Christian Stückl vor seiner fünften Passion in Oberammergau
Auseinandersetzungen im Gemeinderat, Bürgerbegehren, Prozesse – nichts treibt die Oberammergauer so um wie ihre Passionsspiele. So strömten sie am Montagabend auch zur Bürgerversammlung ins Ammergauer Haus. Rund 150 Frauen und Männer, darunter die Jesus- und Pilatus-Darsteller von 2022, waren gekommen. Was die Beteiligung bei diesem Format betrifft, da ist Oberammergau mit seinen über 5.000 Einwohnern im Landkreis eindeutig "Spitzenreiter", wie Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) sagte. Kein Wunder. Denn Christian Stückl war angekündigt, er sollte sein Konzept zur Passion 2030 vorstellen.
Der Gemeinderat wird am Mittwochabend erst endgültig über den Spielleiter abstimmen. Doch schon jetzt ist klar: Der jetzt 62-jährige Stückl wird es machen – seine fünfte Passion. In der Geschichte wäre er der Zweite, dem dieses Vertrauen so oft zuteilwird. Dabei hatten die Gemeinderäte erstmals einen Wettbewerb auf der Suche nach einem Spielleiter ausgeschrieben. Ausgelöst wurde damit ein schlagzeilenträchtiges Sommertheater. Auch Stückls vorheriger Stellvertreter, der 1989 geborene Abdullah Karaca, hatte seinen Hut in den Ring geworfen, sich aber letztlich mit ihm wieder zusammengetan.
"Ihr kennt's mich"
Nun war der Theatermann als einziger Bewerber übrig geblieben. Unaufgeregt, aber mit Empathie erläuterte er gut 45 Minuten seine Ideen. Keine "Neuinszenierung", aber eine "Weiterentwicklung" schwebe ihm vor, denn in den dazwischen liegenden zehn Jahren verändere sich nicht nur die gesellschaftliche Situation, sondern auch die eigene Person. "Ihr kennt's mich", sagte er zum Publikum.
Ehrenbürger von Oberammergau ist Stückl schon, genauso wie Markus Zwink. Der war für die Chöre und die Musik verantwortlich und wollte eigentlich aufhören. Dennoch soll er wieder zum Team gehören, genauso wie Bühnenbildner Stefan Hageneier. Viel hat sich unter Stückls Leitung in den vier Passionen verändert: Die Frau des Pilatus kam dazu, die Szene mit Jesus und der Ehebrecherin, Herodes erhielt Dienerinnen an seine Seite. Karaca ist das noch zu wenig. Er will mehr Frauenrollen anbieten, was sein Chef unterstützt.
Dafür ist der Austausch mit Theologinnen geplant, vor allem aber muss er an den Text ran, wie Stückl ankündigte. Der Großteil der Jesus-Predigten sei zuletzt in die Bethanienszene gerutscht. Sie müsse mehr entlastet werden. Manche Schilderungen ließen sich vielleicht in eigene Spiele im Spiel auflösen. Ein Herzensanliegen ist es Stückl wegen des zunehmenden Antisemitismus, noch mehr das Antijüdische im Passionsspiel herauszunehmen. Viel hat er dafür schon getan. Doch seiner Überzeugung nach ist man damit nie am Ende.
Kopfzerbrechen macht ihm Pilatus. Die Forschung belege längst, dass sich der römische Statthalter nicht habe zwingen lassen, Jesus hinzurichten. "Er hat nicht das jüdische Volk dafür gebraucht", sagte Stückl. Jesus sei als Rebell verurteilt worden und der Grund dafür stehe in der Pilatus zu verdankenden Tafel über dem Kreuz, auf der die Buchstaben INRI (die lateinische Abkürzung für Jesus von Nazareth – König der Juden) zu lesen sind.
Einschränkungen beim Spielrecht aufheben
Dem Gemeinderat gab Stückl mit auf den Weg, darüber nachzudenken, die Einschränkungen beim Spielrecht aufzubrechen. Wer nicht in Oberammergau geboren ist, muss als Zugezogener bisher 20 Jahre warten, bis er mitmachen darf. 1633 gelobten die Oberammergauer, wenn sie die Pest überstünden, regelmäßig das Spiel vom Leiden und Sterben Christi aufzuführen. 1634 erfüllten sie ihren Eid erstmals, danach bald alle zehn Jahre. Die strikten Regeln wurden erst 1960 eingeführt. Damit sollten die nach dem Krieg geflohenen Sudetendeutschen ferngehalten werden.
Seit Stückl verantwortlich ist, dürfen verheiratete Frauen mitspielen und niemand muss mehr einer christlichen Konfession angehören, auch wenn er selbst nach wie vor in der katholischen Kirche sei. Die letzte Passion unter Corona-Bedingungen hat ihn Energie gekostet, einen Herzinfarkt beschert: "Aber ich habe das Rauchen aufgehört." 2030 wird er 69 sein. Er fühle sich nicht zu alt für die Aufgabe, versicherte der Theatermann. Zuletzt gab es bei der Passion die jüngsten Hauptdarsteller aller Zeiten. Nun will er versuchen, mit der Jesus-Geschichte auch mehr junges Publikum zu begeistern, bis er dann selbst den Spielleiterstab an die nächste Generation weitergibt.