"Rüstungsexporte sind der größte Skandal"
Frage: Frau Hoffmann, Deutschland steht kurz vor der nächsten Bundestagswahl. Wie bewerten Sie die Rüstungs- und Verteidigungspolitik in der vergangenen Legislaturperiode?
Hoffmann: In Deutschland ist Krieg wieder zu einem Mittel der Politik geworden - das ist die erschreckende Bilanz der vergangenen Jahre. Besonders dramatisch ist, dass die Bundeswehr inzwischen ungeniert auch zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, zum Beispiel zum Schutz von Handelsrouten, eingesetzt wird. Diese Entwicklung hatte im Mai 2010 auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler nach einem Besuch in Afghanistan angesprochen. Damals brach ein Sturm der Entrüstung über ihn herein, und er trat wenige Tage später zurück. Allerdings hat Köhler nur die tatsächliche Entwicklung beschrieben, die auch in allen Papieren zur Neuausrichtung der Bundeswehr propagiert wird.
Frage: Wie sieht es denn jenseits dieser grundsätzlichen Entwicklung mit der Umsetzung der verteidigungspolitischen Ziele aus dem Koalitionsvertrag aus? Unter anderem wollte sich die schwarz-gelbe Regierung ja für den Abzug der verbliebenen amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland einsetzen...
Hoffmann: In dieser Frage ist nichts geschehen, die Waffen lagern immer noch in Deutschland. Die Bundesregierung begründet diesen Stillstand damit, dass es in der NATO keinen Konsens für einen Abzug der Waffen gäbe. Allerdings kann die NATO doch wohl kaum darüber zu entscheiden, ob in Deutschland Atomwaffen lagern oder nicht. Dies ist eine bilaterale Entscheidung der Bundesregierung mit den USA.
Frage: In den vergangenen Monaten hat vor allem die Affäre um die Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" die Debatte bestimmt. Doch bereits zuvor war kontrovers über die mögliche Anschaffung von Kampfdrohnen diskutiert worden. Die Bundeswehr fordert solche Drohnen und Verteidigungsminister Thomas de Maiziere hat diese Waffenart wiederholt als "ethisch neutral" bewertet. Wie ist ihre Haltung dazu?
Hoffmann: Drohnen sind nicht ethisch neutral. Und wenn die Bundeswehr Drohnen anschafft, dann bedeutet das Aufrüstung und dies widerspricht der Abrüstungsabsicht. Es ist zwar verständlich, dass die Bundeswehr Drohnen kaufen möchte, um ihre eigenen Soldaten im Einsatz besser schützen zu können. Dies hätte allerdings eine massive Kehrseite, denn die Verfügbarkeit von Drohnen führt dazu, dass Kriege wahrscheinlicher werden. Wenn bei Auslandseinsätzen weniger tote Bundeswehrsoldaten zu erwarten sind, dann sind Parlament und Wahlvolk geneigter, solchen Einsätzen zuzustimmen. Und das muss diskutiert werden: Will Deutschland wirklich mehr Soldaten in Auslandseinsätze schicken? Ist Deutschland wirklich davon überzeugt, mit Gewalt und Militär Konflikte lösen zu können? Bislang ist über diese zentralen Fragen viel zu wenig gesprochen worden, da sind Diskussionen nachzuholen.
Frage: Viel diskutiert wurde in den vergangenen Monaten allerdings der zunehmende Export von Rüstungsgütern. Unter Schwarz-Gelb boomt das Geschäft mit Waffen aus Deutschland, vermehrt werden auch Ausfuhren in undemokratische Regime genehmigt. SPD und Grüne fordern in ihren Wahlprogrammen nun eine deutliche Einschränkung der Exporte und stärkere Mitspracherechte für den Bundestag; die Linkspartei will Rüstungsexporte ganz verbieten. Was fordern Sie?
Hoffmann: Die Rüstungsexporte sind der größte Skandal der deutschen Politik. Entgegen aller ethischen Grundsätze werden deutsche Kriegswaffen an menschenrechtsverletzende Staaten und in Kriegsgebiete geliefert. Die Bundesregierung unter Angela Merkel genehmigt Rüstungsexporte, die noch vor Jahren als untragbar galten, und sie entzieht sich dabei nahezu vollständig der demokratischen Kontrolle. Das muss ein Ende haben! Gemeinsam mit anderen Gruppen hat Pax Christi die "Aktion Aufschrei. Stoppt den Waffenhandel!" initiiert. Wir fordern, dass ein Exportverbot für Kriegswaffen und andere Rüstungsgüter im Grundgesetz explizit benannt wird. Mindestens aber erwarten wir, dass die derzeitige Exportpraxis so schnell wie möglich beendet wird und der Bundestag umfassende Kontrollrechte bei diesem Thema erhält.
Frage: Bundeskanzlerin Merkel hält die Exportpraxis ihrer Regierung für ein Erfolgsmodell, da Waffenexporte in Krisengebiete dort für mehr Stabilität sorgen würden...
Hoffmann: Waffen schaffen keine Stabilität. Überall dort, wo Waffen verfügbar sind, werden sie über kurz oder lang auch eingesetzt. Und überall dort, wo bewaffnete Konflikte ausgetragen werden, gibt es Tote und Verletzte, müssen Menschen ihr Zuhause verlassen. Eine Bundesregierung, die Waffen exportiert, macht sich mitschuldig an den Opfern dieser Konflikte.
Frage: Die Bundeswehr befindet sich seit Jahren in einem Reformprozess. Pax Christi hat sich frühzeitig gegen zentrale Elemente dieser Reform ausgesprochen. Warum?
Hoffmann: Die Bundeswehrreform steht unter der Philosophie, vom Einsatz her zu denken. Aufgrund welcher Bedrohungslage eigentlich? Unsere Nachbarn sind Freunde. Bisher ist nicht definiert worden, was mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr erreicht werden soll. Um diese Frage zu beantworten, müssen die Einsätze der vergangenen Jahre kritisch evaluiert werden. Was waren die Ziele der Einsätze und sind diese Ziele erreicht worden? Mit Blick auf den Afghanistan-Einsatz muss man in diesem Zusammenhang eine ernüchternde Bilanz ziehen. Aber solche Bilanzen müssen herangezogen werden, um die Frage beantworten zu können, ob Deutschland überhaupt Streitkräfte baucht, die vom Einsatz her gedacht werden. Wie ich bereits gesagt habe: Es muss darüber gesprochen werden, ob es gerechtfertigt ist, Soldaten für Wirtschaftsinteressen und den eigenen Wohlstand einzusetzen. Die weltweiten Flüchtlingsströme und die Klimakatastrophe können jedenfalls nicht durch den Einsatz von Militär bekämpft werden.
Frage: Sie haben den Afghanistan-Einsatz angesprochen, der - zumindest, was die Kampftruppen angeht - im kommenden Jahr zu Ende gehen soll. Warum bewerten Sie die Ergebnisse des Einsatzes so kritisch?
Hoffmann: Ich war im vergangenen Mai in Kabul und habe dort mit vielen Menschen gesprochen. Seitdem bin ich noch ernüchterter über die Lage in Afghanistan, als ich es davor schon war. Afghanistan ist ein bitterarmes Land, das noch über Jahrzehnte unsere Unterstützung brauchen wird. Allerdings müssen wir viel stärker darauf achten, welche Hilfe die Afghanen wirklich benötigen. Die Menschen brauchen Wasser, Arbeitsplätze, ein funktionierendes Gesundheitssystem - Militär und internationale Kampftruppen wollen und brauchen sie dagegen nicht. Ein kompletter Abzug der Bundeswehr steht an.
Frage: Unterstützen Sie angesichts dieser kritischen Bilanz die Forderung der Linkspartei nach einem generellen Verbot von Auslandseinsätzen der Bundeswehr?
Hoffmann: Wie gesagt: Es muss genau geklärt werden, welche Ziele mit den Auslandseinsätzen erreicht werden sollen und ob die dem Willen der Bevölkerung und dem Grundgesetz entsprechen. Mir fehlt der Nachweis, dass die Einsätze dem Frieden gedient und die Gewalt gemindert haben. Zugleich müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, ob es zur Erreichung außenpolitischer Ziele nicht bessere Wege gibt, die wir mit zivilen Mitteln erreichen können. Ich erwarte von der Politik, dass sie bei der internationalen Krisenbewältigung künftig deutlich kreativer wird und stärker auf zivile Lösungen setzt.
Frage: Wenn Sie am 22. September drei Forderungen auf ihren Wahlzettel schreiben dürften - wie würden diese lauten?
Hoffmann: Erstens wünsche ich mir ein Gesetz zum Stopp der Rüstungs- und Waffenproduktion und zur Exportkontrolle von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Zweitens hätte ich gerne ein bilaterales Abkommen mit den USA zum Abzug der Atomwaffen und zur Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands. Und drittens wünsche ich mir ein Friedensministerium, das den von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Aktionsplan "Zivile Krisenprävention" aus dem Jahr 2004 endlich mit Leben füllt.
Das Interview führte Steffen Zimmermann