Mangelnder Glaube an Jungfrauengeburt oder Wandlung beunruhige ihn nicht

Dogmatiker Seewald: Etwas mehr Heilsunsicherheit täte der Kirche gut

Veröffentlicht am 26.02.2025 um 14:58 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN

Berlin ‐ Mit Heilsgewissheit hat er Probleme: Daher rät der Theologe Michael Seewald zu mehr Bescheidenheit. Absolute Gewissheit gebe es nicht. Was der Kirche stattdessen guttun würde, erklärt er in einem aktuellen Interview.

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Der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald hat der Kirche und der Theologie geraten, sich nicht zu wichtig zu nehmen. Ein bisschen mehr Heilsunsicherheit täte der katholischen Kirche gut, so der Theologe im Interview mit "Christ und Welt" (Donnerstag). Seewald sagte, es beunruhige ihn überhaupt nicht, dass viele Katholiken nicht an Dinge wie die Jungfrauengeburt, die leibliche Auferstehung oder die Wandlung von Brot und Wein in der Messe glaubten. "Johannes Paul II. hat noch gemeint, er könne gesellschaftliche Diskussionen mit einem Schlusswort beenden", so Seewald. Das funktioniere so aber nicht.

"Ab wann kommt man in den Himmel?"

Man könne schließlich nicht sagen, ich halte die katholische Lehre für wahr, also werde ich gerettet, denn das Verhältnis von Wissen und Erlösung sei unklar. "Ab wann kommt man denn in den Himmel? Wenn man 51 Prozent der Lehre glaubt?" Weiter führte der Theologe aus: Der Glaube sei eine höchstpersönliche Angelegenheit. Diese Individualität führe immer zu Abweichungen von der Norm. Von außen habe niemand Zugriff darauf. "Die Kirche sagt zwar, sie will das Gewissen bilden, aber sie weiß auch, dass sie in das Innerste nicht hineinkommt", so Seewald. Es gebe einen Korridor des Christlichen, der mal weiter und mal enger sei. "Aber die Idee, dass es einen dogmatischen Goldstandard gibt, dem alle zustimmen, funktioniert nicht." Er persönlich empfinde beispielsweise das lehramtliche Frauenbild als "unsäglich". "Da muss sich etwas ändern."

"Wenn die Kirche betont, irgendetwas sei schon immer so gemacht worden, liegt der Verdacht nahe, dass gerade das Gegenteil der Fall ist", so Seewald. Innovationsverschleierung sei ein bewährter Modus in der Kirche. "Die Behauptung, dass die Kirche keine Vollmacht habe, etwas zu tun, findet sich ja auch in anderen Bereichen." Noch 2021 habe die Glaubenskongregation gesagt, die Kirche habe keine Vollmacht, Paare gleichen Geschlechts zu segnen. "2023 hat die Kirche plötzlich entdeckt, dass sie die Vollmacht doch besitzt", so Seewald weiter.

Das Neue werde jedoch nicht als neu markiert. "Die Glaubenshüter in Rom sagen einfach: Was die moraltheologische Beurteilung von gleichgeschlechtlichen Paaren angeht, bleibt alles beim Alten, wir haben aber noch einmal darüber nachgedacht, was es bedeutet, zu segnen." So funktioniere Veränderung in der katholischen Kirche. "Die Fassade bleibt stehen, hinter den Kulissen wird jedoch kräftig umgebaut."

Am liebsten mit Häretikern und Ketzern

Am liebsten beschäftige er sich mit Theologen, die sich außerhalb der amtlichen Lehre bewegten. "Ein roter Faden in meinem akademischen Werdegang ist, dass ich mich gern mit Häretikern, landläufig als Ketzer bezeichnet, befasse." Besonders spannend finde er Martin Luther. "Was mich an ihm fasziniert, ist diese Heilsunsicherheit, auf die er versucht hat zu reagieren. Mit Leuten, die ihres Heiles gewiss sind, habe ich Probleme."

Seewald wurde 1987 in Saarbrücken geboren. Nach seinem Abitur im Jahr 2005 studierte er Katholische Theologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Tübingen, Pune (Indien) und Frankfurt am Main. 2011 wurde er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert, vier Jahre später folgte ebenfalls in München die Habilitation und die Erteilung der Lehrbefähigung für Dogmatik und Ökumenische Theologie. 2016 vertrat Seewald den Lehrstuhl für Dogmatik und Theologische Propädeutik in Bonn, seit 2017 ist er Lehrstuhlinhaber und Direktor des Seminars für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster. (KNA)