Genn zum Tod von Großbölting: Betroffene haben Fürsprecher verloren

Der Münsteraner Bischof Felix Genn hat den verstorbenen Hamburger Historiker Thomas Großbölting gewürdigt. "Die Nachricht, dass Prof. Thomas Großbölting bei einem tragischen Unfall mitten aus dem Leben gerissen wurde, hat mich tief erschüttert", sagte Genn laut Mitteilung seines Bistums (Donnerstag). Zu betonen, dass er sich große Verdienste um die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs erworben habe, sei zwar richtig, greife aber zu kurz. "Mit dem Tod von Prof. Thomas Großbölting haben die Betroffenen sexuellen Missbrauchs einen ihrer wichtigsten Fürsprecher verloren."
Großbölting starb Medienberichten zufolge am Dienstag bei einem Zugunglück in Hamburg. Der 55-jährige Historiker war an zahlreichen Studien zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den Kirchen beteiligt. Sein jüngstes Projekt war etwa die geplante Untersuchung der Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Essener Kardinal Franz Hengsbach. 2022 gab Großbölting zusammen mit anderen Wissenschaftlern die Studie "Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945" heraus. Seit ihrer Konstituierung im Jahr 2024 war der Historiker außerdem Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum Münster.
Missbrauch und Vertuschung durch Priester und Kirchenmitarbeiter hätten Großbölting persönlich mitgenommen, angerührt und zurecht zornig gemacht, sagte Genn in seiner Würdigung. "Er verlor beim Blick in die tiefsten Abgründe menschlichen Verhaltens zwar nie den Blick des Wissenschaftlers, machte es sich aber zugleich zu einer persönlichen Lebensaufgabe, sich mit unfassbar großem Engagement für die Betroffenen sexuellen Missbrauchs einzusetzen."
Er hinterlasse Verantwortungsträgern einen Auftrag
Die Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch im Bistum Münster seien auch sein Verdienst. "Und so hinterlässt er uns allen, die wir Mitarbeitende und insbesondere Verantwortungsträger in der katholischen Kirche sind, mit seinem Tod den Auftrag und die Mahnung, nicht nachzulassen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch", betonte Genn. "In diesem Sinne werden wir im Bistum Münster das Gedenken an Prof. Thomas Großbölting lebendig halten." In seinen Gedanken und Gebeten sei er bei der Familie des Verstorbenen.
Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, reagierte entsetzt auf den Tod Großböltings. "Er war uns im ZdK wohl bekannt als renommierter Historiker, der sich wissenschaftlich der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals angenommen hatte", erklärte Stetter-Karp am Donnerstag. Im November 2021 habe er etwa bei der ZdK-Vollversammlung über die "Spezifika der kirchlichen Lage" und den weit verbreiteten "Klerikalismus von unten" gesprochen. Die unabhängige Aufarbeitung der Causa Hengsbach habe das ZdK gemeinsam mit anderen Institutionen in Auftrag gegeben. "Aus den zurückliegenden Monaten haben viele von uns Thomas Großbölting in lebendiger Erinnerung", so Stetter-Karp. "Seiner Familie gilt unser Gebet und unser tiefes Mitgefühl in diesen Stunden und Tagen."
Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, zeigte sich ebenfalls betroffen. "Ich habe ihn als einen Menschen kennengelernt, der sich stets mit einem unverrückbaren Sinn für Recht und Unrecht, geleitet von großer Empathie und immensem Engagement für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an Kinder und Jugendlichen eingesetzt hat", erklärte Claus am Donnerstag. "Über seine klare und ruhige Art, mit der er geschehenes Unrecht, systemisches Vertuschen und institutionellen Täterschutz aufgedeckt und benannt hat, wurde er eine der maßgeblichen Stimmen, die beide Kirchen immer wieder neu in die Verantwortung genommen und konkretes Handeln eingefordert haben." Der Historiker habe auch Impulse für ihre Arbeit gesetzt. "Sein klarer Fokus, sein feiner Humor und seine herzliche Selbstverständlichkeit werden mir fehlen." Sein Handeln müsse Vorbild sein, bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt nicht nachzulassen. (cbr)
13.02.25, 15.55 Uhr: Ergänzt um Statements von ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp und Kerstin Claus (UBSKM)