Wie traditionelle Speisen der österlichen Bußzeit entstanden

Von Tricks und Spezialitäten: Kleine Kulturgeschichte des Fastenessens

Veröffentlicht am 03.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Einst galten in der Fastenzeit strenge Essensregeln. So musste man Speisen kreieren und zubereiten, die erlaubt waren und den Verzicht nicht ganz so entbehrungsreich machten. Ein Blick in die Entstehung traditioneller Fastengerichte.

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Was kommt in der Fastenzeit auf den Tisch? Auch heutzutage stellen sich immer noch viele diese Frage, wenn auch in den seltensten Fällen aus Gründen des christlichen Glaubens. Fasten ist in der Konsum- und Wohlstandsgesellschaft zum Lifestyle geworden: Man ist überzeugt, dass man sich und der Welt etwas Gutes tut, wenn man dauerhaft oder für eine bestimmte Zeit auf gewisse Dinge verzichtet. In vergangenen Zeiten hatte Fasten mit Lifestyle freilich nichts zu tun. Während in der frühen Kirche das Fasten vor Ostern zwar sehr wichtig, aber nicht für alle Gläubigen gleichermaßen bindend war, gab es ab dem Übergang von der Antike zum Mittelalter eine feste 40-tägige Fastenzeit, die mit strengen Regeln einherging, an die sich die Gläubigen unbedingt zu halten hatten. Zudem war nur eine Mahlzeit am Tag gestattet. So musste man erlaubte Speisen (er-)finden, die bis heute als Fastengerichte bekannt und beliebt sind – und das Fasten gar nicht so entbehrungsreich machen sollen.

Von Anfang an war der Verzicht auf Fleisch integraler Bestandteil des Fastens. Im Jahr 590 legte Papst Gregor I. für die ganze Kirche fest, dass in der Fastenzeit vor Ostern der Verzehr von warmblütigen Tieren verboten ist. Der Ursprung des Fleischverzichts liegt bei den Asketen und Mönchen des frühen Christentums. Diese verzichteten nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Eier, Milch, Butter und Käse. So war schließlich auch der Verzehr dieser Produkte für alle Gläubigen in der Zeit vor Ostern nicht gestattet.

Fleisch als Bedrohung

Der Theologe Guido Fuchs wies in einem Interview auf einen besonderen Aspekt hin, der dabei eine Rolle spielte: Fleisch galt als förderlich für "fleischliche" Leidenschaften und damit vor allem im mönchischen Verständnis als bedrohlich für das angestrebte engelgleiche Leben. So wurde Fisch, im Mittelmeerraum eigentlich eine Festspeise, zum klassischen Fleischersatz in der Fastenzeit. Denn man argumentierte damit, dass Fisch aufgrund seiner Art der Fortpflanzung nicht die Fleischeslust errege. Isidor von Sevilla (560-636) verwies auf das Beispiel Christi, der nach seiner Auferstehung Fisch verlangt und ihn gegessen habe (vgl. Lk 24,41-43).

Karpfen
Bild: ©Darius Dzinnik/Fotolia.com

Fisch ist eine traditionelle Fastenspeise. Dafür wurden auch theologische Gründe geltend gemacht.

Gerade im Mittelalter war der Alltag der Menschen von schwerer körperlicher Arbeit geprägt, sie waren auf kalorienreiche Speisen angewiesen. Fisch war dafür nicht unbedingt geeignet. So wurde immer wieder nach mehr oder weniger legalen Schlupflöchern in der Fastenordnung gesucht oder theologisch hergeleitet, warum manche Speisen doch verzehrt werden dürfen: Vögel und Geflügel wurden kurzerhand zu Wassertieren erklärt und als solche mit Fischen gleichgesetzt, weil sie laut der biblischen Schöpfungserzählung am selben Tag erschaffen wurden. Auch Biber zählten wegen ihres geschuppten Schwanzes zu den Fischen.

Dazu finden sich alte Klosterrezepte für sogenannte "Scheingerichte". Dafür wurden aus püriertem Fisch, Mehl und weiteren Zutaten typische Fleischgerichte wie beispielsweise Braten am Spieß nachgeformt. Eine Praxis, die ein wenig an heutige Fleischersatzprodukte erinnert. Auch darüber hinaus waren Mönche und Nonnen besonders kreativ bei der Sache. Das bekannteste "Tarngericht" ist wohl die schwäbische Maultasche, im Volksmund auch "Herrgottsb’scheißerle" genannt. Der Überlieferung nach kamen die Mönche des Klosters Maulbronn während der Fastenzeit an ein Stück Fleisch. Damit Gott ihr Fastenbrechen nicht bemerkte, hackten sie das Fleisch klein, mischten es mit Spinat und Kräutern und versteckten es unter einem Teigmantel, so die Legende.

Fastenzeit ist Starkbierzeit

Beim Bier waren die Mönche besonders erfinderisch, weil auch Alkohol in der Fastenzeit verboten war: Sie brauten ein besonders nahrhaftes Starkbier. Sie beriefen sich dabei auf die Regel "Liquida non frangunt ieunum – Flüssiges bricht Fasten nicht" und schickten eine Kostprobe des Gebräus nach Rom, um sich vom Papst den Genuss genehmigen zu lassen. Bis es in Rom ankam, war das Bier allerdings verdorben. Der Papst befand, dass dieses ungenießbare Getränk gerade recht für die Fastenzeit sei. Noch heute wird in Bayern in der Fastenzeit der Beginn der Starkbierzeit gefeiert.

Diese strengen Fastenregeln hatten über mehrere Jahrhunderte Bestand, bis sie 1552 durch Papst Julius III. gelockert wurden: Ab sofort musste nur noch auf Fleisch verzichtet werden. Fortan standen verstärkt Mehlgerichte auf dem Speisezettel, etwa Dampfnudeln oder andere Süßspeisen. Daneben wurden auch gerne Suppen mit deftigen Einlagen gegessen. Aus heutiger Sicht eher ungewöhnlich, denn derart gehaltvolle Rezepte stehen der modernen Intention des Fastens gegenüber.

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Die kirchlichen Fastengebote und der Erfindungsreichtum führten je nach Region zu verschiedenen Spezialitäten. Im süddeutschen Raum war das beispielsweise die Fastenbrezel. Sie symbolisiert mit ihren verschlungenen "Ärmchen" die verschränkten Arme betender Mönche, ihr Name leitet sich vom lateinischen Wort "brachium" (Arm) ab. Eine andere Deutung besagt, dass sie ein Kreuz mit umgebendem Ring darstellt, wobei der Ring für den Heiligenschein steht.

In Italien gibt es eine besondere Nascherei für die Fastenzeit: die "Biscotti quaresimali". Es gibt sie fast überall im Land, in jeweils sehr unterschiedlicher Form. Gemein ist ihnen nur, dass sie ganz ohne tierische Fette auskommen, ohne Butter, auch ohne Eigelb. Zucker dagegen kommt eine ganze Menge rein. In Kampanien und Sizilien sehen die Fastenkekse aus wie die berühmten, knusprig bis steinharten toskanischen Cantucci. In Genua, wo Nonnen wohl im 15. Jahrhundert bei der Bearbeitung von Mandelpaste die Idee dieser Regelbeugung entwickelten, führen die Feinbäcker "Quaresimali" in vielen Geschmacksvarianten. Und in Florenz gibt es Fastenkekse in Buchstabenform, überzogen mit bitterem Kakao, manchmal noch durchsetzt von Nüssen und Zimt. Der Legende nach haben diese Kekse ihren Ursprung in einem toskanischen Kloster: Offenbar war die Idee, dass man den Kindern, die den Süßigkeiten besonders zusprachen, mit den Buchstaben nebenbei das Evangelium beibringen konnte.

Und heute? Erleben in der säkularisierten westlichen Welt das Fasten und die Fastenzeit einer Renaissance, auch wenn die Motive andere sind. In der Zeit vor Ostern warten Magazine mit Fastentipps auf, vegetarische oder vegane Kochrezepte inklusive. Die (angeblichen) Fastenkuren der mittelalterlichen Mystikerin Hildegard von Bingen erfreuen sich großer Beliebtheit. Und katholische Pfarreien machen das Fasten zum kleinen Event: Vielerorts hat sich eingebürgert, an einem der Sonntage in der österlichen Bußzeit ein Fastenessen zu veranstalten. Gekocht und verkauft wird dabei ein einfacher Eintopf, der Verkaufserlös kommt sozialen Projekten in ärmeren Regionen zugute. Schließlich ist dort das Leben auch ohne Fasten schon entbehrungsreich genug.

Von Matthias Altmann