Pfarrer Schießler: "Natürlich wird im Himmel Fußball gespielt"

Elf Fußballenthusiasten gründeten am 27. Februar 1900 den FC Bayern München. Zum 125-jährigen Bestehen des Vereins wollte die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) vom Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler (64), einem Fan des Lokalrivalen 1860 München wissen, wie er als "Löwe" auf den Bayern blickt und welche Wünsche er zum Jubiläum an den Verein hat.
Frage: Pfarrer Schießler, als Bub wurden Sie beim Besuch eines Spiels von 1860 München vom "Löwen"-Virus infiziert. Warum hatte der FC Bayern nicht diese Wirkung?
Schießler: Ich bin in Laim, einer Münchner Arbeitersiedlung, groß geworden. 1966, als ich sechs Jahre war, wurden die Löwen Deutscher Meister. Bei uns im Viertel war keiner rot. Der Vater meines Freundes Harald hat uns zwei mitgenommen ins Stadion an der Grünwalder Straße. Das liegt auf einem Berg, zu dem wir hinaufgegangen sind. Auch wenn ich nicht theologisch gebildet war, fühlte ich, was der Psalmist meinte, wenn er von der Völkerwallfahrt auf den Zion spricht. Im Stadion erlebte ich eine Atmosphäre wie in einer Kirche. Das Gemeinschaftserlebnis war so intensiv, da kommst du nicht mehr aus.
Frage: Die 1960er Jahre – die große Zeit von 1860.
Schießler: Wenn ich einen früheren Meister-Löwen beerdige, sage ich am Grab immer: "Ihr könnt stolz sein. Denn von unserem Titel 1966 redet jeder. Die x-tausend Titel der Bayern, die kennt keiner so genau." Ich werde immer "Löwe" bleiben. Das ist wie mit der katholischen Kirche. Sie ist mir Heimat und Bestimmung, ich will nicht evangelisch werden.
Frage: Sie haben zum FC Bayern keine Berührungsängste. So trauten Sie das Ehepaar Lahm oder beerdigten Franz Beckenbauer. Wie kommt's?
Schießler: Als ich gefragt wurde, ob ich Philipp Lahm traue, wurden bei mir nicht vorhandene Türen aufgestoßen. Beckenbauer zu beerdigen war selbstverständlich. Ich gehe auch zu den Bayern in die Allianz-Arena. Selbst der Löwe und Kabarettist Christian Springer sagt: "Wenn ich ein gescheites Spiel sehen will, muss ich zu den Roten gehen." Schön wäre es aber, wenn wir uns wieder auf einer Ebene treffen. Dazu müssten die Löwen auf- oder die Bayern von mir aus in die Dritte Liga absteigen. Letzteres werden sie wohl nicht tun.

"Beckenbauer zu beerdigen war selbstverständlich", so Pfarrer Schießler.
Frage: War Beckenbauer eine Integrationsfigur? Er entschied sich ja als junger Fußballer bewusst für den FC Bayern, weil ihn ein Sechziger gewatscht hatte.
Schießler: Da siehst, wo so eine Watschn hinführen kann! Er hat sich nie an diesem Bashing der Vereine beteiligt. Noch dazu war er ja ein Giesinger, stammte also aus dem Viertel, wo der TSV daheim ist.
Frage: Was ist für Sie in der Geschichte des FC Bayern unvergesslich geblieben?
Schießler: Ab 2013 holten sie mehrmals hintereinander die Schale. Damals war ich Pfarrer in Heilig Geist. Immer an Pfingsten, wenn wir den Namenstag unserer Kirche feierten, begingen die Bayern am nahe gelegenen Marienplatz ihren Titel. Als wir in der Früh mit roten Gewändern ins Gotteshaus eingezogen sind, standen die ersten Bayern-Fans in ihren roten Trikots da und haben gestaunt, dass die Kirche sich an ihrem Jubel beteiligt.
Frage: Und?
Schießler: Das habe ich sofort aufgeklärt: "Das ist nicht euch geschuldet, sondern dem Heiligen Geist. Ihr dürft aber gern mit euren Trikots reinkommen." Unter dem Messgewand hatte ich einen Sechziger-Schal ins Zingulum eingehängt. Nach der letzten Fürbitte habe ich den hervorgeholt, mit beiden Händen über meinen Kopf gehalten und gesagt: "Liebe Freunde, es gibt Bitten, die brauchen keine Worte." Aber ich kann den Bayern nur gratulieren: Was sportliche Leistung, Management und Identifikation mit Leuten wie Beckenbauer, Breitner und Thomas Müller betrifft – einfach großartig!
Frage: Haben Sie eine Erklärung, warum der FC Bayern entweder geliebt oder gehasst wird?
Schießler: Aus Neid. Es schafft nicht jeder zu sagen: Chapeau, was ihr hingebracht habt, ist mega. Ich habe einige der Bayern, auch durch Taufen von deren Kindern, persönlich kennengelernt. Die sind alle bodenständig geblieben. Uli Hoeneß schätze ich sehr für sein soziales Engagement. Von Beckenbauer weiß man, dass er jedem Mitarbeiter auf dem Vereinsgelände oder im Stadion die Hand gegeben hat.
„Als sie im letzten Jahr gar nichts gewonnen haben, taten sie mir schon leid. Ich konnte meine Bayern-Freunde gar nicht mehr trösten.“
Frage: Es waren zu Beginn vor allem jüdische Fußballenthusiasten, die die Geschichte des Vereins prägten. Viele Mitglieder kamen in Auschwitz ums Leben, woran jüngst die Südkurve mit einer Aktion erinnerte ...
Schießler: Die Bilder der Leute wurden hochgehalten. Ganz tolle Choreografie! Und dazu die Worte: Nie wieder ist jetzt. Da kann ich nur zustimmen. Das darf nicht mehr passieren. Rechtsextremes Gedankengut muss im Keim erstickt werden.
Frage: Man hat den Eindruck, dass für viele Fans der Fußball zu einer Art Religion geworden ist. Wie sehen Sie das?
Schießler: Der Mensch sucht Geborgenheit, die er sich nicht selber geben kann. Als Religionen versuchen wir, den Menschen diese anzubieten mit einer Perspektive über den Tod hinaus. Wenn der Fußball ein Steigbügelhalter sein kann, religiöses Empfinden zu wecken, ist das eine gute Sache. Für manche ist die Identifikation mit einem Verein so stark, dass sie einer religiösen Bindung gleicht. Deshalb bedauere ich es sehr, dass die Allianz-Arena keine Kapelle hat wie das Stadion auf Schalke. Das wäre das Höchste! Da könnte man Taufen und Hochzeiten feiern. Es muss doch noch irgendeinen Raum in der Arena geben, den man umbauen kann.
Frage: Beckenbauer ist tot, Gerd Müller ebenfalls. Wird auch im Himmel Fußball gespielt?
Schießler: Natürlich. Da halte ich es ganz mit dem Stück "Der Brandner Kaspar und das Ewig' Leben": Auf die Frage, ob im Himmel gejagt werde, antwortet Petrus mit ja. Und wenn man dann trifft? Dann stehe das Viech wieder auf mit den Worten: "Pack' ma's wieder."
Frage: Was wünschen Sie den Bayern zum Jubiläum?
Schießler: Als sie im letzten Jahr gar nichts gewonnen haben, taten sie mir schon leid. Ich konnte meine Bayern-Freunde gar nicht mehr trösten. Es wäre gut, wenn sie wenigstens Deutscher Meister werden. So eine Saison ohne einen Titel für die Roten, das ist wie wenn eine Jahreszeit ausfällt.