Warum es an Weihnachten nicht zuletzt um Gemeinschaft geht
Oft ist es der sprichwörtliche Kartoffelsalat, manchmal aber auch Karpfen oder Gänsebraten. Die Bandbreite an möglichen Essen zu Weihnachten ist immens groß und von Familie zu Familie unterschiedlich. Doch egal, was am Ende auf dem Tisch steht: Wichtig ist, was drumherum passiert. Menschen treffen sich an Weihnachten, essen und trinken und singen zusammen. Selbst für Menschen, die mit dem christlichen Kern des Festes nicht mehr viel anfangen können, ist das Zusammenkommen als Familie trotz aller Widrigkeiten oft ein Highlight im Jahr.
Weihnachten als Gemeinschaftsfest hat eine längere Tradition als das Fest selbst. Selbst in vorchristlicher Zeit trafen sich Menschen im Winter. Damals stand die Wintersonnenwende im Mittelpunkt, vom kürzesten Tag des Tages an wurden die Sonnenstunden mehr, das Leben kam zurück. Zur Feier des Wechsels kamen Menschen heidnischen beziehungsweise paganen Glaubens etwa in Nordeuropa zum Julfest zusammen, aßen, tranken und feierten. Auch keltische Druiden feierten die Sonnenwende zwei Tage lang, indem sie Kerzen anzündeten und die Häuser mit Stechpalmen und Misteln schmückten. In diesen Traditionen finden sich also schon einige Elemente, die später auch bei den Christen eine Rolle spielten. Das Licht zum Beispiel, das die Dunkelheit durchbricht. Bei Gemeinschaften, die von den Launen der Natur deutlich abhängiger waren als die Menschen der Gegenwart, war das ein zentrales Element des Lebens: Ein paar stürmische Tage und eine ganze Ernte konnte vernichtet sein. Der Wechsel von der kalten, dunklen Jahreszeit hin zum Knospen, Blüten und Früchte bringenden Frühling war also ein konstituierendes Element.
Diese Rolle behielt das Fest auch nach seiner christlichen Umdeutung. Zwar änderte sich der religiöse Bezug, die Rolle als Ort der Gemeinschaft blieb aber. Das lässt sich zum Beispiel an den Orten ablesen, an denen Weihnachtsbäume ab dem späten 15. Jahrhundert aufgestellt wurden, sagt die Kulturanthropologin Dagmar Hänel im katholisch.de-Podcast "Aufgekreuzt". Denn dieser "steht auf dem Marktplatz oder in der Zunftstube, weil man Weihnachten als gemeinschaftliches Fest da zusammen gefeiert hat. Erst im 19. Jahrhundert zieht der Weihnachtsbaum in die bürgerlichen Wohnungen ein." Es sind also die größeren Gemeinschaften, die sich an Weihnachten versammeln und feiern: Wieder mit Essen und Trinken, in der Tradition des heiligen Nikolaus gehört nun auch das Schenken dazu. Es habe im Mittelalter stets große Tafeln gegeben, sagt Hänel. Das gemeinsame Essen sei ein wichtiges Ritual gewesen. Das zeigen die ältesten Zeugnisse der Weihnachtsbäume: Das Liebfrauenwerk in Straßburg kaufte 1492 einen Baum für die Kirchengemeinde der Stadt. Die "Schwarzhäupter" genannten Kaufleutevereinigungen in Riga oder Reval spendierten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Bäume für die Marktplätze ihrer Städte, die geschmückt und am Ende verbrannt wurden.
Zwischen Fasten und Feiern
Das hatte auch mit dem Charakter der Adventszeit zu tun. Diese war lange Zeit eine Fastenzeit wie jene vor dem Osterfest. Wie es einen Ausbruch des Feierns mit vielen Speisen und Alkohol in Form des Karnevals vor der österlichen Fastenzeit gibt, wurde Weihnachten als Ende der Fastenzeit ebenso opulent begangen. Dazu gehörte auch der Gottesdienst, der in vergangenen Zeiten deutlich zentraler war als in säkulareren Zeitaltern. Mit dem Paradiesspiel, in dem die Handlung bei der Schöpfung ansetzte, erlebten die Menschen gemeinsam das biblische Geschehen nach. Nach den Gottesdiensten wurde dann mit Musik und Tanz gefeiert. Die Feier des Weihnachtsfestes hatte über dieses gemeinschaftliche Zusammenkommen weitergehende Folgen für das Zusammenleben: Besondere Märkte entstanden, gemeinsam mit den entstehenden Schenkbräuchen wurde Weihnachten ein Wirtschaftsfaktor. Darüber hinaus entstanden Kunst, Musik und Literatur zum Fest.
Die Art des gemeinschaftlichen Charakters, die Weihnachten heute als Familienfest hat, entwickelte sich dagegen erst im 19. Jahrhundert. In der Zeit des Biedermeier zog sich das Bürgertum nach der gescheiterten Revolution des Jahres 1848 in die eigenen vier Wände zurück. Die Feiern im größeren Rahmen verlagerten sich in die Kernfamilie. Die einzelnen Bestandteile blieben aber: Es wird gegessen und getrunken, auch Musik gibt es noch, nun allerdings als Hausmusik.
In dieser Rolle ist das Weihnachtsfest geblieben, wiewohl es sich weiter verändert und den Zeitumständen angepasst hat. So ist das Fest in Zeiten der Globalisierung ein wichtiger Rückzugsort geworden, in dem Abläufe bekannt sind und Veränderungen nur portionsweise geschehen. Bräuche haben sich in diesem Sinn weiterentwickelt, manche sind verschwunden, andere dazugekommen. In manchen Familien mag nach all der besinnlichen Festlichkeit das gemeinsame Schauen eines Actionsfilms dazugehören, bei anderen werden Gesellschaftsspiele gespielt. Es besteht angesichts dessen heutzutage fast die Tendenz, den friedlichen familiären Charakter des Weihnachtsfestes zu überhöhen – der nicht jeder Familienkonstellation und den persönlichen Beziehungen dort gerecht wird.
Dieser Gemeinschaftscharakter ist dabei aber grundsätzlich kaum bedroht. Nur die allerwenigsten Menschen gehen nach der Feier in der Familie noch in einen Club oder in eine Kneipe. Bei einer Umfrage im November dieses Jahres sagten 63 Prozent der Befragten "Nein" auf die Frage, ob sie während der Weihnachtstage auf Partys gehen. 21 Prozent gehen lediglich auf private Feiern, alle anderen Möglichkeiten lagen im einstelligen Prozentbereich. Wichtig ist den Menschen an Weihnachten Harmonie (52 Prozent, Umfrage 2022), Liebe (45) und Entspannung (37). Auch im Jahr 2024 hat Weihnachten also noch seinen Platz in der Familie. Eine der wenigen Konstanten, die das Fest in den vergangenen Tausenden Jahren behalten hat.