Erzbischof Fernando Chomalí sucht Dialog mit Gesellschaft

Kardinal und Künstler: "Mein Verständnis des Bischofsamts ist weit"

Veröffentlicht am 27.02.2025 um 00:01 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 7 MINUTEN

Santiago de Chile ‐ Im Dezember hat der Papst den Erzbischof von Santiago de Chile zum Kardinal erhoben. Doch Fernando Chomalí ist nicht nur ein Kirchenmann: Er ist auch Künstler, schreibt Gedichte und hat einen Dokumentarfilm gedreht. Im katholisch.de-Interview spricht Chomalí über sein Verständnis des Bischofsamts.

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Er schreibt Leserbriefe, nutzt ganz selbstverständlich Social Media, bringt sich als Gesprächspartner der Medien in die gesellschaftliche Debatte seines Heimatlandes Chile ein und schreckt auch nicht davor zurück, anzuecken: Kardinal Fernando Chomalí versteht seinen Dienst als Bischof auch dahingehend, intensiv mit der Gesellschaft im Austausch zu sein. Gleichzeitig geht er seiner künstlerischen Ader nach und veröffentlicht Gedichte, plant eine Ausstellung seiner Fotografien und hat einen Dokumentarfilm über Angehörige von Opfern der chilenischen Militärdiktatur gedreht. Katholisch.de hat den 67-jährigen Erzbischof von Santiago de Chile in seiner Residenz in der Hauptstadt des Andenlandes besucht. Im Interview spricht er über sein Verständnis des Bischofsamts, den Missbrauchsskandal in Chile und seinen Wunsch nach Frieden im Nahen Osten – etwas, das ihn als Nachfahre palästinensischer Einwanderer besonders umtreibt.

Frage: Kardinal Chomalí, im Dezember wurden Sie von Papst Franziskus ins Kardinalskollegium aufgenommen, im Oktober hatte der Papst Ihre Kardinalskreierung bekanntgegeben. War Ihre Ernennung zum Kardinal eine Überraschung für Sie?

Chomalí: Es war eine Überraschung für mich, denn damals war ich gerade erst seit einem Jahr Erzbischof von Santiago. Aber ich wusste natürlich, dass die Möglichkeit besteht, dass ich zum Kardinal ernannt werden könnte.

Frage: Warum war es eine Überraschung für Sie? Schließlich wurden alle ihre sieben Vorgänger als Erzbischöfe von Santiago de Chile zu Kardinälen erhoben. Sie sind nun der achte Kardinal in dieser Linie.

Chomalí: Es war eine Überraschung für mich, vor allem, weil es bei einigen meiner Vorgänger im Amt des Erzbischofs von Santiago mehrere Jahre gedauert hat, bis sie Kardinäle geworden sind. Bei mir waren es nun weniger als zwölf Monate.

Frage: Während seines Pontifikats hat Papst Franziskus mit einigen Traditionen gebrochen, so auch bei den Kardinalsernennungen. Bischofssitze, die in der Vergangenheit seit Jahrzehnten mit dem Kardinalat verbunden waren, sind das nun nicht mehr – wie etwa das Beispiel des Erzbistums Berlin in Deutschland zeigt. Mit Blick auf die jüngsten Kardinalsernennungen scheint das für Lateinamerika jedoch nicht zuzutreffen. Warum ist das so? Und ist das nicht ungerecht?

Chomalí: Das kann ich nicht beurteilen. Aber der Papst hat oft Bischöfe und Priester zu Kardinälen ernannt, die in der Peripherie tätig sind oder in Ländern wirken, aus denen noch nie ein Kardinal gekommen ist. Ich glaube, dass das äußerst positiv ist, denn auf diese Weise stellt Franziskus die Universalität der Kirche heraus.

Kardinal Fernando Chomalí
Bild: ©picture alliance / ipa-agency | FRANCESCA BOLLA

Der chilenische Kardinal Fernando Chomalí sieht es als Teil seines Bischofsamtes an, im Dialog mit der Gesellschaft zu sein.

Frage: Wie ist Ihre Beziehung zu Papst Franziskus, der wie Sie Lateinamerikaner ist?

Chomalí: Gut und offenherzig. Wir kennen uns ziemlich gut, denn wir haben während des Missbrauchsskandals hier in Chile gemeinsam sehr schwierige Situationen erlebt. Franziskus schätzt den offenen und freimütigen Dialog, er ist sehr direkt. Das hilft der Kirche auch bei ihrer Aufgabe, das Evangelium zu verkünden.

Frage: Haben Sie die Telefonnummer des Papstes und können ihn anrufen, wenn Sie wollen?

Chomalí: Nein, ich habe weder seine Telefonnummer noch seine Mailadresse. Die beiden Male, die ich persönlich mit ihm zusammengetroffen bin, habe ich über die Nuntiatur Anfragen gestellt, die vom vatikanischen Staatssekretariat beantwortet wurden.

Frage: Sie gelten als vielseitige Persönlichkeit, denn Sie treten in der chilenischen Öffentlichkeit nicht nur als Kirchenmann auf, sondern sind in den sozialen Medien aktiv, melden sich regelmäßig durch Gastbeiträge, Interviews und Leserbriefe zu Wort, haben Gedichtbände veröffentlicht und auch einen Dokumentarfilm über Angehörige von Opfern der chilenischen Militärdiktatur gemacht. Warum?

Chomalí: Der Dokumentarfilm wurde in Australien, Italien, Spanien und natürlich an mehreren Orten in Chile gezeigt. Ich habe dem Papst eine Kopie des Films übergeben, aber ich weiß nicht, ob er ihn gesehen hat. Die Idee zum Film kam mir aufgrund von drei betroffenen Personen, die ich kenne. Und mit einem tollen Team von Kameraleuten konnte ich das gut umsetzen. Warum ich das alles mache? Mein Verständnis des Bischofsamts ist sehr weit. In diesem Jahr werde ich eine Ausstellung von meinen Fotografien organisieren. Warum denn auch nicht?

Frage: Sie haben auch zu einem künstlerischen Wettbewerb zur Gestaltung von Tabernakeln aufgerufen – und selbst teilgenommen.

Chomalí: Ja, das stimmt. Ich sehe dieses künstlerische Wirken auch als Teil meines Auftrags und meines Amtes als Bischof an. Denn ich bin als ganze Person Bischof und die Kunst ist etwas, das zu mir gehört. Außerdem ist es etwas Positives, das mich mit den Menschen und der Gesellschaft in Kontakt bringt. Das Schöne verbindet untereinander und mit Gott. Deshalb sehe ich darin kein Problem, dass ich als Bischof künstlerisch wirke.

Frage: Sie sind gerne mit der Gesellschaft im Austausch und bringen sich auch – etwa durch Wortmeldungen in den Medien – in die öffentliche Debatte ein. Ihr Vorgänger im Amt des Erzbischofs von Santiago de Chile, Kardinal Celestino Aós, war diesbezüglich viel zurückhaltender. Wollen Sie mit Ihrem medialen Engagement hier eine Lücke füllen?

Chomalí: Ich mag Diskussionen, was auch sehr aus meinem wissenschaftlichen Wirken als Theologe und Bioethiker stammt. Ich habe mich auf Konferenzen und in den Medien immer der Debatte gestellt. Als Erzbischof von Concepción habe ich das gleiche gemacht und jetzt mache ich weiter damit – denn ich bin ja weiterhin der Gleiche. Auch das verstehe ich als Teil meines Bischofsamtes. Ich freue mich, dass ich damit auch den vielen Katholiken unseres Landes eine Stimme in der Öffentlichkeit geben kann.

Kardinal Fernando Chomalí
Bild: ©picture alliance / Sipa USA | SOPA Images

Erzbischof Fernando Chomalí bei seiner Erhebung zum Kardinal durch Papst Franziskus am 7. Dezember 2024 im Petersdom.

Frage: Haben Sie keine Angst, durch Ihre Beiträge auch anzuecken und damit einen gesellschaftlichen Schaden für die Kirche anzurichten? Ich denke etwa an eine Äußerung von Ihnen aus der Weihnachtszeit, in der Sie den vorläufigen Stopp des Gesetzesvorhabens der chilenischen Regierung für ein liberaleres Abtreibungsgesetz als „großes Geschenk“ bezeichnet haben.

Chomalí: Wenn ich mich in der Gesellschaft äußere, darf ich nicht davon ausgehen, dass mir alle Menschen zustimmen. Es ist in Ordnung, wenn es Widerspruch gibt. Wir leben in einer vielfältigen und demokratischen Gesellschaft, in der wir alle die Möglichkeit haben, unsere Ansichten kundzutun. Ich äußere mich immer respektvoll, beleidige etwa niemanden oder ähnliches. Und ich hoffe, dass auch die anderen Bürger sich so verhalten. Außerdem hängt das Abtreibungsgesetz nicht von mir ab, sondern von den Politikern.

Frage: Die chilenische Gesellschaft ist tief gespalten, etwa zwischen arm und reich, links und rechts. Wie kann die Kirche zu mehr Verständigung unter den Bürgern beitragen?

Chomalí: Die Kirche muss sich für die Stärkung des Glaubens einsetzen. Denn der Glaube ist eine große Kraft, die vielen Menschen bei der Bewältigung ihres Lebens hilft. Er ruft sie zudem dazu auf, nach Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität zu streben. Deshalb ist die Kirche ein wichtiger Akteur in der Gesellschaft: Sie ruft die Menschen dazu auf, gut zu sein und Gutes zu tun.

Frage: Die Kirche in Chile hat, wie die Kirche in Deutschland, einen großen Missbrauchsskandal hinter sich. Eine Folge ist, dass die meisten Menschen das Vertrauen in die Kirche verloren haben. Wie kann die Kirche das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen?

Chomalí: Sie muss Zeugnis für Jesus Christus ablegen, sich makellos verhalten und sich auf allen Ebenen gegen Missbrauch einsetzen. Missbrauchstaten müssen aufgeklärt, rechtlich verfolgt und die Priester, die schuldig geworden sind, aus dem Dienst entfernen werden. Wir sind dabei auf einem guten Weg, haben bereits einiges erreicht – aber es liegt noch viel vor uns. Aber heute wird allen Anzeigen nachgegangen und Priester, die Missbrauch begangen haben, werden sanktioniert. Außerdem setzen wir uns etwa in den Schulen für die Prävention von Missbrauch ein. Wir haben schon einiges geschafft, aber es kann natürlich immer mehr sein.

Frage: Sie stammen aus einer Familie mit palästinensischen Wurzeln. Wie blicken Sie auf den militärischen Konflikt im Nahen Osten?

Chomalí: Es bereitet mir große Schmerzen zu sehen, wie dort menschliches Leben zerstört wurde. Aber ich bin froh, dass es nun eine Waffenruhe im Gaza-Streifen gibt. Israel hat im Krieg unverhältnismäßig brutal reagiert. Aber ich verurteile auch den Fanatismus der Terroristen von Hamas und Hisbollah. Es muss so schnell wie möglich Frieden geben. In Zukunft brauchen wir in der Region einen souveränen Staat der Palästinenser, in dem seine Bürger gut leben können.

Frage: In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Wortmeldungen von Papst Franziskus zum Krieg in Palästina, die problematisch waren. Er hat etwa indirekt gefordert, Genozid-Vorwürfe gegen Israel zu prüfen. Helfen diese Äußerungen des Papstes?

Chomalí: Für mich ist es schwer, etwas dazu zu sagen. Aber so wie ich den Papst kenne, weiß ich, dass er stets gut überlegt, was er sagt. Franziskus kennt die Situation vor Ort recht gut, denn er wird darüber auf dem Laufenden gehalten.

Von Roland Müller