Der frühere Mailänder Kardinal Martini soll Benedikts Entscheidung beeinflusst haben

Vorgriff auf den Rücktritt

Veröffentlicht am 29.07.2015 um 14:30 Uhr – Von Volker Resing – Lesedauer: 
Vorgriff auf den Rücktritt
Bild: © KNA
Kolumne

Bonn ‐ In der Vatikan-Kolumne "Franz & Friends" geht es diese Woche um den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. Löste er damit auf einem Umweg sein Versprechen ein, die Kurie zu reformieren? Und welche Rolle spielte die Vatileaks-Affäre dabei?

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Es gibt dieses besondere Bild der beiden Päpste in Castelgandolfo. Wenige Tage nach der Wahl von Papst Franziskus begegneten sich die beiden Männer in Weiß zum ersten Mal. Am Hubschrauber hatten sie sich, von den Winden der Albaner Berge umweht, umarmt, in der Kapelle nebeneinander gebetet. Schließlich saßen sie sich im Papst-Büro gegenüber. An einem niedrigen Tisch wurde ein Foto gemacht, das um die Welt ging.

In dessen Zentrum aber steht nicht das Papst-Doppel, sondern ein Kasten, etwa so groß wie eine Umzugskiste. Es ist schweres Gepäck, das der alte dem neuen Pontifex hinterlassen hat: die Akten der Untersuchungskommission zur Vatileaks-Affäre. Bis heute ist der Bericht nicht veröffentlicht.

Inzwischen gilt als sicher, dass bei Benedikt XVI. irgendwann im Frühsommer 2012 die Erkenntnis reifte, dass er zurücktreten müsse. Es war der Höhepunkt der Vatileaks-Affäre mit pikanten Enthüllungen zur Vatikanbank und Homo-Seilschaften. Nun gibt es offenbar neue Informationen zu dieser epochalen Entscheidung. Der Jesuit Silvano Fausti, früherer Beichtvater des 2012 verstorbenen Kardinals Carlo Maria Martini, berichtet von einem Gespräch Martinis mit Benedikt. Der Mailänder Kardinal soll dem Papst schon früh zum Rücktritt geraten haben. 

Martini soll im Konklave von 2005 der härteste "Konkurrent" von Joseph Ratzinger gewesen sein. Der Jesuit soll aber dann zugunsten Ratzingers zurückgezogen haben, übrig sei als Gegenspieler ein anderer Jesuit geblieben: Jorge Mario Bergoglio.

Martini wiederum soll im Konklave Ratzinger die Rolle des Kurienreformers zugedacht haben. Der Deutsche kannte den Vatikan seit mehr als 30 Jahren in- und auswendig. Wenn ihm die Reform jedoch nicht gelinge, sei es gut, zurückzutreten, soll Martini Ratzinger gesagt haben. Sah Martini während der Vatileaks-Krise diesen Punkt gekommen? Forderte er im Sommer 2012 die Konsequenzen ein?

Die ganze Geschichte ist arg gedrechselt, aber reizvoll. Denn sie hat Nachwirkungen bis heute: Hat Papst Franziskus in hinreichender Weise Schlüsse aus dem Inhalt der unförmigen Kiste gezogen? Nach Castelgandolfo ist er seit jenem Treffen mit Benedikt im Juni 2013 nicht mehr gereist. Er verbringt seine freie Zeit auch im Sommer lieber im Gästehaus Santa Marta hinter dem Petersdom. Die Räume des Apostolischen Palastes meidet er nach wie vor. Dort waren die vertraulichen Dokumente entwendet worden. Dort spitzte sich die Kurienkrise zu.

Der emeritierte Papst blüht seit seinem Rücktritt auf. Anders als sein enttäuschtes Umfeld scheint Benedikt mit sich und seiner Entscheidung im Reinen. Sein Rücktritt ist formal eine der größten Neuerungen im kurialen Gefüge seit Jahrhunderten, er löst auf eine gewisse Art ein Reformversprechen ein.

Christ & Welt

Diesen Text der Kolumne "Franz & Friends" publiziert katholisch.de mit freundlicher Genehmigung von "Christ & Welt", einer Beilage der Wochenzeitung "Die Zeit". "Christ & Welt" - das sind sechs Seiten, die sich auf Glaube, Geist und Gesellschaft konzentrieren, sechs Seiten mit Debatten, Reportagen und Interviews aus der Welt der Religionen. "Christ & Welt" ist im Jahr 2010 aus der traditionsreichen Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" hervorgegangen.
Von Volker Resing