So kam die Butter in den Stollen – nicht nur an Weihnachten
Der Christstollen ist ein beliebtes Gebäck in der Weihnachtszeit. Heutzutage wird der süße Hefestriezel meist mit Eiern, Butter und Milch zubereitet. Seiner Form nach soll der Stollen an das in Windel gewickelte Jesuskind erinnern. Schon im Mittelalter war das festliche Gebäck beliebt. Doch wegen der strengen kirchlichen Fastenpraxis, deren Vorschriften durch das Mönchtum und der frühen Kirche geprägt waren, gab es nur magere Zutaten für den Teig. Der Verzehr von Butter, Eiern, Käse und Milch war an kirchlichen Fastentagen verboten. Backwaren wurden daher aus Hafermehl, Wasser und einem pflanzlichem Öl, meist Rüben- oder Olivenöl, geknetet. Viele wollten sich damit nicht abfinden: Bäcker erfanden raffinierte Rezepte, die diese Fastengebote umgingen. Manche wollten aber nicht im Halblegalen agieren – und schickten Bittbriefe an den Papst, um Ausnahmenregelungen von den strengen Speisevorschriften zu erhalten. Solche Anträge auf Erlass der Fastengebote - "Butterbriefe" genannt - soll es schon im 13. Jahrhundert gegeben haben.
Nachweisbar ist ein "Butterbrief" aus der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Schweiz. Im Schwyzer Stadtarchiv befindet sich ein Brief Bischofs Heinrichs IV. von Konstanz aus dem Jahr 1456. In diesem Brief erlaubte er im Namen des Papstes Calixt III. den Bewohnern der drei Kantone Luzern, Schwyz und Zug den Gebrauch von Butter als Kochfett. "Falls sich in der Gegend Olivenöl nicht leicht beschaffen ließe", lautete die Begründung im Originaldokument. Damit stellte der päpstliche Legat den Christen frei, Milchprodukte in der Fastenzeit zu genießen, auch weil die Menschen mehr Milchprodukte zu sich nahmen als in den Zeiten zuvor, erklärt Ralf Jacober vom Schwyzer Staatsarchiv.
In einem anderen Butterbrief aus dem Jahr 1467 gestattete Kardinal Philipp Calandrini, der auch für das Gnaden- und Ablasswesen am Gerichtshof im Vatikan tätig war, den Einwohnern von Rapperswil in der Schweiz während der Fastenzeit den Genuss von Milchprodukten und genehmigte ihnen, Butter statt Öl zu verwenden. Auch hier lautete die Begründung, dass die Schweiz kein Anbaugebiet von Olivenöl sei und die Beschaffung für die Bevölkerung daher zu kostspielig wäre. Auch dieser Brief ist im Schwyzer Staatsarchiv aufbewahrt.
Im Stadtarchiv des sächsischen Freiberg ist ein Butterbrief im Original erhalten, der für die Geschichte des Dresdner Christstollen eine besondere Rolle spielt. Dieser enthält eine päpstlichen Dispens von der Fastenregel. Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder, Albrecht der Beherzte, hatten sich mit einem Bittbrief an den damaligen Papst Innozenz VIII. gewandt.
Der sächsische Adel hatte nämlich bei ihnen beantragt, den von der römisch-katholischen Kirche gebotenen Verzicht auf Butter in der Fastenzeit aufzuheben. Sie baten den Heiligen Vater darum, die kirchliche Fastengebote für Speisen in den eigenen Herrschaftsgebieten außer Kraft setzen zu dürfen. Der Papst stimmte ihrem Anliegen zu und stellte ihnen 1491 den sogenannten "Dresdner Butterbrief" aus. Konkret erlaubte der Papst, dass man im Bistum Meißen an den Fastentagen im Jahr die sonst verbotene Butter "ohne Gewissensbedenken frei genießen könne". Der Indult war vorerst auf die Dauer von 20 Jahren begrenzt. Und das Kirchenoberhaupt knüpfte eine Bedingung an die Ausnahmeregelung: Wer Butter verzehren oder verwenden möchte, sollte dafür jährlich eine Abgabe zahlen: den 20. Teil eines Rheinischen Goldguldens, was damals in etwa einem Tagelohn entsprach, der sogenannte "Butterpfennig". Das Geld sollte für den Wiederaufbau der durch einen Brand zerstörten Freiberger Stiftskirche verwendet werden. Ein Teil der Einnahmen kam dem Bau des Petersdomes in Rom zugute.
Die Papsturkunde ist mit einem bleiernen Siegel und mit Fäden von gelber und roter Seide ausgestattet, erklärt die Freiberger Stadtarchivarin Anette Brodauf. Diese Bulle, wie damals wichtige Rechtsakte des Papstes bezeichnet wurden, wurde in der päpstlichen Kanzlei im Vatikan in feierlicher Form angefertigt, so Brodauf. Man geht von mehreren Abschriften dieses päpstlichen Schreibens aus, die an alle der sächsischen Fürsten unterstehenden Länder versandt wurden. "Zur Aufnahme der Spenden derer, die von der Bulle Gebrauch machen wollen", sollten "Butterkästen" in den Pfarrkirchen der Stadt und auf dem Land "wo große Kirchspiele stattfinden, aufgestellt werden", so ist in der Freiberger Urkundensammlung nachzulesen. "Die kirchliche Obrigkeit war durchaus geschäftstüchtig", meint die Mitarbeiterin des Freiberger Stadtarchivs, denn es war damals üblich, auf diese Weise Geldabgaben für die Kirche zu erheben. Im Mittelalter zahlten die Menschen für verschiedene Nahrungsmitteln Steuern. So gab es unter anderem eine Salzsteuer und eine Weinsteuer. Auch die Kirche machte sich diese Form der Abgaben zunutze, um sich das benötigte Geld zum Beispiel für geplante Kirchenbauten einzuholen.
Dass die mit dem Buttererlass verbundenen Zahlungen Kritik bei Orden, Theologen und Predigern hervorriefen, ist auch im Urkundenarchiv der Stadt Freiberg nachzulesen. Papst Innozenz VIII. bestätigte in einem anderen Schreiben daraufhin die Echtheit seiner Bulle, um die Streitigkeiten beizulegen. Die Auflagen für die Abgaben blieben jedoch bestehen. So konnte der heutige evangelisch-lutherische Sankt-Marien-Dom in Freiberg innerhalb von wenigen Jahren wieder aufgebaut und der Neubau 1512 eingeweiht werden. "Ohne die Geldabgaben hätten der Wiederaufbau länger gedauert", vermutet die Freiberger Stadtarchivarin.
Päpstliche Butterbriefe und die damit verbundenen Lockerungen der strengen Fastengebote finden sich auch in anderen Städten Deutschlands wie etwa in Nürnberg. Durch die Geldabgaben konnten zum Beispiel das Münster in Ingolstadt und die Stiftsbasilika Sankt Martin in Landshut finanziert werden. Der spätere Kurfürst Friedrich und Herzog Johann von Sachsen sollen durch das Butteressen der Landesbewohner und den damit verbundenen "Fastenabgaben" die steinerne Elbbrücke bei Torgau erbaut haben lassen.
Im Jahr 1552 lockerte Papst Julius III. schließlich die strengen Verzehrregeln an Fasttagen für alle Christen. Das Fleischverbot in der Fastenzeit blieb zwar aufrecht, Milchspeisen waren fortan allerdings erlaubt und konnten mit allen erforderlichen Zutaten zubereitet werden. Keiner sollte mehr auf Butter, Käse und Milch verzichten müssen. 1569 genehmigte Papst Pius V. angeblich sogar den Verzehr einer bitterflüssigen Schokolade. Und der Dresdner Stollen trat nun endgültig seinen Siegeszug an.