Maria Rosenkranzkönigin ist Deutschlands flächengrößte Pfarrgemeinde

Besuch in der Extrem-Diaspora

Veröffentlicht am 10.08.2015 um 14:00 Uhr – Von Markus Kremser – Lesedauer: 
Diaspora

Demmin ‐ In Vorpommerns Diaspora liegt die flächenmäßig größte Pfarrei Deutschlands. Sie umfasst sechs Städte und 135 Dörfer mit gerade einmal 2.000 Katholiken. Doch gott- oder gar hoffnungslos ist die Gegend nicht.

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"Ich habe die Quadratkilometerzahl nicht im Kopf. Aber vom südlichsten Punkt unserer Pfarrei bei Neubrandenburg bis zum nördlichsten bei Stralsund sind es 75 Kilometer Luftlinie", sagt Herbert Frank. Was er nicht sagt: Auf der Straße sind es 100 Kilometer. Dazwischen liegen sechs Städte und 135 Dörfer die alle zur Pfarrgemeinde Maria Rosenkranzkönigin gehören. Mit der Bundeswehr kam Herbert Frank 1995 aus Niedersachsen nach Vorpommern. Seit ein paar Jahren ist er nun Pfarrgemeinderatsvorsitzender und sieht mit seinem offenen Hemd und dem Flesh Tunnel im Ohr so gar nicht nach Pfarrgemeinderat aus.

Drei Orte gibt es in Deutschlands größter Pfarrei, an denen regelmäßig Gottesdienste gefeiert werden: Demmin, Grimmen und Altentreptow. Insgesamt gehören 2.000 Katholiken zur Gemeinde. Rund zehn Prozent von ihnen sind sonntags im Gottesdienst. In Demmin sind an diesem Sonntag rund 90 Christen zur Messe gekommen. Herbert Frank hat einige ältere Damen mit dem vom katholischen Bonifatiuswerk gespendeten Bus aus den umliegenden Dörfern abgeholt. Der Altersdurchschnitt im Gottesdienst ist hoch. Nur vier Kinder unter 14 Jahre sind heute hier. Symptomatisch für die Region.

"Im vergangenen Jahr hatten wir nur zwei Erstkommunionkinder. Und da haben wir schon zwei Jahrgänge zusammengelegt", erzählt Pfarrer Peter Szczerbaniewicz. Seinen Humor hat er trotz der Überalterung und sinkender Katholikenzahlen nicht verloren. "In meiner Heimat wäre eine Pfarrei dieser Größe ein eigenes Bistum", sagt der Pfarrer und lacht. Peter Szczerbaniewicz stammt aus Polen. Er ist zweisprachig aufgewachsen. "Bei uns zu Hause mit meiner Mutter und Großmutter sprachen wir nur deutsch", erzählt er.

Bild: ©Markus Kremser

Herbert Frank kam 1995 aus Niedersachsen nach Vorpommern. Heute ist er Pfarrgemeinderatsvorsitzender der Pfarrei Maria Rosenkranzkönigin in Demmin.

Der Pfarrer sitzt im Schatten unter einem großen weißen Festzelt hinter der kleinen St.-Jakobus-Kirche in Grimmen. Auch wenn die Gemeinde schon seit 2006 zu Demmin gehört, feiert die Gemeinde weiterhin jedes Jahr ihr eigenes Patronatsfest. Ingrid Lange hatte vor vielen Jahren die Idee für das Banner mit den gelben Buchstaben. "89. Patronatsfest St. Jakobus" steht auf dem weißen Bettlaken. "Die Zahlen wechseln wir jedes Jahr", sagt Lange, die auch im Kirchenvorstand ist.

Gleich neben ihr steht Leo Brix. Wie viele andere in dieser Gemeinde ist Brix als Kind nach Vorpommern gekommen. "Wir sind aus Braunsberg in Ostpreußen gekommen", sagt der heute 81-Jährige mit gut hörbarem ostpreußischen Dialekt. Fast alle Katholiken hier sind Flüchtlinge aus dem Osten oder Kinder und Enkelkinder von Flüchtlingen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten nur wenige Katholiken hier. Nach Kriegsende strömten dann Tausende Flüchtlinge und Vertriebene aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland in das dünn besiedelte Vorpommern.

100.000 Katholiken? Das ist lange vorbei!

Kurzzeitig lebten damals wohl 100.000 Katholiken in der Region. Sogar in evangelischen Dorfkirchen und in neuen Siedlerhäusern wurden Gottesdienste für die entwurzelten Menschen gehalten und Religionsunterricht gegeben. Priester und Seelsorgehelferinnen waren, oft per Fahrrad, unermüdlich unterwegs. Die Pfarrbücher verzeichnen Hunderte Erstkommunionen und Firmungen. Auch vertriebene Priester und Ordenschwestern kamen und setzten ihre Arbeit in Vorpommern fort.

Nach Altentreptow, dass seit 2006 ebenfalls zur Gemeinde Demmin gehört, kamen 1945 rund 1.500 Katholiken zusammen mit ihrem Pfarrer aus der 200 Kilometer entfernten Kleinstadt Deutsch Krone in Westpommern. Rund 14.000 Katholiken lebten damals kurz nach dem Krieg auf dem Gebiet, das heute zur Pfarrei Demmin gehört. Die Geschichten von Flucht und Vertreibung sind hier auch 70 Jahre nach Kriegsende allgegenwärtig und bekommen plötzlich eine ungeahnte Aktualität.

Linktipp: Eine Stadt am Rand

Papst Franziskus fordert immer wieder, die Kirche solle an die Ränder gehen. Unser Autor Markus Kremser hat sich deshalb auf den Weg nach Eisenhüttenstadt gemacht - eine Stadt am Rand von Deutschland, im äußersten Osten, an der Grenze zu Polen. Bei seinem Besuch hat er festgestellt: Eisenhüttenstadt liegt nicht nur geografisch am Rand.

"Wir hoffen, dass ein paar Flüchtlinge hier bleiben", sagt Michael Koch. Der Bürgermeister der Stadt Demmin kommt gerade aus dem Sonntagsgottesdienst. Zusammen mit Herbert Frank erklärt er einem syrischen Flüchtling, wo am Montag der Deutschkurs beginnt. "Der Mann ist schon zum zweiten Mal bei uns in der Kirche. Er kommt aus Syrien und ist Zahnarzt", sagt Koch. Die Verständigung falle zwar noch schwer. Man hoffe aber, dass mit den Flüchtlingen die Schrumpfung und Überalterung der Region aufgehalten werden könne.

Um 30 Prozent ist die Einwohnerzahl in den vergangenen 25 Jahren gesunken. 16.000 Einwohner hatte Demmin noch 1990, 11.000 sind es heute. Die Arbeitslosigkeit liegt selbst im Sommer bei über elf Prozent. "Viele junge Leute gehen weg. Nach Rostock oder Hamburg. Die Alten bleiben hier", sagt Pfarrer Szczerbaniewicz.

Von allem zu weit weg

Die Gegend ist zu weit von allem weg. Zu weit weg vom Berliner Speckgürtel und deshalb uninteressant für Firmen. Zu weit weg auch von der Ostsee, weshalb nur wenige Touristen hierher kommen. Und auch von der polnischen Grenze sind Demmin, Grimmen und Altentreptow weit entfernt. "Den Zuzug von polnischen Katholiken, den es in anderen Gemeinden im Erzbistum Berlin gibt, den gibt es hier leider nicht", sagt Szczerbaniewicz. "In einem Schlachthof arbeiten hier einige Polen. Aber die fahren freitags abends wieder nach Hause", erzählt der Pfarrer.

Im Gemeindesaal beim Patronatsfest von St. Jakobus in Grimmen läuft unterdessen das Kulturprogramm. Zwei ältere Damen aus der Gemeinde singen im Dirndl zu Playback aus dem CD-Player Lieder von Roy Black, Mireille Matthieu und Heino. Von den 60 Zuhörern ist kein einziger jünger als 40 Jahre, der Altersdurchschnitt liegt deutlich über 70.

Bild: ©Markus Kremser

Pfarrer Peter Szczerbaniewicz sagt mit Blick auf Vorpommern: "Das ist keine gottlose Gegend. Glauben ist immer Missionieren."

Maria Klatt kümmert sich auch um die Kinder und Jugendlichen. "Religion ist in Mecklenburg-Vorpommern ordentliches Lehrfach. Aber wir bekommen nur an wenigen Schulen genügend Schüler zusammen. Also holen wir sie mit Bussen am Nachmittag in den Pfarrhäusern zusammen", berichtet die Gemeindereferentin. Hier werden die Kinder dann klassenübergreifend unterrichtet. Nur in zwei Schulen in Altentreptow kommen genügend Kinder zusammen, um den Religionsunterricht an der Schule halten zu können.

Wie es weitergeht in dieser Extrem-Diaspora? "Hier kommen regelmäßig Jakobspilger. Es wäre schön, wenn wir die Kirche irgendwie offenhalten könnten", sagt Pfarrer Szczerbaniewicz. "Das ist keine gottlose Gegend. Glauben ist immer Missionieren. Wir müssen immer von neuem anfangen. Anders geht es nicht".

Herbert Frank blickt ebenfalls in die Zukunft. "Bis zum Jahr 2020 werden wir im Zuge des Prozesses 'Wo Glauben Raum gewinnt' zusammen mit Stralsund und Rügen einen 'Pastoralen Raum' bilden", sagt er. Die Gemeinde habe ihr dementsprechendes Votum gegenüber dem Erzbistum Berlin abgegeben. "Dann sind wir wieder die größte Pfarrgemeinde Deutschlands", sagt Frank.

Von Markus Kremser