus dem Seminar war eine Befreiung für mich", erzählt er. "Ich war immer sehr selbstständig, da war dieses sehr durchstrukturierte Seminarleben nichts für mich."

Nun will er seine Selbstständigkeit nutzen, um ein Priester für alle zu sein. Denn neben den Jugendlichen gibt es vor Ort auch etwa die Legion Mariens, die ein sehr traditionelles Glaubensverständnis vertreten. Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Kirchenverständnissen hat er aber noch nicht ausgemacht. "Die leben alle nebeneinander her." Umso wichtiger ist es Shimizu, für alle da zu sein. "Ich will mich nicht vereinnahmen lassen. Deshalb wohne ich auch in Zülpich und nicht in einem der Orte, für die ich zuständig bin. Denn wenn ich in einem Dorf wohne, wohne ich in drei nicht."

Gottesdienstbesuch geht zurück

Was ihm in den ersten Wochen vor Ort direkt aufgefallen ist, sind die schönen Kirchen, die es in der Pfarreiengemeinschaft noch vielerorts gibt. Die mehr als 20 vorhandenen Kirchen stehen noch nicht zur Disposition – bislang. "Natürlich geht auch hier der Gottesdienstbesuch zurück", sagt er. Zwar gebe es auch junge Leute, die in den Gottesdienst kommen, aber die breite Masse ist das auch auf dem Dorf nicht mehr. Die Zahl der Messdiener ist in den vergangenen Jahren massiv gesunken, religiöses Wissen verschwunden. "Selbst mit Sankt Martin können viele Menschen nichts mehr anfangen." Shimizu gibt dennoch nicht auf: "Die Leute suchen Transzendenz." Er will mit neuen Angeboten dafür einen Zugang schaffen. "Ich versuche ganz bewusst, meine Predigten und Ansprachen niedrigschwellig zu gestalten. Immer nur ein Gedanke. Es soll so verständlich wie möglich sein", erläutert der 30-Jährige. "Und wenn ich die Lebensgeschichten der Menschen mit einfließen lassen kann, umso besser."

Bild: ©katholisch.de/cph

In der Kirche in Zülpich haben sich noch einige alte Ausstattungsstücke erhalten.

Anregungen dazu hat ihm eine Reise nach Japan gegeben. Dort wurde Shimizu geboren und von dort stammt auch sein Vater. Mit sechs Jahren kam er nach Deutschland, als Teenager ließ er sich taufen. Nachdem er wegen der Corona-Pandemie länger nicht in Japan gewesen war, hat er nach seiner Weihe eine Reise durch das Land gemacht, in dem die Christen nur eine kleine Minderheit darstellen.

"In Städten wie Tokio müssen die Menschen oft lange Distanzen zurücklegen, um zur Kirche zu kommen. Wenn sie dann nach der Messe direkt wieder ausschwärmen, kommen sie kaum mit dem Gemeindeleben in Berührung. Deswegen gibt es dort jeden Sonntag einen Kirchenkaffee, damit Verbindungen entstehen." So etwas will er auch in der Region etablieren. "Vielleicht nicht jeden Sonntag, aber einmal im Monat soll es noch ein geselliges Beisammensein nach dem Gottesdienst geben. So lernt man sich auch persönlich besser kennen und bekommt einen Bezug zueinander. Das ist auch für mich als Priester wichtig."

Takuro Johannes Shimizu muss weiter. An diesem Tag wartet noch eine Gruppe Kommunionkinder auf ihn. Er ist zum ersten Mal dabei – eine der zahlreichen Premieren in der vergangenen Zeit. Kurz vor der Haustür hängen an einigen Bügeln die Messgewänder, traditionelle Formen in einer sonst modern gestalteten Wohnung. Wieder so ein Gegensatz. Takuro Johannes Shimizu ist auf den nächsten Einsatz schon vorbereitet.

Von Christoph Paul Hartmann